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    BEHAVIORAL FINANCE  3699  2 Kommentare Draghis Coup, der noch keiner ist

    „Draghi enttäuscht die Märkte“ ist heute überall zu lesen. Doch wenn man sich einmal verdeutlicht, was die gestrige Ankündigung der europäischen Notenbank bedeutet, muss man feststellen, dass die EZB weit über ihren eigenen Schatten gesprungen ist. Sie hat sich, wenn auch widerwillig, bereit erklärt, in angemessenem (will heißen: unlimitiertem) Umfang kurzfristige Staatsanleihen angeschlagener Euroländer zu kaufen. Die Bedingungen, an die sie diese Maßnahme geknüpft hat, haben den Marktteilnehmern aber zunächst gar nicht geschmeckt: Erst wenn die Rettungsschirme EFSF/ESM bereitstehen, um am Markt aktiv zu werden, und wenn die geplagten Schuldenländer Hilfsmaßnahmen in Form von Bondkäufen beantragen, wird auch die EZB zur Tat schreiten.

    Das bedeutet im Umkehrschluss: Die Notenbank hat sich wie ein Rucksack an die Rettungsmechanismen angehängt und gleichzeitig Druck auf die Politik ausgeübt, ihre Bemühungen zur Lösung der Krise weiter voranzutreiben. Jeder weiß inzwischen, dass es keine politische Mehrheit in Europa geben wird für eine Banklizenz des ESM, um den Fonds mit unbegrenzter Feuerkraft auszustatten (was die EZB ohnehin ablehnt). Das ist aber jetzt auch gar nicht mehr notwendig: Durch das Versprechen der Notenbank, genügend Staatsanleihen zu kaufen, um die kurzfristigen Zinsen von Spanien und Co. herunterzudrücken, sind die Rettungsmöglichkeiten von Draghis Gnaden ausgeweitet worden. Die Länder können sich dann bequem im kurzfristigen Markt das notwendige Kapital zu erträglichen Zinsen besorgen und sind gar nicht auf Geld von EFSF und ESM angewiesen.

    Fiskalunion rückt näher

    Ob uns das nun gefällt oder nicht – durch die Weigerung der EZB, umgehend und ohne Bedingungen aktiv zu werden, wie es beim alten Staatsanleihekaufprogramm der Fall war, werden die strauchelnden Euro-Mitglieder unter dem Druck der unerbittlichen Finanzmärkte förmlich gezwungen, Hilfe zu beantragen und die jeweiligen Auflagen zu akzeptieren. Damit geben sie natürlich einen Teil ihrer Souveränität auf, womit wir einer Fiskalunion mit Sieben-Meilen-Stiefeln entgegeneilen. Während weitere Gelder aus EFSF und ESM nur entnommen werden dürfen, nachdem diverse nationale Gremien ihre Zustimmung gegeben haben, ist die EZB völlig unabhängig. Sie zu verklagen, weil sie ihr Mandat, nun neu interpretiert hat und auch unlimitierte kurzfristige Staatsanleihekäufe zu ihren Aufgaben zählt, wird indes so gut wie unmöglich sein.

    Spardiktat muss ein Ende haben

    Es ist nun an den Regierungen zu erkennen, dass die unendlichen Sparprogramme die schwachen Staaten nicht zurück auf den Wachstumspfad führen können. Die EZB hat der Währungsunion zwei, vielleicht drei Jahre Zeit gekauft, um die Märkte zu überzeugen, dass die Staaten auf dem besten Wege der Konjunkturerholung sind. Doch wird die Zeit mit weiteren Spardiktaten vergeudet, wird auch das nicht ausreichen und das europäische Projekt vermutlich scheitern.

    Draghi enttäuscht die Märkte – wenn man hinter die Kulissen schaut, dann dürften eigentlich nur diejenigen enttäuscht, vielmehr geschockt sein, denen eine Fiskalunion oder eine Beschneidung der nationalen Souveränitäten ein Dorn im Auge ist. Dass kaum einer den Meilenstein der EZB erkennen will und DAX und Euro gestern zunächst in die Knie gingen, liegt einzig und allein an Draghis „Glauben-Sie-mir-Rede“ vom letzten Donnerstag, die die Erwartungen der Akteure zu weit in den Himmel wachsen ließ.





    Christin Stock
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    Christin Stock, Analystin und Bloggerin.
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    Weitere Informationen zur Autorin und der Behavioral Finance: www.blognition.de.
    Verfasst von 2Christin Stock
    BEHAVIORAL FINANCE Draghis Coup, der noch keiner ist "Draghi enttäuscht die Märkte" ist heute überall zu lesen. Doch wenn man sich einmal verdeutlicht, was die gestrige Ankündigung der europäischen Notenbank bedeutet, muss man feststellen, dass die EZB weit über ihren eigenen Schatten gesprungen ist.

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