Rohstoffe
Kein Grund zur Sorge um Chinas Rohstoffnachfrage
Vor sechzig Jahren, im Jahr 1953, gab der damalige US-Außenminister, John Foster Dulles, nach einer Asienreise die folgende Einschätzung über Indien und China ab: «Die beiden Länder wetteifern darum, auf welchem Weg – Freiheit oder Polizeistaatmethoden – sich sozialer Fortschritt besser erreichen lässt. Dieser Wettkampf beeinflusst direkt die Menschen in diesen Ländern. Auf lange Sicht wird das Resultat die ganze Welt beeinflussen, auch uns.»
Seit 1953 haben Indien und China einen erheblichen Wandel durchlaufen. China hat die Transformation von der Subsistenzwirtschaft zu einem Wirtschaftsmotor geschafft. Doch trotz der rasanten Entwicklung des Landes bleiben das Pro-Kopf-Bruttoinlandprodukt (BIP) und der Kapitalbestand hinter denen der entwickelten Länder zurück. Doch die Verlangsamung von Chinas Wirtschaftswachstum und die Erwartung eines größeren Angebots in naher Zukunft lassen Sorgen aufkommen. So steht nun die Frage im Raum, ob die lange Hausse am Rohstoffmarkt wegen der Schwäche Chinas zu Ende geht. Das ist verständlich, doch aufgepasst: Es gilt, Konjunkturzyklen nicht mit Langfristtrends zu verwechseln.
Strukturreformen in China
Die Nachhaltigkeit von Chinas Wirtschaftswunder hängt davon ab, wie gut es der politischen Führung gelingt, das Land auf einen Pfad langsameren Wachstums zu steuern. Dazu braucht es wirtschaftliche und strukturelle Reformen, darunter die Stärkung privater Unternehmen, die Steigerung des Wettbewerbs im Inland, die Liberalisierung des Finanzmarktes, die Verringerung des Einkommensgefälles und den Abbau der Risiken im Bankensystem. Gleichzeitig gilt es zu gewährleisten, dass die Gesamtwirtschaft weiterhin mit 7%sieben Prozent oder mehr wachsen kann. Dies wird eine umsichtige Geldpolitik sowie eine proaktive und dennoch wertschöpfende Finanzpolitik erfordern. Dieser Zwiespalt wird für Verunsicherung und Skepsis sorgen. Doch die schiere Größe von Chinas Wirtschaft, gepaart mit ihrem Aufholpotenzial – vor allem was das BIP pro Kopf angeht –, bietet ein schlagkräftiges Argument dafür, dass die untere Mittelklasse in der Volksrepublik weiter wachsen wird.
Die Angebotserwartungen für gewisse Rohstoffe haben sich zugegebenermaßen aufgehellt. Bei Sektoren wie Energie, Industriemetalle und Getreide sollte man sich auf der Angebotsseite auf eine Verbesserung einstellen; Lager und Überschüsse werden dadurch wohl aufgebaut.
Allerdings wird dies nur vorübergehender Natur sein: Kurzfristig sind die Aussichten zwar erfreulich, doch in Zukunft wird die Rohstoffindustrie nach wie vor mit Hemmnissen für das Angebotswachstum zu kämpfen haben.
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Höhere Kosten für Bergbau
Die Bergbauindustrie sieht sich mit den bereits bekannten Herausforderungen konfrontiert, wie einem abnehmenden Erzgehalt, reifen Minen und tiefer liegenden Vorkommen, deren Ausbeutung wegen der komplexeren mineralogischen Verhältnisse kostspieliger ist. So steht die Bergbauindustrie derzeit vor einem Dilemma: Finanzmärkte und Aktionäre fordern die Entwicklung von Top-Projekten für den Markt von morgen. Eben diese Top-Projekte jedoch sind sehr kostspielig und zeitaufwendig.
Ähnliches gilt im Bereich Energie. Der Boom der unkonventionellen Energieträger Schiefergas und vor allem Schieferöl hat enorme Erwartungen an das künftige Angebotswachstum geweckt. Tatsache ist aber, dass die Fördermengen – abgesehen von den ölproduzierenden Ländern im Rahmen der Opec – in den letzten zehn Jahren nur geringfügig wuchsen. Der Rückgang der Förderung aus den reifen konventionellen Vorkommen wurde durch teures Öl aus den unkonventionellen Quellen kompensiert.
Auf lange Sicht ist eine «Energieunabhängigkeit» für die USA daher nicht realistisch. Am plausibelsten erscheint es, dass dies Schieferöl und andere unkonventionelle Quellen bloß eine Atempause verschafft. Das Peak-Oil-Szenario – also das Erreichen des Maximums der weltweiten Ölförderung – ist noch nicht vom Tisch. Die Vorstellung, höhere Produktion bedeute tiefere Preise, führt in die Irre: Um die künftig teurere Produktion zu finanzieren und die reifen Vorkommen zu kompensieren, werden höhere Ölpreise vonnöten sein. (Gastbeitrag von Jeremy Baker, Leiter Commodities Investing bei Vontobel)