Trendfolger 6/2014
Europawahl: Ruhe vor dem Sturm
In 16 Tagen ist Europawahl. Falls man den Umfragen trauen kann, wird die bisherige Mandatsmehrheit von Christdemokraten (EVP) und Sozialdemokraten (S & D) nur moderat von 61% auf etwa 56% schrumpfen. Nicht das Stabilität suggerierende Gesamtergebnis, sondern die einzelnen, nationalen Wahlergebnisse sind es, die Spannung erzeugen. Gleich in mehreren, wichtigen EU-Staaten deuten sich erdrutschartige Verschiebungen im politischen Gefüge an, die letztlich auch für Europa als Ganzes fundamentale Veränderungen ankündigen
Auszug aus dem Trendfolger Nr. 06/2014
Deutschlands stabil positive wirtschaftliche Entwicklung überlagert die ökonomische und zunehmend auch politische Krisenrealität im europäischen Ausland. Der Erhalt des Status Quo ist längst kein realistisches Zukunftsszenario mehr, weder für die Euro-Zone noch für die Europäische Union.
Im Frühjahr 2010 kamen Europas Regierungen überein, Europäisches Verfassungsrecht zu brechen bzw. politisch korrekt formuliert: „radikal neu zu interpretierten“. Nur durch diesen gemeinschaftlich begangenen, eklatanten Rechtsbruch bzw. diese radikale „Neuinterpretation“ war es möglich, die bekanntermaßen „alternativlose“ Griechenland- & Euro-Rettungs-Politik starten zu können. In meinen 2010er-Vorträgen warnte ich vor diesem Irrweg, wie die folgende, seinerzeit präsentierte Folie verdeutlicht:
Abb. 1: Vortragsfolie erstmals gezeigt am 19. Mai 2010 bei der VTAD in Nürnberg (www.vtad.de/nuernberg)
Lesen Sie auch
In der heutigen Trendfolger-Ausgabe möchte ich mich ganz bewusst auf meine seit 2010 wiederholt vorgebrachte These konzentrieren: Die Art und Weise der Euro-Rettungspolitik fördert den Aufstieg nationalistischer Kräfte in Europa, welche letztendlich sowohl die Währungsunion als auch die Europäische Union als Ganzes zumindest ins Wanken, wenn nicht sogar zu Fall bringen werden. Manchem Vortragsteilnehmer mag diese These übertrieben pessimistisch vorgekommen sein, doch die Argumente lagen und liegen meines Erachtens klar auf dem Tisch: Die Rettungspolitik veränderte den Charakter der Europäischen Union fundamental, weg von einer weitgehend freiwilligen Kooperation gleichberechtigter Nationen hin zu einer Zwangsgemeinschaft zwischen Gläubiger- und Schuldnernationen. Auf der Gläubiger-Seite war absehbar, dass Steuerzahler generationsübergreifend mit gewaltigen Bürgschaften belastet und Sparer über die anhaltende Nullzinspolitik kontinuierlich geschröpft werden. Ohne die Möglichkeit zur Währungsabwertung würde auf der Schuldner-Seite die notwendige Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit „alternativlos“ zu Massenarbeitslosigkeit bei gleichzeitigem von außen diktiertem Sozialabbau führen. Die wichtige Funktion der Finanzmärkte als Seismograph ökonomischer und politischer Fehlentwicklungen konnte durch „beherztes“ Eingreifen der Europäischen Zentralbank ausgeschaltet werden. Doch das ist nur Symptombehandlung. Die zugrundeliegenden, ökonomischen Kräfte wirken natürlich weiter und werden sich daher früher oder später auf der politischen Ebene Bahn brechen.