Erdogan abgestraft
Parlamentswahl stürzt die Türkei ins Chaos - Die Finanzmärkte beben
Nach den Parlamentswahlen steht die Türkei vor der Zerreißprobe. Es droht ein politisches Chaos. An den türkischen Finanzmärkten hat das Chaos bereits begonnen.
Das türkische Volk hat gewählt – und ihren Präsidenten Recep Tayyip Erdogan klar abgestraft. Zwar bleibt seine islamisch-konservative AKP nach vorläufigem Ergebnis mit 40,9 Prozent stärkste Kraft. Allerdings hat sie das von Erdogan anvisierte Ziel einer Zwei-Drittel-Mehrheit klar verfehlt. Im Gegenteil, erstmals in 13 Jahren Regierungsverantwortung ist die AKP gezwungen, sich einen Koalitionspartner zu suchen. Neben der AKP schafften noch drei weitere Parteien den Sprung über die 10-Prozent-Hürde und kämen damit theoretisch als Koalitionspartner in Frage. Aber praktisch deutet vieles auf Neuwahlen hin.
Mit 25,2 Prozent landet die kemalistische CHP auf dem zweiten Platz. Sie gilt zwar als größte Oppositionspartei des Landes, doch angesichts dieser Wahlschlappe sei sie eher „der Schatten einer Opposition“, kommentiert „Spiegel Online“. Die ultrarechte MHP erzielte 16,5 Prozent. Der heimliche Gewinner der türkischen Parlamentswahl ist die prokurdische HDP, die mit 12,7 Prozent ins Parlament einzieht. Das Abschneiden der HDP war im Vorfeld der Wahl stets als Zünglein an der Waage bezeichnet worden: Schafft sie den Sprung über die 10-Prozent-Hürde, verhindert sie die Zwei-Drittel-Mehrheit der AKP und damit den Plan Erdogans, ein präsidiales System mit einem mächtigen Mann an der Spitze zu basteln - natürlich sich selbst. Nun … die HDP hat es geschafft und die AKP steht vor der Zerreißprobe.
Die Zeichen stehen auf Neuwahlen
Jetzt müsse Präsident Erdogan zeigen, ob er verstanden habe, wie Demokratie funktioniert, so „SPON“ in Anspielung auf seinen immer autoritärer werdenden Regierungsstil. Bisher habe Erdogan die Tatsache, dass die Mehrheit der Türken hinter ihm stand, als „Freifahrtschein“ interpretiert. Doch nun kann die AKP zum ersten Mal nicht alleine regieren. Sie braucht einen Koalitionspartner, doch Äußerungen aus AKP-Kreisen deuten darauf hin, dass sie gar nicht danach suchen möchte. Koalitionen hätten in der Geschichte der Türkei noch nie funktioniert. Sie seien der Demokratie abträglich, hieß es bei der Erdogan-Partei. Premierminister Ahmet Davutoglu betonte: „Wir werden uns keiner Macht beugen!“ Es ist also wahrscheinlicher, dass es zu Neuwahlen kommen wird, als dass die AKP sich zu einer Koalition durchringt. Zumal sich die anderen drei Parteien ebenfalls wenig koalitionsfreudig zeigten. Rein rechnerisch könnten diese zusammen ebenfalls die Mehrheit stellen.
Unklare Machtverhältnisse, die Aussicht auf Neuwahlen … an den Finanzmärkten hört man so etwas ganz und gar nicht gerne. Entsprechend reagierten Investoren auf das Ergebnis der Parlamentswahlen und den drohenden Stillstand. Die Börse in Istanbul eröffnete am Montag über 8 Prozent im Minus, berichtet der „Business Insider“. Die Türkische Lira befindet sich gegenüber dem US-Dollar im freien Fall und stürzte über 5 Prozent auf ein neues Rekordtief von 2,8 Lira pro US-Dollar – der größte Tagesverlust in sieben Jahren.
Wechselkurs US-Dollar - Türkische Lira im 5-Tagechart
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Alarmstimmung auch auf dem Staatsanleihemarkt: Die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen stieg auf 9,98 Prozent, am Freitag waren es noch 9,32.
Der Türkei stehen damit stürmische Zeiten bevor, sowohl politisch als auch wirtschaftlich…