Marktkommentar
Oddo Meriten Makro-Brief 11/2015: Nach der Zinserhöhung: Gradualismus ist das neue Mantra
Nach langem Anlauf ist sie gestern gesprungen: Die amerikanische Notenbank erhöhte erstmals seit Juni 2006 ihre Leitzinsen und verabschiedete sich nach sieben Jahren vom Nullzins. Der Schritt war gut vorbereitet und von fast homöopathisch anmutender Kommunikation bezüglich des weiteren Ausblickes begleitet. Das erfreute die Märkte. Insofern hat Fed-Präsidentin Janet Yellen wohl alles richtig gemacht.
In diesem Makro-Brief diskutieren wir die Zinserhöhung und den Ausblick für Wirtschaft und Zentralbanken im Lichte der "neuen Normalität" eines beginnenden US-Zinszyklus.
Es gibt wenig zu sagen über die Zinserhöhung, die der Offenmarktausschuss (FOMC) der Fed gestern beschloss. Sie war in zahlreichen Vorträgen und Kommentaren vorbereitet worden und daher nicht überraschend. Die Spanne für den Leitzins, die Federal Funds Rate (FFR) stieg um 25 Basispunkte auf 0,25%-0,50%. Der Diskontsatz wurde parallel dazu angehoben und um die Wirksamkeit der Maßnahme im Geldmarkt zu sichern, kündigte die Fed einige technische Anpassungen an ihrem geldpolitischen Instrumentarium an, die aber ebenfalls keine Überraschung darstellen.
Auch wenn die Aktion, die die Financial Times heute ein historisches Wagnis ("historic gamble") nannte, damit ohne Beeinträchtigung der Finanzmärkte vollzogen ist, bleiben vor allem Fragen bezüglich des weiteren Pfades der US-Zinspolitik und der Reaktion anderer Zentralbanken zu klären.
Einen ersten Hinweis hierauf liefern die Projektionen der FOMC-Mitglieder bezüglich einer angemessenen zukünftigen Leitzinsentwicklung, die sogenannten Dots. Sie wurden gegenüber der September-Sitzung ganz leicht nach unten adjustiert und sehen im Mittel eine Zinserhöhung um einen viertel Prozentpunkt pro Quartal 2016 und 2017 vor. Die ebenfalls beinhaltete Annahme einer langfristigen FFR von 3,5% wurde nicht verändert.
Dieser Zinspfad liegt etwas oberhalb dessen, was die Fed Funds Futures vor der Sitzung eingepreist hatten. Und auch heute, am Tag nach der Entscheidung, signalisieren die aus den Futures abgeleiteten impliziten Wahrscheinlichkeiten per Saldo lediglich zwei bis drei weitere Zinsschritte 2016.
Die Abweichung der Markterwartungen von den Dots, also der Prognose der Fed selbst, dürfte durch unterschiedliche Einschätzungen bezüglich der weiteren Konjunkturentwicklung in den USA hervorgerufen sein. Zwar weichen die Fed-Projektionen bezüglich BIP-Wachstum (2016: 2,4%, 2017: 2,2%), Arbeitslosenquote (4,7%, 4,7%) und Inflationsrate (1,6%, 1,9%) kaum vom Konsens der Ökonomen ab. Angesichts des weiter rückläufigen Ölpreises scheinen die Finanzmärkte aber noch nicht überzeugt zu sein, dass das Inflationsziel der Fed innerhalb der kommenden zwei Jahre überhaupt in Reichweite kommen könnte.
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Dass dies Voraussetzung für die Einhaltung des avisierten Zinspfades ist, hat Janet Yellen gestern betont. Mit anderen Worten: die Fed-Politik bleibt datenabhängig. Sollte sich die Arbeitsmarkt-Dynamik unerwartet abschwächen, das Wachstum enttäuschen oder die Inflationsrate z.B. durch weiter fallende Ölpreise nicht in Richtung Zielwert steigen, dürfte der eine oder andere Zinsschritt wohl verschoben werden oder gar ausfallen.
Einige Deflations-Prognostiker glauben sogar, dass die Zinserhöhungen bald wieder zurückgenommen werden könnten. Die theoretische Möglichkeit eines solchen Szenarios kann zwar nicht ganz ausgeschlossen werden, allerdings müsste die Konjunkturdynamik dann deutlich vom erwarteten Pfad abweichen und dies ist kaum innerhalb der nächsten sechs Monate denkbar. Wir halten es daher für relativ sicher, dass der nächste Zinsschritt der Fed, wie durch die Dots vorgegeben, im März erfolgen wird.
Dass die Märkte positiv auf die erste Zinserhöhung reagiert haben, dürfte einerseits an dem kommunizierten Gradualismus der Fed liegen, der auf ein sehr sensibles weiteres Vorgehen im Zinszyklus hinweist. Positiv dürfte auch gewirkt haben, dass die Fed ihre Zuversicht bezüglich der US-Konjunkturentwicklung behalten hat. Und schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Fed die einzige große Industrieländer-Zentralbank ist, die, gestützt auf ihr nationales Mandat, die geldpolitische Lockerung ein wenig zurückführt. Um mehr geht es ja nicht.
Alle anderen Zentralbanken, die für die Weltwirtschaft von Bedeutung sind, verbleiben im Lockerungsmodus, der im Falle der EZB, der Bank of Japan oder der chinesischen Zentralbank sogar noch ausgeweitet werden könnte.
Anders als in manchen vergangenen Zinszyklen, wird also derzeit kaum die Gefahr einer global synchronisierten Liquiditätsverknappung gesehen. Da die Fed nochmals versichert hat, dass sie die Länge ihrer Bilanz derzeit nicht verkürzen will, dürfte die globale Zentralbank-Liquidität sogar noch weiter zunehmen, denn die EZB expandiert weiter, die Bank of Japan könnte ebenfalls nochmals nachlegen und auch von der People's Bank of China wird 2016 weitere geldpolitische Akkommodation erwartet.
Insofern ist die optimistische Einschätzung nach der ersten Fed-Zinserhöhung angemessen: Sie signalisiert eine robuste US-Konjunktur bei moderatem BIP-Wachstum, die als weltweite Konjunkturstütze gesehen werden kann, stellt aber nicht die weiterhin sehr großzügige globale Liquiditätsversorgung in Frage und ist daher selbst für einige fragile Schwellenländer verkraftbar. Eine, alles in allem, erfreuliche Botschaft vor dem Fest, die sich hoffentlich im kommenden Jahr bestätigt.
Frohe Weihnachten all denen, die bis hierher gelesen haben!
Holger Fahrinkrug, Chefvolkswirt Oddo Meriten Asset Management GmbH