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    Marktkommentar  2065  0 Kommentare Neil Dwane (Allianz GI): Hat im Januar 2016 ein Bärenmarkt begonnen?

    Der Start in das Jahr 2016 fiel an den Aktienmärkten weit schlechter aus als allgemein erwartet. Viele Börsen befinden sich inzwischen im Bärenmarkt-Territorium, nachdem die Kurse um mehr als 20 % unter die letzten Höchststände gefallen sind. Aber sind die Investoren nach dem Jahreswechsel tatsächlich zu einer Neueinschätzung der Anlagechancen im Jahr 2016 gelangt?

    Wesentliche Gegebenheiten

    China

    Die Wirtschaftsdaten in China fallen weiterhin nicht erbaulich aus und es herrschen dieselben Trends wie im Jahr 2015 vor: Die Unternehmensinvestitionen und die Industrieproduktion entwickeln sich wenig dynamisch, lediglich der Konsum wächst mit einer Rate von rund 11% p.a. Für die Regierung in Peking stellen nach wie vor die Abflüsse von Auslandskapital ein Problem dar. Die chinesische Notenbank tut zwar ihr bestes zur Stützung der Währung, doch bedeutet der Verkauf von Devisenreserven zur Abfederung der Abflüsse unterm Strich, dass die Geldpolitik in China gemessen an der rückläufigen Entwicklung der Industrieproduktion sehr straff bleibt. Verschärft wird die Situation durch Sorgen hinsichtlich politischer Eingriffe an den chinesischen Märkten (zeitweilige Aussetzung des Aktienhandels, Währungsinterventionen, Zinsänderungen), die einige Anleger zweifellos verunsichert haben. Dennoch halten wir die Befürchtung eines Kollapses oder einer starken Abwertung des Renminbi für übertrieben, da dies nicht der Neuausrichtung der Wirtschaft Chinas dienen und Vorwürfe eines "Handels- und Wechselkurskriegs" begünstigen würde. Da das Neue Jahr (nach chinesischer Zählweise) näherrückt und der nächste 5-Jahres-Plan noch nicht fertiggestellt ist, rechnen wir in China vor dem 2. Halbjahr mit keiner Wende zum Besseren.

    Oil

    Kein anderer realer Faktor treibt den Ölpreis derzeit so nach unten wie die Nachrichten vom Überangebot und die Wiederaufnahme des Ölexports durch den Iran.

    Die Ölproduktion außerhalb Saudi-Arabiens, Russlands und des Irans steht inzwischen erheblich unter Druck, vor allem Nigeria, Venezuela, Brasilien und Mexiko befinden sich in großer Bedrängnis. Die Schieferölproduktion in den USA entwickelt sich zwar robuster als erwartet. Doch sind die Neuerschließungen von Ölquellen eingebrochen und Kreditvergabe an die Branchen reagiert besonders empfindlich auf die sinkende Rentabilität der Förderung. Von daher sollte das weltweite Ölangebot schon bald seinen Höchststand überschreiten, während die Nachfrage angesichts geringen Wachstums der Weltwirtschaft unverändert bleiben dürfte. Da spekulative Investoren im Ölsegment Short-Positionen in Rekordumfang halten und entnervte Anleger ihre Aktien in diesem Bereich liquidieren, fällt es angesichts der erreichten Preistiefs schwer zu glauben, dass sich die Investitionen und die aktuelle Förderhöhe aufrechterhalten lassen. Des Weiteren bleibt die politische Situation im Nahen Osten angespannt: dort gibt es einen offenen Konflikt zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, während Ägypten und die Türkei mit zunehmenden innenpolitischen Belastungen konfrontiert sind. Somit ist die Gefahr eines angebotsseitigen Schocks am Ölmarkt sehr hoch, sie wird aber derzeit an den Märkten ignoriert.

    US-Geldpolitik und US-Dollar

    Die amerikanische Notenbank hat ihren neuen Zinsanhebungszyklus zu einem Zeitpunkt begonnen, als sich das Wirtschaftswachstum und die Kreditvergabe abschwächten. Für zusätzliche Unsicherheit hinsichtlich des Kurses der Federal Reserve sorgt die deutliche Differenz zwischen den von ihr für die Zukunft anvisierten Zinsniveaus und den Erwartungen an den Futures-Märkten. Dessen ungeachtet dürfte der US-Dollar von der Aussicht auf weitere Zinserhöhungen profitieren und (ebenso wie Gold) seitens sicherheitsorientierter Anleger stark gefragt bleiben. Dies wird voraussichtlich den Druck auf die aufstrebenden Volkswirtschaften (Emerging Markets), Rohstoffe und auf Dollar lautende Anleihen von Schuldnern außerhalb der USA verstärken. Bereits jetzt haben spekulative Anleger erhebliche Long-Positionen in Dollar aufgebaut, die mit Short-Positionen in Euro, Yen und Währungen aus Schwellenländern korrespondieren. Die Dollarstärke belastet letztlich alle und in USD gerechnet ist die Weltwirtschaft im letzten Jahr um 6% geschrumpft, während währungsgewichtet ein Wachstum von 3% zu verzeichnen war.

    Eine weitere Sorge ist eine mögliche Dollar-Knappheit, die sich im Bankensektor Asiens und Europas bemerkbar machen könnte, der einen Großteil der Eurodollar-Finanzierung zugunsten von Schwellenländern, dem Handel und Rohstoffanbietern sowie China geleistet hat. Trotz der Ausweitung der Geldmenge in Europa und - noch stärker - in Japan werden weltweit verstärkt Dollars zu einem Zeitpunkt benötigt, an dem die US-Notenbank im Zuge der Straffung ihrer Geldpolitik die Federal Funds Rate hat steigen lassen. Zwar dürfte es der Federal Reserve schwerfallen, ihren zinspolitischen Kurs kurz nach der ersten Anhebung wieder zu korrigieren, wir sind aber zuversichtlich, dass eine Dollar-Knappheit nur eine vorübergehende Erscheinung sein wird, da außerhalb des Marktes entsprechende Swap-Arrangements mit etlichen Notenbanken möglich sind.

    Aussichten für die Unternehmen

    Die neue Saison für die Gewinnberichte der Unternehmen hat weltweit gerade begonnen und die ersten Daten bewegen sich im Einklang mit den Erwartungen. So haben die Unternehmenserträge in den USA zwar unter der Stärke des Dollars gelitten, doch hat das enorme Volumen der Aktienrückkäufe für Schub gesorgt. In Europa sieht die Gewinnsituation intakt aus, eine Ausnahme sind lediglich Unternehmen mit starker Abhängigkeit von den Öl- und Rohstoffpreisen. Schwächer stellt sich die Lage in Asien dar, wo das produzierende Gewerbe sowohl unter sinkenden Absatzpreisen als auch unter hohen Lagerbeständen und nachlassender Nachfrage der Konsumenten nach Elektronikprodukten leidet. Die Übernahme- und Fusionsaktivität bewegt sich weiterhin auf hohem Niveau, wobei vermehrt Transaktionen in den Bereichen Technologie und Gesundheit stattfinden. Die Gewinnerwartungen sind wie üblich von Optimismus geprägt, weshalb angesichts schwacher Konjunktur entsprechende Korrekturen wahrscheinlich sind. Da das Vertrauen der Anleger im gleichen Maß sinkt wie die Aktienkurse, wird ein Teil der Kursrückgänge nachträglich seine Begründung erhalten, wenn es zu Abwärtskorrekturen bei den Gewinnerwartungen kommt. Einige branchenspezifische Belastungsfaktoren dürften sich allgemein negativ auf die Märkte auswirken, Beispiele sind die Abgasskandale im Automobilsektor, die Untersuchung des Volumens notleidender Kredite italienischer Banken und der Absatzeinbruch im Bergbausektor.

    Politik

    Die internationale Politik hat mit einer ganzen Palette an Problemen zu tun, die gravierende gesellschaftliche Auswirkungen haben. Dazu gehören die Reduzierung der Staatsausgaben aufgrund einbrechender Wechselkurse, Bestechung und Korruption, die Beeinträchtigung des Lebensstandards durch Währungsabwertungen, außerdem Kriege, Wanderungsbewegungen, eine Abstimmung über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union und neu aufkommender Nationalismus. Jeder einzelne dieser Faktoren ist für sich genommen bereits von Bedeutung und jeder kann zu erhöhter Unsicherheit der Anleger und am Kapitalmarkt beitragen-dies alles zu einer Zeit, in der die dauerhafte Wirksamkeit von Geld-und Fiskalpolitik in Frage gestellt wird.

    Liquidität und Preisfindung

    Im Hinblick auf Aktien stellt sich seit Längerem die Frage nach der Stabilität des Marktes, wenn man bedenkt, dass sich hinter dem Handelsvolumen einige problematische Teilbereiche verbergen. So entfällt fast die Hälfte auf Hochfrequenzhandel, wo Computeralgorithmen innerhalb von Sekundenbruchteilen über Käufe und Verkäufe bestimmen, ohne dass dies der eigentlichen Preisfindung nützt. Weitere 30% entfallen auf börsengehandelte Indexfonds (ETFs) oder basieren auf Basket-Transaktionen im Zusammenhang mit Futures. Letzteres bedeutet anschaulich gesprochen, dass der Schwanz (der Futures-Markt) mit dem Hund (dem Kassamarkt) wedelt. Dies lässt selbst ernsthafte Anleger rätseln, was der Markt eigentlich für ein Signal aussendet. Nachdem die verstärkte Regulierung im Anschluss an die Finanzkrise den Rückzug von "Market Makern" aus dem Aktien- und Anleihenhandel beschleunigt hat, bewegen sich die Transaktionen zunehmend in dieselbe Richtung, da die "Computer" in einem Wimpernschlag darüber entscheiden, ob das Marktmomentum auf- oder abwärtsgerichtet ist.

    Darüber hinaus haben die Stagnation der Kurse am US-Aktienmarkt seit Mai 2015 und die beängstigende Konzentration der Nachfrage auf einige wenige Titel zu einer sehr ungünstigen technischen Marktlage geführt. Nimmt man die im August erreichten Tiefstände (S&P 500 bei 1.867 Punkten) heraus, könnten die Kurse um weitere 20% fallen, was die Kurszuwächse von drei Jahren zunichtemachen würde [.]. Zwar dürften viele unserer Kunden einen deutlichen Kursrückschlag am Aktienmarkt als Gelegenheit begrüßen, ihre Engagements auf günstigerem Bewertungsniveau zu verstärken und sich sowohl attraktive Dividendenrenditen als auch Kurspotential zu sichern. Dennoch werden auch viele verunsichert sein und keine zusätzlichen Risiken eingehen wollen, solange die Kursausschläge hoch sind und die Geldpolitik international so uneinheitlich ist. Während zahlreiche staatliche Anlagefonds unter starker Beobachtung stehen und die Versicherer durch die Solvency II-Regularien eingeschränkt werden, warten die ultimativen Käufer möglicherweise noch weit niedrigere Kurse ab.

    Eine verstärkte Risikoscheu unter den Anlegern könnte sich auch bei riskanteren Anlagen in den Bereichen Unternehmens- und Schwellenlandanleihen bemerkbar machen. Die Liquidität ist dort schon jetzt sehr gering und führt fatalerweise zu vermehrten Absicherungsgeschäften mittels Aktienmarkt-Futures, was die Schwächetendenz verstärkt. Angesichts derartiger Kursschwankungen werden die Aufsichtsbehörden viele Finanzinstitute einer näheren Prüfung unterziehen, da ihre Bilanzen nach wie vor enorm aufgebläht sind. Die Märkte in Japan und Europa werden zwar in gewissem Umfang durch die expansive Geldpolitik (Quantitative Easing) gestützt. Jedoch sind die Emerging Markets auf eine Finanzierung in US-Dollar angewiesen, die immer teurer wird.

    Die Aktienbewertungen werden sich erst noch an geringere Gewinnerwartungen, starke Wechselkursschwankungen und den Wegfall des traditionellen Wachstumsmodells in China anpassen müssen. Dennoch verfügt die Weltwirtschaft über Wachstumspotential, die Aussicht auf neu entstehende Marktsegmente und disruptive Entwicklungen sowie attraktive nachhaltige Ertragszuflüsse in Form von Dividenden.

    Verstehen

    Auch in Bärenmärkten steigen die Notierungen häufiger als sie fallen, doch wenn sie zurückgehen, dann geschieht dies schnell. Daher ist es wichtig, dass Anleger auf die erhöhte Volatilität in Bärenmärkten angemessen reagieren, anstatt von ihr kalt erwischt zu werden. In diesen Zeiten hoher Kursschwankungen ist aktives Investieren geboten:

    - Agilität ermöglicht es professionellen Anlegern, bei gesunkenen Kursen attraktive Kaufgelegenheiten zu nutzen

    - Vertrauen in die Eignung des Investmentprozesses, mit dem der Portfoliomanager auf lange Sicht Mehrerträge (Alpha) erzielt und damit erhöhte Volatilität ausgleicht

    - Gründlichkeit bei der Analyse der geeigneten Wertpapiere, die im Portfolio die richtigen risikoadjustierten Renditen abwerfen

    Da die Notenbanken heute ebenfalls Marktteilnehmer und nicht lediglich Beobachter sind, ist mit verstärkten Verlautbarungen von dieser Seite zur Beruhigung der Stimmung zu rechnen. Die chinesische Notenbank tut dies bereits auf täglicher Basis, die Europäische Zentralbank stellt gegebenenfalls weitere geldpolitische Schritte in Aussicht (wie auch in der letzten Pressekonferenz bestätigt) und die Federal Reserve kann anderen Notenbanken zusätzliche Kreditlinien zur Verfügung stellen, um der Dollar-Knappheit entgegenzuwirken. Die Bären mögen zwar derzeit am Markt das Sagen haben, doch die Geldpolitik dürfte sie zur Strecke bringen. Langfristig gesehen haben Anleger jetzt die Chance auf höhere risikoadjustierte Erträge, sofern sie aktiv sind.

    Neil Dwane ist Global Strategist bei Allianz Global Investors und Mitglied der Equity Investment Management Group. Er koordiniert und leitet das AllianzGI Global Policy Committee, das die Leitlinien für die Anlagestrategien bei Allianz Global Investors formuliert. Daneben leitet und begleitet er die Festlegung der Themenschwerpunkte des halbjährlich stattfindenden Investment Forums. Neben seiner Funktion als Manager mehrerer europäischer Aktienportfolios publiziert Neil Dwane regelmäßig Artikel zu Thought Leadership-Themen.




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