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    Marktkommentar  1138  0 Kommentare Didier Saint-Georges (Carmignac): Die Schlafwandler

    Wie von uns vorhergesagt, haben die Märkte Anfang 2016 begonnen, ihre Augen für unerfreuliche und unausweichliche Wahrheiten zu öffnen. Das übermäßige Vertrauen in die Robustheit der amerikanischen Wirtschaft ist ein wenig eingeknickt, nachdem der ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe im Januar zum vierten Mal in Folge rückläufig war. Zudem geriet der unerschütterliche Glaube an die Macht der Zentralbanken erstmals ins Wanken, als die Bank of Japan drei Wochen nachdem sie diese Möglichkeit ausgeschlossen hatte, im Januar negative Leitzinsen festlegte. Statt zu fallen, reagierte der Yen mit einer kräftigen Aufwertung.

    Die Kurseinbrüche im Bankensektor haben ferner gezeigt, wie spät man sich darüber klargeworden ist, dass Gewinne des Bankensektors durch negative Zinsen und unverminderten Regulierungsdruck zunichte gemacht wurden. Das Erwachen der Märkte hat also begonnen. Doch die Herausforderungen, die auf sie zukommen, scheinen uns in ihrer Komplexität noch nicht bewusst zu sein. Angesichts der Gehaltlosigkeit des Schlusskommuniqués des G20-Gipfels in Shanghai haben wir den Eindruck, dass sich Zentralbanken wie auch Regierungen und in ihrem Gefolge zahlreiche Anleger weiterhin verhalten wie Schlafwandler, die vorangehen, ohne die Tragweite des sich vollziehenden Umbruchs zu erfassen (siehe die Carmignac's Note vom Juli 2015 "Der große Übergang hat begonnen"). Wir bleiben daher aus strategischen Gründen bei unserer zurückhaltenden Positionierung, aus dem September. Wir werden allerdings gleichzeitig mögliche Chancen nutzen, um bei Überreaktionen der Märkte günstig zu kaufen. Solche Gelegenheiten boten sich bereits Anfang des Jahres, als wir eine Auswahl von Aktien und Unternehmensanleihen aus dem Energiesektor kauften. In ihren Preisen spiegelten sich aus unserer Sicht die besonders negativen Einschätzungen der mittelfristigen Entwicklung des Ölpreises wider.

    Umbruch

    Es sei daran erinnert, dass die Wurzel des Problems darin liegt, dass die Überwindung einer schweren Finanzkrise für jede Volkswirtschaft äußerst schwierig ist. Japan machte diese Erfahrung nach 1990. Heute - nach der großen Finanzkrise von 2008 - sind Industrienationen ebenso wie Schwellenländer damit konfrontiert. Diese Krise wurde mit radikalen Mitteln behandelt - Geldschöpfung ungekannten Ausmaßes in der industrialisierten Welt und kolossale, mit Bankkrediten finanzierte Investitionsprogramme in China. All diese Maßnahmen sind verpufft und haben im Wesentlichen unerwünschte Folgen hinterlassen (das heißt die Mittel selbst sind für den Patienten gefährlich geworden).

    Diese Folgen für die Industrieländer sind: negative Zinsen, Anleihenblasen, schlechte Kapitalallokation und Verschärfung der Ungleichheiten. Gleichzeitig sind für China industrielle Überkapazitäten mit Deflationsdruck entstanden und der Bankensektor geriet stark in Schieflage. Im Bemühen, Konjunkturzyklen zu eliminieren, haben die Zentralbanken massive Ungleichgewichte erzeugt, aber es lediglich geschafft, den Zyklus zu verzögern. Heute stellt daher das Aufeinanderprallen des Konjunkturzyklus mit einem seit sieben Jahren kumulierten Ungleichgewicht das bedeutendste Risiko für die Märkte dar.

    Den Zentralbanken geht die Luft aus

    Theoretisch gibt es keine Grenzen für die Käufe von Finanzwerten ("quantitative Lockerung"), die eine Zentralbank tätigen kann. Mario Draghi versucht im Übrigen, die Märkte mit diesem Argument davon zu überzeugen, nicht an seinen Maßnahmen zu zweifeln. Doch in der Praxis muss jede Zentralbank die endlose Fortsetzung des Aufblähens ihrer Bilanz und die damit einhergehende Verschärfung der Ungleichgewichte hinterfragen. Denn die beständig sinkenden Inflationserwartungen belegen die Ineffizienz dieses Vorgehens. So hat die Fed bereits die Normalisierung ihrer Geldpolitik eingeleitet, in Japan und der Eurozone greift man, was früher unvorstellbar war, zu negativen Zinsen, um die inzwischen ausgereizte quantitative Lockerung zu unterstützen. Doch diese Mutationen werfen neue Risiken auf. Die Politik negativer Zinsen verschärft die Schwierigkeiten des Bankensektors. In den USA kollidiert die Absicht der Fed, einen erst vor drei Monaten eingeleiteten geldpolitischen Straffungszyklus fortzusetzen, bereits mit der Verlangsamung der US-Konjunktur. Das macht die Notwendigkeit, auf die nächsten Zinsanhebungen zu verzichten, plausibel. Dies würde aber dem Vertrauen, das die Fed bislang genoss, gewiss einen schweren Dämpfer verpassen. Es bedarf wohl keiner Erwähnung, dass eine zwangsläufige Rückkehr zu der im Oktober 2014 aufgegebenen quantitativen Lockerung ein ultimatives Eingeständnis des Scheiterns wäre.

    Konjunkturschwäche

    Die Märkte scheinen sich letztendlich von der Illusion gelöst zu haben, dass die amerikanische Wirtschaft nur in Form ihrer schwächelnden Erdöl- und Gasindustrie betroffen sein könnte. Heute ist offensichtlich, dass das gesamte verarbeitende Gewerbe angeschlagen ist. Aber die Konsensmeinung scheint sich noch in der Zuversicht zu wiegen, dass der amerikanische Verbraucher mit seiner legendären Robustheit von der Konjunkturschwäche unberührt bleibt. Aber der Vermögenseffekt erodiert: Die Verlangsamung des Anstiegs der Immobilienpreise und die Trendwende an den Börsen wird den amerikanischen Verbraucher treffen. Der Index des vom Conference Board gemessenen Verbrauchervertrauens ist im Februar stärker zurückgegangen, als von den meisten Ökonomen erwartet. Dies gilt insbesondere für die im Index enthaltenden Prognosen. Diese befinden sich auf einem Zweijahrestief. Die Ausgaben für Dienstleistungen beginnen ebenfalls nachzulassen. Ohne noch einmal auf das Kippen der amerikanischen Wirtschaft in die Rezession hinweisen zu müssen, halten wir die Konsensmeinung zum Wachstum der USA im Jahr 2016 daher für zu optimistisch.

    Dieselbe Selbstgefälligkeit herrscht in Europa. Dass die europäische Wirtschaft mithilfe des verzögerten Zyklus und Unterstützung einer sehr wohlwollenden Zentralbank ihr Wachstum weiter beschleunigen wird, erscheint uns illusorisch. Die Vertrauensumfragen von IFO und ZEW, die gewöhnlich ziemlich zuverlässige vorlaufende Indikatoren für Wendepunkte des deutschen Konjunkturzyklus sind, haben vor etwa sechs Monaten eine Trendwende vollzogen und ihr Rückgang hat sich im Februar noch weiter beschleunigt. Es ist nunmehr sehr wahrscheinlich, dass ein deutsches Wirtschaftswachstums von 1,75% im Jahr 2016 nach 1,45% im vergangenen Jahr deutlich verfehlt wird. Durch diese Dynamik wird die gesamte Eurozone in unterschiedlichem Ausmaß geprägt.

    Mittlerweile ist offensichtlich, dass China weiter schwächelt. Weniger verstanden wird hingegen, dass das Kreditwachstum heute deutlich über dem der Wirtschaft liegt. Das bedeutet für die chinesische Wirtschaft ein fortlaufendes Ansteigen des allgemeinen Verschuldungsniveaus. Wie üblich macht der Mangel an zuverlässigen bezifferten Daten eine abschließende Beurteilung über die tatsächliche Lage des Landes schwierig. Doch unseren Quellen nach, wie auch zahlreichen China-Besuchen, nehmen die kritischen Faktoren in jüngster Zeit zu. Insbesondere die Höhe der Kapitalabflüsse, das Ausmaß der industriellen Überkapazitäten und die Qualität der Bilanzen im Bankensektor bilden eine ganze Reihe von Herausforderungen. Diese müssen die chinesischen Behörden schon bald zusätzlich zu den langfristigen Reformen auf noch konsequentere Weise in Angriff nehmen. Dass man dabei auf eine akkommodierendere Geldpolitik und eine schwächere Währung verzichten kann, erscheint uns auf Dauer eher unwahrscheinlich.

    Den Hintergrund dieser besorgniserregenden Bilanz bilden übermäßig verschuldete und damit für einen Mangel an Wachstum und Inflation besonders anfällige Volkswirtschaften. Hinzu kommen zunehmende politische Instabilität. All dies bestätigt uns in unserer vorsichtigen Haltung umso mehr. Das Risikomanagement bleibt daher zu Beginn dieses Jahres unsere Priorität. Wir nutzen hierzu das übliche Spektrum unserer Instrumente: Absicherungen auf Indizes und Sektoren, Positionen in amerikanischen Staatsanleihen sowie Exposures im Dollar und im Yen. So wollen wir unsere umfangreichen und auf starken Überzeugungen basierenden Anlagen in den Wachstumssektoren vor den unmittelbaren Marktrisiken zu schützen.




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    Marktkommentar Didier Saint-Georges (Carmignac): Die Schlafwandler Wie von uns vorhergesagt, haben die Märkte Anfang 2016 begonnen, ihre Augen für unerfreuliche und unausweichliche Wahrheiten zu öffnen. Das übermäßige Vertrauen in die Robustheit der amerikanischen Wirtschaft ist ein wenig eingeknickt, nachdem der ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe im Januar zum vierten Mal in Folge rückläufig war. Zudem geriet der unerschütterliche Glaube an die Macht der Zentralbanken erstmals ins Wanken, als die Bank of Japan drei Wochen nachdem sie diese Möglichkeit ausgeschlossen hatte, im Januar negative Leitzinsen festlegte. Statt zu fallen, reagierte der Yen mit einer kräftigen Aufwertung.