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    Marktkommentar  2701  0 Kommentare Stephanie Flanders (JPMorgan): Die EZB schlägt zurück

    Zusammenfassung

    - Das Konzept der quantitativen Lockerung erhielt letzte Woche eine neue Bedeutung, da die Europäische Zentralbank (EZB) nicht nur eine sondern sechs einzelne Maßnahmen bekanntgab, um die Wirtschaft in der Eurozone zu stützen und die Inflation anzuheben.

    - Dieser Angriff an allen Fronten soll die Entschlossenheit der Zentralbank signalisieren. An einem Tag, an dem die EZB gleichzeitig aber ihre Prognosen für das Wachstum und die Inflation in der Eurozone deutlich senkte, schwang dabei auch ein Hauch von Verzweiflung mit.

    - Das Paket zeigte, dass die EZB aus der unrühmlichen Erfahrung der Bank of Japan mit Negativzinsen gelernt und sich intensiv mit den Auswirkungen für die Banken auseinandergesetzt hatte. Die neuen Maßnahmen verstärken auch den Fokus auf die Kreditvergabe der Banken, anstatt auf den Wechselkurs, als entscheidender Kanal für die Währungspolitik.

    - Allerdings verdeutlichte das Eingeständnis von EZB-Präsident Mario Draghi, dass er - trotz einer Inflationsprognose von nur 1,6 % für das Jahr 2018 - nicht von einer weiteren Zinssenkung ausgehe, auch die Grenzen von Maßnahmen der Zentralbank in diesem Umfeld. Europäische Finanzaktien stiegen zunächst um 3,5 %, fielen nach den Äußerungen Draghis jedoch wieder, wodurch die Rallye des Aktien- und Anleihenmarktessich abschwächte und die Währung am Ende des Tages um 0,3 % höher notierte als der US-Dollar.

    Wichtige währungspolitische Maßnahmen

    - Der Einlagenzinssatz wurde erwartungsgemäß um 10 Bp. auf -0,4 % gesenkt. Es gab aber auch eine überraschende Senkung des Hauptrefinanzierungszinssatzes um 5 Bp. sowie des Zinssatzes für die Spitzenrefinanzierungsfazilität um 5 Bp. auf 0 %.

    - Das Staatsanleihenkaufprogramm (quantitative Lockerung, QE) wurde um 20 Mrd. Euro auf 80 Mrd. Euro pro Monat erhöht, wobei der Endpunkt - derzeit März 2017 - aber nicht verlängert wurde.

    - Der Umfang von Anlagekäufen wurde erweitert, sodass nun auch Unternehmensanleihen mit Investment Grade außerhalb des Bankensektors eingeschlossen sind.

    - Es wird eine neue Runde von vier gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäften (TLTROs) geben, von denen jedes eine Laufzeit von vier Jahren hat. Banken werden zunächst Geld zum Refinanzierungssatz bzw. 0 % aufnehmen. Sie können jedoch Kredite zu negativen Zinsen aufnehmen, wenn sie das zulässige Kreditvolumen (Nicht-Hypothekargeschäft) um mehr als 2,5 % erhöhen. Das bedeutet, dass die EZB die Banken bezahlt, damit diese neue Kredite gewähren.

    Analyse und Hintergrund

    Indem sie an so vielen Fronten gleichzeitig tätig wurde, wollte die EZB offensichtlich diejenigen zum Schweigen bringen, die so häufig die Grenzen der Währungspolitik in einem negativen Zinsumfeld betont hatten. Ihre eigenen neuen Wirtschaftsprognosen gaben ihr aber einen weiteren Grund tätig zu werden, denn sowohl bezüglich der Inflation als auch bezüglich des Wachstums lagen sie deutlich unter den Erwartungen. Die Prognose für den Kern-Verbraucherpreisindex 2016 verringerte sich von 1,0 % im Dezember auf nun 0,1 %. Die Wachstumsprognose für 2016 wurde von 1,7 % auf 1,4 % reduziert, was unterhalb der im Jahr 2015 in der Region erzielten Rate liegen würde.

    Die Erweiterung des monatlichen Lockerungsprogramms der EZB ist unbestritten und sendet das hilfreiche Signal, dass negative Zinssätze nicht das einzige Instrument sind, das die EZB noch in petto hat. Die Erweiterung des Umfangs von Anleihekäufen zur Einbeziehung von Nicht-Finanzanleihen mit Investment Grade hilft ebenfalls, vor allem da es den nationalen Behörden freigestellt werden wird, wie sie selbst die jeweiligen Zuweisungen vornehmen. Der Euro Corporate Bond Index beträgt etwa nur 20 % des Euro Government Bond Index, daher könnte dieser Schritt den Umfang der offiziellen Anleihenkäufe um nahezu 1 Billion EUR erhöhen, wobei der jeweilige Umfang der öffentlichen und privaten Anleihemärkte jedoch von Land zu Land erheblich schwankt.

    Beschwerden von Experten bezüglich der Auswirkungen negativer Leitzinsen hatten die EZB vor ihrer Sitzung in eine heikle Lage versetzt: Entweder würde sie beschuldigt werden, sich zu wenig um den Finanzsektor zu bemühen, oder aber zu viel. Es scheint aber so, als habe sie durch die Einführung der neuen, gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (TLTROs) beide Extreme vermieden, da diese die Auswirkungen negativer Zinsen für die Banken abfedern. Das gilt aber nur insoweit als diese Banken Kredite an reale Unternehmen und Privathaushalte vergeben. Unserer Einschätzung nach besitzt das neue TLTRO-Programm das Potenzial, die Bilanzsumme der EZB um 1,25 Billionen Euro auszuweiten. Für die Banken in den Peripherieländern dürfte dies besonders hilfreich dabei sein, die Auswirkungen negativer Zinssätze auf die Profitabilität zu kompensieren.

    Die Konzentration auf die Kreditvergabe als entscheidender Kanal in der Währungspolitik hilft auch bei der Abwehr der Kritik, dass die EZB nur an einer Anhebung der Inflation durch gleichzeitige Abwertung des Euro interessiert sei. Sollte dies immer noch ein zentrales Ziel der Währungspolitik sein, so hat es bisher jedenfalls nicht sehr gut funktioniert. Im Verhältnis zum US-Dollar ist der Euro jetzt stärker als zu dem Zeitpunkt, als die EZB mit dem Kauf von Staatsanleihen begann. Sogar während der Pressekonferenz von Draghi zog er noch weiter an.

    Draghis Äußerungen bezüglich weiterer Zinssenkungen standen im Einklang mit der Entscheidung, keine gestaffelten Zinssätze einzuführen, um die unerwünschten Nebeneffekte negativer Zinsen zu begrenzen. Draghi sagte, der EZB-Rat habe sich gegen eine solche Staffelung entschieden - teilweise aufgrund der Befürchtung, dies könnte signalisieren, dass die Zinssätze noch deutlich weiter sinken werden.

    Allerdings passen diese Bemerkungen nicht recht mit der Behauptung zusammen, die EZB habe noch weitere Asse im Ärmel bzw. mit der revidierten Prognose der EZB-Mitarbeiter, laut derer die Inflation in der Eurozone nur auf 1,3 % im Jahr 2017 und 1,6 % bis Ende 2018 steigen wird. Das offizielle mittelfristige Inflationsziel lautet "unterhalb von, aber nahe an 2 %". Entweder setzen die EZB-Mitarbeiter diese Prognose für 2018 bewusst niedrig an oder der EZB-Rat hat sein mittelfristiges Ziel herabgesetzt, um den Zwängen der Währungspolitik an der unteren Grenze zu genügen.

    Im Endeffekt scheint es so zu sein, dass einige sehr clevere Leute bei der EZB arbeiten, die in der Lage sind, clevere Lösungen für die zahlreichen technischen Probleme zu finden, die ein negatives Zinsumfeld mit sich bringt. Trotzdem können sie das grundlegende Problem nicht lösen, dass die Währungspolitik jetzt weniger effektiv - und eher anfällig für unangenehme Nebenwirkungen - ist, als sie es bei einem um zwei- oder dreihundert Basispunkte höheren Zinssatz war.

    Auswirkungen für die Anleger

    Möglicherweise sind die Zeiten vorbei, in denen Mario Draghi das Umfeld für Anleger aus der Eurozone eigenhändig verändern konnte. Die Breite und Komplexität der angekündigten Schritte haben den Schwarzmalern jedoch einige Antworten geliefert und dürften die Anlagen in der Eurozone bis zu einem gewissen Maß unterstützen. Angesichts der sehr kleinen angekündigten Zinsänderungen sehen wir nur wenige bedeutende Auswirkungen für den Euro.

    Die Wirtschaftsdaten deuten auf eine moderate Erholung in der Eurozone hin, die durch Konsumausgaben und eine vermehrte Kreditvergabe an Unternehmen und Privathaushalte begünstigt wird. Das ist eine deutliche und willkommene Verbesserung im Vergleich zu vor ein paar Jahren und bietet einzelnen Unternehmen, insbesondere in binnenwirtschaftlich ausgerichteten Sektoren, zahlreiche Chancen. Die Region braucht aber ein schnelleres Wachstum, damit die Arbeitslosigkeit deutlich zurückgeht. Die Anleger werden bezüglich ihrer Anlagen in der Eurozone sicherlich weiter nervös bleiben, bis sie überzeugendere Anhaltspunkte für ein schnelleres Wachstum der Unternehmensgewinne und höhere Investitionen der Unternehmen erkennen.

    Die EZB hat der Welt gezeigt, dass sie noch viel mehr tun könnte. Aber nicht alles, was möglich ist, ist auch vernünftig. Die Grenzen dessen, was die EZB in diesem Umfeld vernünftigerweise tun kann, sind ebenfalls deutlicher geworden. Diese umfassendere Debatte könnte sich noch einige Zeit auf die Stimmung an den Märkten auswirken.

    Stephanie Flanders, Chief Market Strategist für Großbritannien und EMEA



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    Marktkommentar Stephanie Flanders (JPMorgan): Die EZB schlägt zurück Indem sie an so vielen Fronten gleichzeitig tätig wurde, wollte die EZB offensichtlich diejenigen zum Schweigen bringen, die so häufig die Grenzen der Währungspolitik in einem negativen Zinsumfeld betont hatten. Ihre eigenen neuen Wirtschaftsprognosen gaben ihr aber einen weiteren Grund tätig zu werden, denn sowohl bezüglich der Inflation als auch bezüglich des Wachstums lagen sie deutlich unter den Erwartungen. Die Prognose für den Kern-Verbraucherpreisindex 2016 verringerte sich von 1,0 % im Dezember auf nun 0,1 %. Die Wachstumsprognose für 2016 wurde von 1,7 % auf 1,4 % reduziert, was unterhalb der im Jahr 2015 in der Region erzielten Rate liegen würde.