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    Kolumne  1903  0 Kommentare Dr. Jens Bies (SKALIS): Die EZB beschließt neue Wege zur Deflationsbekämpfung und Bankenrettung

    Was für ein Maßnahmenkatalog mag man denken, wenn man sich ansieht, was die EZB in der mit Spannung erwarteten März-Sitzung beschlossen hat. Das Maßnahmenpaket war sogar deutlich umfangreicher als der Markt dies erwarten konnte. Der Rat reagierte damit auf eine deutliche Abwärtsrevision des Inflationsausblicks und einer Eintrübung der Finanzierungskonditionen. Nichtsdestotrotz war die positive Reaktion der Risikomärkte nur kurzlebig und nach einer ersten Euphoriewelle begannen speziell die Aktienmärkte, aber auch andere Märkte (u.a. Peripherie-Risikoaufschläge, USD vs. EUR) wieder deutlich abzuverkaufen. Viele dieser Vermögenspreise konnten sich zwar im Monatsverlauf wieder stabilisieren, doch große Teile des Maßnahmenpakets scheinen bereits nach kurzer Zeit wieder verpufft zu sein. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die EZB noch Reserven hat, um die Durchschlagskraft für nachhaltige Vermögenspreisanstiege zu erhöhen bzw. ob die angekündigten Maßnahmen nachhaltig positive Effekte auf die ökonomische Entwicklung (u.a. Konsum, Verbraucherpreise, Kreditnachfrage) haben. Momentan scheinen die Zentralbanken im Allgemeinen und die EZB im Besonderen das Vertrauen der Märkte verloren zu haben, was angesichts der geringen Erfolge des bereits seit März 2015 eingeführten Rückkaufprogramms und der aktuell schwierigen politischen Lage innerhalb der Europäischen Union (u.a. "Brexit", Flüchtlingskrise) wenig verwunderlich ist. Doch unabhängig von der bestehenden Vertrauenskrise möchte ich an dieser Stelle versuchen, die beschlossenen Maßnahmen der EZB zu bewerten und bezüglich eines potentiellen zukünftigen Erfolges zu interpretieren.

    Schauen wir uns zunächst noch einmal die beschlossenen Maßnahmen der EZB vom 10. März 2016 an. Neben einer (erwarteten) Senkung des Einlagensatzes um 10 Basispunkte auf -0,4% hat der EZB-Rat den Haupt- und den Spitzenrefinanzierungssatz um jeweils 5 Basispunkte auf 0,0% bzw. 0,25% gesenkt. Bezüglich des QE-Programms gab es auch einige Veränderungen. Die monatlichen Rückkäufe i.H.v. EUR 60 Mrd. wurden um weitere 20 Mrd. auf nun EUR 80 Mrd. ausgeweitet. Die Aufstockung gilt ab dem 01. April, wobei die Koppelung der Käufe der Staats- und staatsnahen Anleihen (Agencies, Supras, Regionals) an den Kapitalschlüssel der jeweiligen Länder beibehalten wurde. Das bedeutet zukünftig den Kauf von ca. EUR 65 Mrd. für dieses Segment. Das EUR 10 Mrd. schwere Rückkaufprogramm von Covered Bonds (und ABS-Papieren) bleibt unverändert bestehen. Zudem wurde die Liste der ankaufbaren Wertpapiere um in Euro denominierte Unternehmensanleihen (ohne Banken) aus der Eurozone im Investment Grade-Bereich erweitert, was zwar von den meisten Marktteilnehmern andiskutiert, aber aufgrund von politischen Schwierigkeiten als eher unrealistisch angesehen wurde. Das QE-Programm für Unternehmensanleihen startet im Juni 2016, wobei von monatlichen Rückkäufen i.H.v. ca. EUR 5 Mrd. ausgegangen werden kann. Eine weitere Überraschung offenbarte sich durch den Beschluss von vier weiteren, langfristigen Refinanzierungstendern (TLTRO 2) mit einer Laufzeit von jeweils vier Jahren ab Juni 2016 und günstigen Kreditkonditionen, bestenfalls zum Einlagensatz von -0,4%. Durch die Ausweitung der expansiven Maßnahmen und die Etablierung neuer Methoden zur Stimulierung der Wirtschaft und zur Unterstützung des Bankensystems hat die EZB die Erwartungen des Marktes zunächst übererfüllt. Die Rechtfertigung Draghis, kein mehrstufiges Einlagensatzsystem analog zur Methode der Bank of Japan (BoJ) eingeführt zu haben, hat die Märkte jedoch enttäuscht. Anscheinend wollte die EZB nicht das Signal aussenden, dass die Zinsen noch sehr viel weiter in den negativen Bereich sinken werden, was sämtliche Fantasien bezüglich weiterer Zinssenkungen zunichtemachte. In der Folge wurde somit ein positives Marktsignal durch Inkonsequenz bzw. falsche Rhetorik zerstört, was speziell den Risikomärkten im momentan schwierigen Kapitalmarktumfeld nicht gerade hilft. Somit gilt auch hier wieder die alte Weisheit "Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht!".

    Trotz dieser miserablen Kommunikation sind viele Maßnahmen der EZB v.a. auf eine Verbesserung der Finanzierungskonditionen der Banken und Unternehmen ausgerichtet. Aus meiner Sicht war v.a. die Erweiterung des QE-Programms um eine weitere Assetklasse ein starkes Signal. Im Rahmen des Corporate Sector Purchase Programme (CSPP) werden ab Juni 2016 in Euro denominierte Unternehmensanleihen von Emittenten aus der Eurozone mit Ausnahme von Banken, die ein Investment Grade Rating besitzen, angekauft. Damit bevorzugt die EZB große gegenüber kleineren Unternehmen. Dieses Programm zielt also unmittelbar darauf ab, die Finanzierungs-konditionen der Unternehmen in der Währungs-union zu verbessern.

    Doch wie wird dieses Programm voraussichtlich aussehen und wie ist diese Maßnahme zu interpretieren?

    Unter der Prämisse, dass keinerlei Einschränkungen bezüglich der Laufzeiten existieren, wäre das Investment Grade-Universum von Nicht-Finanzunternehmen im Euroraum von europäischen Schuldnern bei ca. EUR 730 Mrd. Setzt man nun ein 33% Emittentenlimit für die Rückkäufe an, so verbleiben ca. EUR 240 Mrd. Reduziert man diesen Wert noch derart, dass die EZB ähnlich wie bei den Staats- oder staatsnahen Anleihen nur zwei- bis dreißigjährige Bonds ankauft, landet man bei verbleibenden, potentiellen Käufen von ca. EUR 180 Mrd. Da ich davon ausgehe, dass die EZB ca. EUR 5 Mrd. kauft, wird sie bis März 2017 ca. ein Drittel der möglichen EUR 180 Mrd. erworben haben. Bezogen auf den gesamten Investment Grade Markt sind das knapp 10%. Da momentan noch viele Fragen bezüglich des Programms offen sind, befinden wir uns, was die genaue Ausgestaltung angeht, ein wenig im luftleeren Raum. Ich halte es jedoch für wahrscheinlich, dass die EZB private Platzierungen und/oder sehr kleine Emissionsvolumen ausschließt, was allerdings den Spielraum für die Notenbank noch mehr reduzieren dürfte. Auch halte ich es für unrealistisch, dass sich die EZB an dem Kapitalschlüssel orientiert, da sonst extreme Verwerfungen zwischen den einzelnen Ländern aufkommen sollten. Insgesamt sehe ich das Programm als sehr positiv. Einerseits für die Risikoaufschläge der Anleihen, die die EZB direkt kauft, andererseits für die Risikoaufschläge von Anleihen, die indirekt davon betroffen sind. Auf der Suche nach Rendite werden viele Investoren auch in den High Yield und Emerging Market Bereich investieren, auch und gerade vor dem Hintergrund, dass man sich in den entwickelten Ländern auf absehbare Zeit an negative oder zumindest Zinsen nahe Null gewöhnen muss. Mit anderen Worten: Solange die Notenbank ein natürlicher Käufer dieser Papiere ist, sollten Risikoassets auf der Bondseite weiterhin unterstützt sein! Ganz anders sieht die Lage bei Aktien aus. Diese werden in einer immer schwieriger werdenden Zeit vom Liquiditätsmangel zweckentfremdet. Oftmals werden sie zur Absicherung des Bondportfolios herangezogen und/oder müssen für moderatere Makro-Zahlen herhalten. Eine nachhaltige Erholung an den Aktienmärkten kann aus meiner Sicht nur erfolgen, wenn sich die konjunkturelle Situation flächendeckend stabilisiert bzw. sich die politische Situation nachhaltig verbessert, wobei gerade letzteres den Kapitalmärkten aktuell augenscheinlich am meisten Sorgen macht. Ob nun das CSPP wirklich dazu beiträgt, dass die Kreditnachfrage und/oder Investments anziehen, bleibt zumindest fraglich, da die Unternehmen aktuell keine wirklichen Liquiditätsprobleme haben und die politische Situation innerhalb der Europäischen Union mittelfristige Investmentprojekte zumindest erschwert.

    Ausnahmslos positiv sehe ich den Effekt des CSPP jedoch für Banken. Die steigenden Unternehmensanleihen in den Bankbilanzen dürften die Sorgen um die Banken im Euro-Raum ein wenig abmildern. Entlastung für die Banken schafft die EZB aber hauptsächlich durch das Absenken des Haupt-refinanzierungssatzes und die neuen zielge-richteten Langfristtender (TLTRO 2). Letztere Maßnahme zielt v.a. auf Banken ab, die Liquidität bei der EZB nachfragen. Diese Liquidität, die wie beim ersten TLTRO an die Entwicklung der Kreditvergabe der Banken gekoppelt ist, wird bei jeder Tranche mit dem jeweils geltenden Hauptrefinanzierungssatz bepreist. Basierend auf der Kreditentwicklung der Banken gegenüber einer Benchmark können diese aber einen Rabatt auf diesen Zinssatz bis hin zum Einlagensatz von -0,4% erhalten. In diesem Fall erhalten die Banken direkt eine Prämie dafür, dass sie Kredite an die Realwirtschaft vergeben. Die vier neuen TLTRO's werden auf Quartalsbasis im Zeitraum von Juni 2016 bis März 2017 durchgeführt und haben eine Laufzeit von jeweils vier Jahren. Der Umfang ist für jedes Kreditinstitut auf bis zu 30% ihrer laufenden Kredite an Nichtfinanzunternehmen und Haushalte (ex. Hypotheken) beschränkt. Für die Eurozone summiert sich das Gesamtvolumen der im Zuge der TLTRO 2 möglichen abrufbaren Gelder auf ca. EUR 1,7 Billionen. Abzuziehen sind da noch die Gelder, die bereits im Zuge der beiden Tranchen aus dem TLTRO 1-Programm ausgegeben wurden, was in etwa 212 Mrd. EUR entspricht. Banken mit einer positiven Nettokreditvergabe im 12-Monats-Zeitraum vor dem 31. Januar 2016 müssen ihren relevanten Kreditbestand bis zum 31. Januar 2018 nur minimal steigern (>0%), um einen Zinsbonus von der EZB zu erhalten. Den maximalen Bonus können sie erreichen, wenn sie den relevanten Kreditbestand um mindestens 2,5% ausweiten. Banken mit einer negativen Kreditvergabe im 12-Monats-Zeitraum vor dem 31. Januar 2016 müssen ihren Kreditbestand in den folgenden zwei Jahren nur etwas weniger deutlich schrumpfen als sie dies zuvor getan haben, um von einer Zinsreduktion zu profitieren. Kurz um, die Messlatte liegt vergleichsweise niedrig, um einen Zinsbonus zu erhalten. Die EZB schafft damit einen deutlichen Anreiz, die Kreditvergabe der Banken an den Privatsektor zu steigern. Banken haben also zum ersten Mal die Chance, sich bei der EZB zu negativen Zinsen zu refinanzieren, was im Prinzip Zinseinnahmen für Ausleihungen gleichkommt. Von daher sind die TLTRO 2-Maßnahmen als sehr positiv zu interpretieren, speziell vor dem Hintergrund, dass die Zinsmargen der Banken von der Negativzinspolitik stark belastet werden und die EZB somit aufgrund von niedrigerer Profitabilität den Wachstumskurs der Banken gefährdet. Ich denke, dass speziell bei Peripheriebanken aus der zweiten oder dritten Reihe, die vergleichsweise wenige Überschussreserven bei der EZB haben, überproportional von dem neuen TLTRO 2-Programm profitieren dürften. Bei Großbanken aus den Kernländern sowie Großbanken aus den Peripherieländern mit bedeutender Reservehaltung bei der EZB dürften die Verluste aus den geringeren Zinsmargen nicht ganz durch die neuen Programme ausgeglichen werden.

    EZB-Chef Draghi geht davon aus, dass die Geschäftsbanken bei diesen Refinanzierungsoperationen beherzt zugreifen werden und so sieht er die neuen TLTROs zumindest als gute Möglichkeit, fällig werdende Refinanzierungen am Kapitalmarkt abzulösen. Ob die neuen TLTRO's die Kreditnachfrage nachhaltig beflügeln, bleibt jedoch abzuwarten. Zwar äußerte sich "Super Mario" zuletzt zuversichtlich hinsichtlich der Erholung der Kreditvergabe im Euroraum, allerdings bescheinigte er weiterhin ein zu niedriges Niveau, woraus meines Erachtens eine gewisse Unzufriedenheit bezüglich der Effektivität der bereits ins Leben gerufenen Maßnahmen abzulesen ist. Diese Unzufriedenheit und eine gewisse Skepsis, ob die EZB-Milliarden der Realwirtschaft nennenswert helfen, spiegelt sich auch in den letzten Ergebnissen der Bank Lending Survey vom Januar 2016 wieder. Darin erklärten nur ca. 5% der Banken, dass sie ihre Kreditvergabekriterien aufgrund des Anleihenkaufprogramms gelockert hätten. Auch bei den Kreditzinsen gaben im Januar 2016 nur ca. ein Viertel der befragten Banken an, dass sie infolge von QE günstigere Kreditbedingungen, also z.B. geringere Zinsaufschläge, angeboten hätten. Insofern verwundert es nicht, dass sich die Wachstumsrate der Kredite mit Beginn der Anleihenkäufe nicht deutlicher beschleunigt hat. Dass die Kreditvolumina überhaupt wieder leicht steigen und nicht mehr sinken, liegt anscheinend auch daran, dass die Banken unabhängig von QE bereits Fortschritte beim Bereinigen ihrer Bilanzen erzielt haben.

    Zudem bescheinigte im Schnitt nur ca. ein Fünftel der Banken der EZB, dass sie die zusätzliche Liquidität auch in beträchtlichem Maße für die Kreditvergabe an Nicht-Finanzunternehmen verwendet hat. Über 50% äußern sich zumindest derart positiv, dass sie etwas von der Liquiditätsspritze der EZB zu diesem Zweck verwendet haben. Allerdings gilt es hierbei zu berücksichtigen, dass die Banken zumindest die letzten TLTROs kaum nachgefragt haben. Das Volumen des letzten TLTRO lag vermutlich wegen der enormen Überschussliquidität sogar unter 20 Mrd Euro. EZB-Präsident Draghi zeigte sich allerdings auf der letzten Pressekonferenz überzeugt, dass die EZB die neuen TLTROs so attraktiv gestaltet hat, dass die Nachfrage der Banken nach den zielgerichteten Tendern steigt.

    Aber damit es dazu kommt, müssen die Banken auch überzeugt sein, dass die Kreditnachfrage merklich wächst. Aktuell weist der Nettokreditfluss seit 2013 wieder einen steigenden Trend auf und befindet sich zum Ende des Jahres 2015 wieder in einem deutlich positiven Terrain, auch wenn wir noch deutlich von den Niveaus aus 2010 und noch deutlicher von den Niveaus vor der Finanzkrise entfernt sind. Insgesamt schwächen die negativen Nebenwirkungen der EZB-Politik (Fehlallokation von Kapital, Risiko der Blasenbildung, weniger Produktivitätswachstum, Reformstau bei den Regierungen, etc.) die Rahmenbedingungen für die Unternehmen, worauf sie bereits heute mit Zurückhaltung reagieren. Auch deshalb haben die Unternehmen im Euroraum ihre Investitionen seit dem Abklingen der Finanzmarktkrise nur wenig erhöht. Viele Unternehmen haben weiterhin hohe Cashbestände und sind deshalb nur bedingt liquiditätssensitiv. Angesichts der bestehenden Risiken für den Konjunkturausblick ist es somit fraglich, inwieweit die Unternehmen die billigen Kredite auch tatsächlich nachfragen und für Investitionen nutzen. Auch die Senkung des Einlagenzinses von bisher -0,3% auf nunmehr -0,4% wird der Realwirtschaft kaum helfen. Stattdessen könnte die Zinssenkung sogar zu etwas höheren Kreditkosten führen. So zeigen die Erfahrungen in der Schweiz und in Dänemark, dass Banken anders als bei positiven Zinsen zögern, sinkende Geldmarktsätze an die Inhaber von Termin- und Spareinlagen weiterzugeben. Denn bei einem negativen Satz für diese Einlagenformen könnten viele Kunden ihre Einlagen abziehen und stattdessen Bargeld halten, womit eine wichtige Refinanzierungsquelle der Banken versiegen würde. Um dies zu verhindern, könnten Banken auf tiefere Einlagenzinsen verzichten und versuchen ihre dabei entstehenden Verluste durch höhere Kreditzinsen auszugleichen.

    Wenn die Kredite allerdings nicht auf die gewünschten Niveaus anspringen bzw. wenn die Maßnahmen nicht wie gewünscht wirken, was hilft dann? Ich vertrete schon seit langem die Auffassung, dass die EZB-Geldpolitik in der Vergangenheit allenfalls über den Wechselkurs wirkte. Auch die EZB setzt sicherlich Hoffnungen auf einen anhaltend schwächeren Euro. Wie gut helfen denn hier die neuen Maßnahmen?

    Ob der Euro weiter abwertet, hängt meines Erachtens weniger von der genauen Zusammensetzung und der Umsetzung des jetzt beschlossenen Maßnahmenpakets ab, sondern davon, ob die EZB die Fantasie auf weitere (Zins)schritte und/oder Maßnahmen aufrechterhält. Nach einer Abwertung nach Bekanntgabe der diversen Maßnahmen, wertete der EUR bezeichnenderweise merklich auf, unmittelbar nachdem der EZB-Präsident betont hatte, dass auf Basis der aktuellen Einschätzung eine nochmalige Zinssenkung unwahrscheinlich ist. Aufgrund des Renditeniveaus und der negativen Auswirkungen von Negativzinsen ist der Zinssenkungsspielraum beschränkt, solange die EZB sich nicht dazu entschließt, einen gestaffelten Einlagenzins einzuführen, um die Überschuss-reserven der Banken teilweise vom Strafzins auszunehmen. Im März-Meeting hatte die EZB darauf verzichtet, weil die Einführung eines derart gestaffelten Systems laut EZB-Präsident Draghi sehr komplex sei und weil man dem Markt signalisieren wollte, dass die Zinsuntergrenze so gut wie erreicht ist. Zukünftig kann sich die Währung nur weiter abschwächen, wenn neue Fantasien bezüglich schärferer Maßnahmen aufkommen bzw. andere Zentralbanken einen vergleichsweise moderateren Kurs einschlagen. Nichtsdestotrotz schwindet der Einfluss auf den Wechselkurs, weil beim Markt auch ein Gewöhnungseffekt eingetreten ist und viele Marktteilnehmer gesehen haben, dass die bislang etablierten Maßnahmen nur bedingt geholfen haben. Dies ist keine neue Entdeckung, auch andere Zentralbankenhaben diese Erfahrung bereits gemacht.

    Aufgrund des deflationären Impulses haben Zentralbanken weltweit, mehr oder weniger unisono, mit einer zunehmend expansiven Haltung reagiert. Zinssenkungen und QE-Programmen zum Trotz ist die Inflation heute jedoch weiterhin niedrig. So niedrig, dass sich viele für eine weitere Lockerung ihrer Politik entschieden haben. Neben der EZB hat die BoJ im Januar überraschend negative Zinsen eingeführt. Die schwedische Riksbank hat ihren Leitzins kurz vor der EZB auf nunmehr -0,50% gesenkt und die norwegische Norges Bank hat trotz vergleichsweise hoher Inflationszahlen eine weitere Zinssenkung unternommen. Ebenso wie die Zentralbank Neuseelands, die ihren Leitzins senkte und weitere Senkungen in Aussicht gestellt hat. In Anbetracht der offensichtlichen Bereitschaft der Zentralbanken alles Mögliche zu tun, um ihrem Inflationsziel näher zu kommen, verwundert es nicht, dass immer wieder spekuliert wird, dass die Notenbanker mit ihrer derzeitigen Politik auch auf den Wechselkurs abzielen. Ob dies nun wirklich so ist, sei dahin gestellt, aber die Vermutung liegt nahe, dass die Zentralbanken, die derzeit auf eine zunehmende Ausweitung der Geldpolitik setzen, den Wechselkurs derzeit als geeignetes Mittel zur Inflationsgenerierung ansehen. Nachdem sowohl andere konventionelle als auch unkonventionelle Maßnahmen nicht zu fruchten scheinen, bleibt zumindest die Hoffnung, durch eine Abwertung der Landeswährung und die damit verbundenen steigenden Importpreise etwas Preisdruck zu generieren. In der Vergangenheit hat sich die Hoffnung nach einer schwachen Währung durchaus erfüllt, aber da Währungen auf relativer Basis gehandelt werden und mittlerweile die meisten Zentralbanken im G10-Universum den Abwertungswunsch hegen ("Beggar-thy-Neighbor" Politik), scheint der marginale Effekt expansiver Maßnahmen auf die Wechselkurse stark nachzulassen, ja sich zum Teil sogar ins Gegenteil gekehrt zu haben. So legte der japanische Yen (JPY) trotz der Einführung von Negativzinsen deutlich zu, der EUR steht trotz der jüngsten Ankündigungen der EZB bei 1,14 USD und auch die schwedische Krone konnte in diesem Jahr an Wert gewinnen, obwohl die Riksbank sogar offiziell signalisierte, dass sie offen für eine mögliche Devisenmarktintervention ist. Betrachtet man die Entwicklung der handelsgewichteten Währungs-indizes seit Beginn 2016, so fällt auf, dass sich der JPY, der EUR, der australische Dollar (AUD) sowie die norwegische (NOK) und schwedische Krone (SEK) unter den Gewinnern des Jahres befinden. Die Zentralbanken, so scheint es fast, stehen nicht nur dem Mangel an Inflation hilflos gegenüber, ihr Einfluss auf den Devisenmarkt schwindet ebenfalls zusehends.

    In der Gänze betrachtet haben die europäischen Währungshüter im März wahrlich ein geldpolitisches Feuerwerk abgebrannt. So wird marktseitig bereits darüber diskutiert, inwieweit der geldpolitische Werkzeugkasten nunmehr gänzlich ausgereizt ist. Diese Rückschlüsse halte ich jedoch für ein wenig überzogen. Die Zinssätze dürften sicherlich einen Boden gefunden haben, deutlich tiefere Zinssätze sind in Anlehnung der Erfahrungen anderer Länder und der negativen Auswirkungen für die Banken kontraproduktiv. Eine weitere Ausweitung bzw. Adjustierung der QE-Maßnahmen ist aber durchaus vorstellbar. Vergleicht man das QE-Programm der EZB mit den drei großen Währungsräumen UK, USA und Japan, besteht durchaus noch Luft nach oben ist. Während die EZB mittlerweile ca. 14% des europäischen BIP aufkauft, hat die englische Notenbank Bank of England (BoE) sowie die amerikanische Zentralbank Fed in ihren damaligen QE-Programmen bezogen auf das BIP mit 18% bzw. 26% deutlich mehr aufgekauft. Die BoJ hat in Japan über ein in der Dimension astronomisch hohes Rückkaufprogramm mit offenem Ende sogar knapp 70% des BIP gekauft, Tendenz steigend. Die BoJ beweist damit allerdings auch, dass die Größe eines QE-Programms nicht unbedingt ein Beleg für nachhaltig, konjunkturfördernde Maßnahmen sein muss. Dies soll mithin nur veranschaulichen, dass bei der EZB noch weitere Maßnahmen möglich und keineswegs das Ende der Fahnenstange erreicht sein muss.

    Darüber hinaus hat die EZB bereits gezeigt, wie flexibel und wie anpassungsfähig sie in diesen Zeiten sein kann. Wer hätte denn gedacht, dass die EZB trotz aller politischen Schwierigkeiten Unternehmensanleihen kauft? Und wer kann denn ausschließen, dass sie vielleicht irgendwann High Yield Anleihen und/oder Aktien-ETF's kauft? Alles ist grundsätzlich vorstellbar; auch das z.Zt. oftmals zitierte Konzept des "Helicopter Money". Draghi äußerte sich zumindest in der letzten Pressekonferenz dahingehend, dass er es als ein sehr interessantes Konzept ansehen würde. Nichtsdestotrotz habe ich bereits in vielen vergangenen Kolumnen darauf hingewiesen, dass die Geldpolitik und damit die EZB allein nicht sämtliche Probleme der Eurozone lösen kann, allen voran nicht die schlechte Wettbewerbsfähigkeit der Peripherie-Länder und die strukturelle Wachstumsschwäche der Kernländer. Diese Tatsache spiegelte sich abermals in den Wachstumsprojektionen der EZB wieder, die seit dem Dezember-Meeting deutlich nach unten revidiert wurden.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass besonders Peripherie-Banken aus der zweiten und dritten Reihe von den Maßnahmen der EZB profitieren sollten. Sie können sicherlich einen Großteil der sich verschlechternden Zinsmargen durch Negativzinsen über die neuen langfristigen Refinanzierungsoperationen auffangen. Darüber hinaus sollte das Programm den Peripheriebanken bei der Bewältigung der immer noch hohen Anteile von realen und/oder potentiellen Forderungsausfällen in ihren Bilanzen helfen. Zusätzlich ist eine Verbesserung der Risikoaufschläge für Unternehmensanleihen durch das CSPP sowohl für Banken, die viele Bestände in ihren Bilanzen haben, als auch für Unternehmen positiv zu bewerten. Im Gegenzug dazu sind negative Zinssätze ein sehr gefährliches Experiment. Die Zinsmargen der Banken werden stark belastet und die EZB gefährdet somit aufgrund von niedrigerer Profitabilität den Wachstumskurs der Banken. Zudem entmutigt das Programm Banken, Geld außerhalb der Eurozone zu verleihen. Als viel gefährlicher sehe ich aber die Tatsache an, dass der Kapitalmarkt sich nicht sicher sein kann, wo genau die Zinsuntergrenze in Zukunft sein wird, da weitere Zinssenkungen zumindest nicht ausgeschlossen werden können. Solange dies nicht klar kommuniziert wird, können Investoren weder Banken bewerten noch können Banken planen, ob die herausgegebenen Kredite ökonomisch sinnvoll sind.

    Fazit:

    Aufgrund des Gegenwinds durch die extrem lockere Geldpolitik anderer Notenbanken scheint die EZB mit dem im März beschlossenen

    Maßnahmenpaket dem Wirkungskanal über den Wechselkurs weniger Bedeutung beizumessen als bislang und konzentriert sich vielmehr auf die Verbesserung der Finanzierungsbedingungen für Unternehmen (u.a. durch das CSPP-Programm), womit v.a. Inflation und Konjunktur angeschoben werden sollen. Die durch die Zinssenkung weiter verschlechterten Rahmenbedingungen für Banken sollen durch das neue TLTRO 2-Programm aufgefangen werden, was für einen Großteil der Banken sicherlich nicht ganz gelingen wird. Die lockere Geldpolitik dürfte aber den Finanzmärkten helfen in einer Phase, wo politische Unwägbarkeiten mittelfristige Investments bei Unternehmen behindern. Ändern dürften diese Maßnahmen allerdings wenig am niedrigen Wachstum und an der niedrigen Kerninflation. Im Zweifel wird die EZB die Dosis jedoch später im Jahr weiter erhöhen - auch wenn sie die Erwartung auf noch niedrigere Einlagensätze dämpfte. Bei der Entschlossenheit, die die EZB an den Tag, sind grundsätzlich auch neuartige Stimuli-Konzepte nicht auszuschließen (z.B. Kauf von Aktien-ETF's und/oder High Yield Bonds)!




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