To leave or not to leave
Ganz klar, die heutige Überschrift haben wir uns – aus aktuellem Anlass leicht abgewandelt – bei William Shakespeare entlehnt, einem der größten Dramatiker aller Zeiten. Der Mann war Engländer, und das führt uns direkt zum bereits erwähnten aktuellen Anlass. Gestern nämlich war es soweit (wobei wir das in solchen Formulierungen gerne verwendete, plattitüdenhafte „endlich“ Ihnen und uns ersparen, denn wirklich gebraucht hätte diese Veranstaltung niemand, doch dazu gleich mehr) und rund 46,5 Millionen wahlberechtigter Briten waren aufgerufen, ihr Kreuzchen für oder gegen den Verbleib in der Europäischen Union zu machen. Die Debatte darüber war in den vergangenen Monaten mit erbitterter Härte geführt worden und spaltete das Königreich auf der Insel in zwei Lager. Genau da, nämlich in der geographischen Lage Britanniens, liegt auch der Hund begraben – als Inselvolk sind die Briten nicht nur ein wenig eigen, sondern vor allem eine jahrhundertelange Unabhängigkeit gewohnt. Mehr noch, und damit zurück zu Shakespeare, dessen 400. Todestag im Mai gefeiert wurde: Als der Dichter „Hamlet“ schrieb, machte sich England auf, den Kolonialmächten Portugal und Spanien den Rang abzulaufen und mit dem British Empire ein Weltreich zu schaffen, das seines Gleichen sucht. Die Rückbesinnung auf alte Werte bzw. Größe ist also, wohlgemerkt nur bei wohlwollender Betrachtung, ein beinahe verständlicher Wunsch. Allerdings haben die Briten bei all dieser nostalgischen Verklärung den Blick auf das Wesentliche verloren:
To do or die
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„Vote leave, I’m in, Stay or go, In or out“, diese und noch mehr Slogans schlugen sich BREXIT-Gegner und –befürworter seit Monaten unentwegt verbal um die Ohren. Wir meinen dagegen, „do or die“ wäre passender gewesen, denn mit dem Ausstieg der Briten aus dem EU-Mutterschiff dürfte die Insel unweigerlich in die wirtschaftliche und geopolitische Bedeutungslosigkeit abdriften. Geschichte wiederholt sich nicht immer, und die goldenen Zeiten des British Empire sind und bleiben Vergangenheit. Punkt. Die Entscheidung, nun doch tatsächlich nicht mit im Boot bleiben zu wollen, ist aus unserer Sicht deshalb wahrlich keine kluge, aber mal ehrlich – haben wir wirklich etwas anderes von der alten Seefahrernation erwartet? Nein. Haben wir nicht. Für die Europäer, vor allem aber für die Briten, werden mit dem heutigen Tag harte Zeiten anbrechen, und der Ausgang der Geschichte ist völlig unklar. Wie aus dem Wunsch nach alter Größe – durch selbst gewählte Isolation – Realität werden soll, muss von UKIP und Co. noch beantwortet werden. Der Schaden für die Märkte ist allerdings schon jetzt beträchtlich: Durch das Hin- und Her im Königreich ist an den Märkten nämlich reichlich Chaos entstanden, schwere See, um in der Schifffahrtssprache zu bleiben. Heftig durchgeschüttelt wurde zum Beispiel der DAX: In der Vorwoche 800 Punkte runter, in dieser Woche erst wieder 800 Punkte rauf, die heute Morgen schon vorbörslich pulverisiert wurden – das kostet Nerven. Und Geld, denn einige Investoren dürften vermutlich bei diesem ganzen Wirrwarr kurzfristig die Orientierung verloren und sich auf der falschen Seite wiedergefunden haben. Auch die kommenden Sitzungen könnten nun wohl erst einmal chaotisch werden: