Hängepartie nach Brexit
Brexit-Blues dämpft Konjunktur - Die Schlimmste Gefahr ist jedoch der Eiertanz
Der 23. Juni markiert eine Zäsur für die Europäische Union. Mit einer knappen Mehrheit stimmten die Briten für den EU-Austritt des Vereinigten Königreiches. Seitdem herrscht der Brexit-Blues. Politiker räumten ihre Stühle, die Märkte brachen ein, das Britische Pfund scheint sich in den Gefilden einer Weichwährung bequem zu machen und Immobilienfonds machen die Schotten dicht. Derweil werden Lobeshymnen auf den alten sicheren Hafen Gold gesungen. Nun ist Großbritannien keine isolierte Insel, sondern mit dem Festland - und vor allem Deutschland - wirtschaftlich fest verwoben. Was bahnt sich mit dem Brexit für die Exportnation Deutschland an?
ifo - Nur ein kleiner Dämpfer in diesem und kommenden Jahr
Nicht so viel, wenn wir nach dem Münchener ifo-Institut gehen. Demnach werde das Brexit-Referendum der deutschen Wirtschaft „in diesem und im nächsten Jahr nur einen kleinen Dämpfer versetzen.“ Das Wirtschaftswachstum werde in diesem Jahr um rund 01, Prozentpunkte niedriger ausfallen und im kommenden Jahr um rund 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte. Grund seien die durch den Brexit schwächeren Export und verminderten Investitionen aufgrund einer „Phase erhöhter Unsicherheit“.
Allerdings räumt Timo Wollmershäuser, kommissarischer Leiter des ifo Zentrums für Konjunkturforschung und Befragungen, auch ein: „Wir haben keinerlei historische Erfahrung mit einem Austritt aus der Europäischen Union.“ Es fiele Konjunkturforschern somit „schwer, Vorhersagen aus den heute gängigen empirischen Modellen abzuleiten.“ Auch seien längerfristig denkbare Auswirkungen noch nicht berücksichtigt: „Andere Faktoren, wie zum Beispiel eine mögliche Verlagerung des Finanzplatzes London, eine restriktivere Zuwanderungspolitik der Briten, veränderte Kapitalströme oder erhöhte Transaktionskosten im internationalen Handel durch eine Rückabwicklung des gemeinsamen Binnenmarktes, lassen sich quantitativ nur sehr schwer abschätzen, insbesondere, weil die dafür notwendigen politischen Entscheidungen noch nicht einmal getroffen sind.“
DIW - Ein Dämpfer von (vorerst) 15 Milliarden Euro plus indirekte Effekte
Von einem spürbar schwächeren Wachstum spricht hingegen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Unsicherheit über die wirtschaftlichen Perspektiven für das Vereinigte Königreich würde sich im Nachgang des Referendums in einem Rückgang an Investitionen und mithin der Exportmöglichkeiten für deutsche Unternehmen bemerkbar machen.
Betroffen wäre vor allem die Automobilbranche, die einen erheblichen Teil ihrer Exporte in Großbritannien absetzt. Dazu würden sich aber auch die Holz-, Papier- und Lederwarenerzeugung sowie die pharmazeutische und chemische Industrie gesellen. Denn: Großbritannien ist nach den USA und Frankreich der drittgrößte Absatzmarkt für deutsche Exportgüter. Zusammen würden die Exporte der Automobilindustrie, der Chemie- und Pharmabranche sowie des Maschinenbaus auf etwa 63 Prozent der Exporte nach Großbritannien ausmachen.
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Der direkte Effekt einer Brexit-Entscheidung könnte den DIW-Berechnungen zufolge das Wachstum der deutschen Exporte im kommenden Jahr um einen Prozentpunkt oder knapp 15 Milliarden Euro dämpfen. Für sich genommen würde sich dies in einem Rückgang des deutschen Bruttoinlandsprodukts im kommenden Jahr um 0,5 Prozentpunkte bemerkbar machen. Auch hier machen die Konjunkturforscher darauf aufmerksam, dass es sich hierbei nur um die direkten Effekte - den deutschen Exporten nach Großbritannien - handelt. „Indirekte Effekte wie Finanzmarktverwerfungen, sinkende Direktinvestitionen und Preiseffekte sind im Moment gar nicht abschätzbar und daher in den Berechnungen nicht berücksichtigt,“ so das DIW Berlin.
Was für eine Eiertanz…
Noch hat Großbritannien den Austrittsantrag nicht in Brüssel eingereicht. Ob und wann sie es tun, ist trotz allem Bekunden, den Brexit nach der Regierungsneubildung voranzutreiben, nicht absehbar. Der Brexit-Blues geht mehr und mehr in eine lähmende Hängepartie über. Dieses Hüh und Hott - der Eiertanz aller Beteiligten - ist aktuell die größte Gefahr für die Märkte und auch die Export- und Konjunkturaussichten Deutschlands.