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    Marktkommentar  2116  0 Kommentare Union: Lösung der italienischen Bankenkrise mit politischer Brisanz

    Auf den ersten Blick haben das Brexit-Votum und der italienische Bankensektor geringe Berührungspunkte. Und doch waren es die Aktienkurse der italienischen Banken, die im Nachgang des EU-Referendums in Großbritannien mit die heftigsten Rückschläge auf europäischer Ebene verzeichnet haben. Während der marktbreite EURO Stoxx Index seit dem 23. Juni 2016 rund 2% eingebüßt hat, brachen die italienischen Bankenwerte in den letzten drei Wochen um durchschnittlich rund 20% ein.

    Das Zusammenwirken von zwei Faktoren - einem bankspezifischen und einem italienspezifischen - stellen die Hauptgründe für die wieder aufkeimende Bankenkrise in Italien und die niederschmetternde Kursentwicklung der italienischen Bankaktien dar:

    Bankenspezifischer Faktor: Das Brexit-Votum hat zu einer erhöhten makroökonomischen Unsicherheit in Großbritannien und der gesamten EU geführt. Eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa dürfte die EZB "zwingen", ihre bereits äußerst expansive Geldpolitik länger als erwartet aufrechtzuerhalten und möglicherweise zu weiteren monetären Lockerungsmaßnahmen zu greifen. Dies würde zu einer weiteren Verflachung der bereits äußerst niedrigen Zinsstrukturkurve führen und die Profitabilität der europäischen Banken nochmals spürbar unter Druck setzen.

    Der italienspezifische Faktor lässt sich in einer Zahl ausdrücken: 333 Mrd. Euro = der Höhe der notleidenden Kredite (Non-Performing Loans = NPLs) im italienischen Bankensektor (Presseartikel sprechen von 360 Mrd. Euro). Dies entspricht aktuell einem Verhältnis Notleidender Kredite zu ausstehenden Bankkrediten von rund 16% in Italien, dem mit Abstand höchsten Wert in Europa (Spanien mit 7%, Frankreich mit etwas mehr als 4%, Großbritannien mit knapp 3% und Deutschland mit etwas über 2%). Auffallend ist auch die gewaltige Spreizung dieses Verhältnis zwischen den einzelnen italienischen Finanzinstituten. Während Mediobanca eine NPL-Ratio von 6% aufweist, liegt sie bei den italienischen Bankschwergewichten UniCredit und Intesa Sanpaolo bei rund 15%. Am prekärsten stellt sich die Situation bei der ältesten Bank Europas, Monte dei Paschi di Siena, dar, die sich mit einer NPL-Quote von über 34% in sehr unruhigem Fahrwasser im Hinblick auf eine ausreichende Eigenkapitalausstattung befindet.

    Noch vor sieben Jahren befand sich der Bestand an notleidenden Krediten im italienischen Bankensystem bei 5% in 2009, d.h. "ein großes Aufräumen" in den Bilanzen der italienischen Banken wurde seit der globalen Finanzkrise immer wieder vermieden und aufgeschoben. Zwar haben die italienischen Institute im Schnitt ihre notleidenden Kredite mittlerweile auf 40% des Nennwertes abgeschrieben (bzw. hierfür Rückstellungen gebildet); Schätzungen zufolge würden sie jedoch bei einem Verkauf lediglich 20-30% des Nennwertes erzielen. Dies führt zu einer Kapitallücke von 30 bis 60 Mrd. Euro (die italienische Regierung spricht von einem Kapitalbedarf von 40 Mrd. Euro). In anderen Worten: Würden die italienischen Banken ihre notleidenden Kredite auf Marktwertniveaus abschreiben, könnten ihre Eigenkapitalausstattungen unter die Mindestvorgaben der Bankenaufsicht fallen.

    Als problematisch erweist sich zudem, dass italienische Privatanleger zunehmend Zweifel an der Überlebensfähigkeit einiger ihrer Kreditinstitute haben, was auf folgende Gründe zurückzuführen ist: 1) starke Kursverluste der italienischen Bankaktien von durchschnittlich 55% im bisherigen Jahresverlauf (Intesa Sanpaolo: -37%, UniCredit: -56% und Monte die Paschi di Siena: -72%), 2) starke Medienpräsenz der NPL-Thematik, u.a. Artikel zum Selbstmord eines Kleinanlegers im Dezember letzten Jahres im Zusammenhang mit dem "Bail-In" von Privatinvestoren bei der Banca Etruria und 3) die Aufforderung der Europäischen Zentralbank an Monte dei Paschi di Siena, die NPL-Ratio auf 20% (von momentan 34%) zu senken.

    In den nächsten Monaten werden folgende Daten im Fokus der Investoren und politischen Entscheidungsträger in Italien und Europa stehen:

    29. Juli 2016: Ergebnisse des Stresstests der Europäischen Bankenaufsicht für europäische Banken - Italienische Banken stehen hierbei im Fokus.

    September 2016: Festlegung der Minimumniveaus an Eigenkapitalanforderungen durch den einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus (SSM).

    Ab Oktober 2016: Referendum in Italien zur Verfassungsreform (u.a. Reform des Senats) - Ministerpräsident Renzi hat sein politisches Schicksal mit dem Ergebnis des Referendums verknüpft.

    In Italien halten viele Retailanleger Anleihen italienischer Banken, die nach den neuen einheitlichen EU-Regelungen für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten seit Anfang 2015 zum "Bail-In"-fähigen Kapital gerechnet werden. Streng genommen müssten daher Aktionäre und "Bail-In"-fähige Fremdkapitalgeber zur Sanierung bzw. Re-Kapitalisierung der Banken herangezogen werden bevor der Staat den Banken unter die Arme greift ("Bail-Out" mit Steuergeldern). Die italienische Regierung verfolgt allerdings in diesem Zusammenhang die klare Strategie, alle italienischen Privatanleger zu schützen, um die Unterstützung für ihren politischen Reformkurs hoch zu halten.

    Das Referendum ab Oktober 2016 könnte daher über die Verfassungsreform hinaus an Bedeutung gewinnen und sich zu einer Abstimmung über den Reformkurs der Regierung Renzi bzw. über Europa (EU-Regeln verhindern einen Bail-Out und würden die privaten Besitzer von Bankanleihen zur Kasse bitten) entwickeln. Ein negativer Ausgang des Referendums (mit Premierminister Renzi als Verlierer) hätte damit weitreichende negative politische und wirtschaftliche Implikationen für Italien und Europa.

    Die Spannbreite möglicher Lösungsansätze für die italienische Bankenkrise reicht von einem vollständigen "Bail-Out" durch den Staat (= politische Lösung: positiv für Investoren und negativ für Glaubwürdigkeit der EU-Regularien und den italienischen Steuerzahler) bis hin zur einer strikten Anwendung der EU-Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie (BRRD) für europäische Banken (ordnungspolitische Lösung: positiv für italienische Steuerzahler und Glaubwürdigkeit der EU-Regularien und negativ für Investoren). Zwischen diesen beiden Lösungspolen gibt es Vielzahl von Kombinationen, die je nach Gewichtung der politischen Komponenten mehr oder weniger weitreichende Implikationen für die Geldgeber der italienischen Banken hätten:

    Direkte Re-Kapitalisierung der Banken über Kapitalerhöhungen (schwierig, da die Aktienkurse stark unter Druck stehen) und/oder ein "Bail-Out" durch den Staat mit Steuergeldern (nicht regelkonform unter EU-Recht - Ausnahme: nur bei schweren Marktverwerfungen ist Staatshilfe temporär möglich = ein politisch dehnbarer Begriff).

    Aussetzen der "Bail-In"-Regeln für Privatanleger - Sanierung/Re-Kapitalisierung der Banken durch institutionelle Investoren und/oder den Staat.

    Erhöhung des Kapitals des privaten Rettungsfonds "Atlante" oder "Atlante II" - Hauptproblem von Atlante I ist die limitierte Kapitalausstattung von nur etwas mehr als 4 Mrd. Euro, zumal ein Großteil der Mittel bereits für den Erwerb von Aktien kleinerer Institute aufgebraucht wurde. Zudem ist "Atlante" von italienischen Banken finanziert (auf Initiative des Staates), deren Neigung weiteres Kapital in einen "Atlante II" (angeblich rund 5 Mrd. Euro) zu geben angesichts der kritischen Lage des italienischen Bankensektors begrenzt sein sollte. Denkbar wäre eine Aufstockung des Fonds durch die Cassa Depositi e Prestiti, einem Pendant zur deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau. Die Bank befindet sich mehrheitlich im Staatsbesitz und könnte weitere Mittel in den Rettungsfonds einzahlen.

    Generell gehen wir davon aus, dass die NPL-Problematik der italienischen Banken nicht zu einem Schock à la Lehman oder einem systemischen Risiko führen wird - denn: die strukturellen Probleme des italienischen Bankensektors liegen seit Langem auf dem Tisch und sollten am Kapitalmarkt nur noch zu begrenzten Verwerfungen führen. Zudem liegt der momentan diskutierte Kapitalbedarf der italienischen Banken bei "überschaubaren" 40-50 Mrd. Euro (= ein Bruchteil der Hilfspakete für Griechenland).

    Die wahrscheinlichste Lösung des Problems dürfte am Ende eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen unter großzügiger Auslegung des europäischen Regelwerks sein, d.h. tendenziell mehr "Bail-Out" durch den Staat und Atlante I/II und damit nur ein Minimum an "Bail-In" von Kleinanlegern. Eine solche "politische" Lösung sollte die Kapitalmärkte vorübergehend beruhigen und die Wahrscheinlichkeit des politischen Überlebens von Matteo Renzi erhöhen. Eine größtenteils politische Lösung der italienischen Bankenkrise dürfte allerdings wenig vertrauensbildend für zukünftige Krisen in der Europäischen Union wirken.



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