Wirtschaftsweise kritisiert Blockadehaltung
Bankenabwicklung: Systemrelevanz rechtfertigt keine politischen Blankoschecks
Die Bonner Wirtschaftsweise Isabel Schnabel hat deutliche Kritik an der deutschen Blockade zu den geplanten neuen Kapitalregeln für Banken geübt. „Für die deutsche Bankenlobby mag es ein toller Erfolg sein, dass die Aufseher ihre Forderungen teilen, aber mich beunruhigt das sehr“, sagte die Ökonomin der „Welt am Sonntag“. Die Branche werde in ihrer Abwehrhaltung massiv von Politikern und Aufsehern unterstützt.
Es geht um Finanzstabilität, nicht um Wettbewerbsfähigkeit
Ursprünglich wollten sich die Aufseher Anfang Januar weltweit über die Ausgestaltung der neuen Richtlinien, des sogenannten Basel-IV-Regelwerks, einigen. Die entscheidende Sitzung musste allerdings
verschoben werden, weil insbesondere die deutschen Aufseher und Politiker befürchten, dass Europas Banken in Zukunft stärker belastet werden als US-Institute. „Wir müssen aufpassen, dass die
Bankenregulierung in Europa nicht für die falschen Ziele missbraucht wird“, kritisierte Schnabel diese Haltung. „Es geht bei der Bankenaufsicht nicht darum, die Wettbewerbskraft der Institute zu
stärken oder Mittelstand und Infrastruktur zu fördern. Das führt alles in die Irre. Erstes Ziel muss immer sein, die Finanzstabilität zu stärken.“
Ein großer Streitpunkt ist nach wie vor der Einsatz sogenannter interner Modelle, mit denen Banken berechnen, wie viel Eigenkapital sie für ihre Geschäfte beiseite legen müssen. Während die USA
ihren Einsatz deutlich beschränken wollen, will Europa an solchen Modellen festhalten. Befürchtet wird, dass andernfalls die Kapitalanforderungen für europäische Institute deutlich steigen könnten.
„Man sollte auf die gestiegene Komplexität nicht mit immer komplizierteren Regeln antworten und auch nicht jedem Land eine passende Ausnahmeregel gewähren“, sagte Schnabel dazu. Die US-Banken seien
nach der Finanzkrise zwangsrekapitalisiert worden und stünden nun deutlich besser da. „Europa hat das verpasst, damit müssen wir leben“, so die Ökonomin. „Wenn man sieht, dass mehr als die Hälfte
der großen EU-Banken derart wenig Eigenkapital vorhält, dass bei einem Verlust von fünf Prozent des Portfoliowerts das gesamte Eigenkapital weg wäre – da sagt einem schon der gesunde
Menschenverstand, dass das viel zu wenig ist.“
Systemrelevanz rechtfertigt keine politischen Blankoschecks
Auch die Schaffung noch größerer nationaler Champions in der Bankbranche werde dieses Problem nicht lösen. „Dann hätten wir zehn europäische Champions, die man wegen ihrer Systemrelevanz im Notfall erst recht nicht abwickeln könnte“, sagte Schnabel. „Natürlich ist die Lage für die europäischen Banken schwierig. Das rechtfertigt aber keine politischen Blankoschecks.“ Die Wirtschaftsweise bekräftigte in diesem Zusammenhang ihre Forderung, die europäische Bankenrichtlinie umfassender anzuwenden, als das bisher der Fall war. „Wir diskutieren immer nur über Sanierung, selbst bei einer Bank wie Monte dei Paschi, die schon mehrfach gerettet werden musste“, sagte sie. Dabei sehe die Bankenrichtlinie auch die Abwicklung von Banken vor. „Wir sind uns alle einig, dass es zu viele Banken gibt. Dann muss man aber auch den Mut haben, schwache Banken abzuwickeln. Das würde den übrigen Instituten übrigens sehr helfen.“ Die Institute immer zu retten aus Angst, dass sich sonst daraus eine Krise ergeben könnte, sei ein Totschlag-Argument: „Folgt man ihm, müsste man immer retten – egal wie schwach eine Bank ist. Ich halte das für einen großen Fehler“, sagte die Ökonomin weiter.
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Asymmetrische Argumentation der Geldhüter
Kritik übte Schnabel auch an der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Gefahr bestehe, dass der Ausstieg aus dem Kaufprogramm verzögert werde. „Momentan sagt die EZB, solange die
Inflation ohne Energie und Lebensmittel nicht steigt, ist ein Ausstieg nicht angezeigt. Ihr Argument, dass der jüngste kräftige Preisanstieg nur am Ölpreis
liegt, ist aber irreführend: als die Inflation fiel, lag das auch vor allem am Ölpreis – und war für die EZB ein Problem“, so Schnabel. „Die Geldhüter argumentieren also asymmetrisch. Trotzdem
würde ich nicht so weit gehen, der EZB eine Verletzung ihres Mandats vorzuwerfen. Das halte ich für überzogen.“