Dr. Daniel Stelter
Das Gespenst der Inflation
Schon seit langem ist die Entwicklung der Anleihenmärkte und damit der Zinsen dazu geeignet, die „Experten“ zu blamieren. Jahrelang haben sie steigende Zinsen erwartet, doch die Zinsen kannten nur
eine Richtung: nach unten. Und kaum überschreitet jetzt die zehnjährige Bundesanleihe die Null-Linie, macht das Schlagwort von der „Zinswende“ die Runde. Wohl gemerkt: bei einer aktuellen Rendite
von gerade einmal einem Viertelprozent.
Richtig ist: Im Moment treibt der Ölpreis die Inflation. In den letzten Jahren war dieser rückläufig, jetzt hat er sich
stabilisiert und steigt leicht. Ein großer Teil der Preissteigerung ist auf diesen sogenannten Basiseffekt zurückzuführen. In den USA sind die Inflationserwartungen seit der Wahl von Donald Trump
tatsächlich gestiegen. Er hat Steuersenkungen angekündigt und große
Investitionen in die Infrastruktur – also ein Konjunkturprogramm. Das kann zu höherem Wachstum führen und damit auch zu steigenden Preisen.
Daraus aber abzuleiten, dass wir vor einer riesigen Inflationswelle stehen, ist zu früh. Die grundlegenden Bedingungen der Weltwirtschaft haben sich nicht geändert,
es gibt immer noch erhebliche Überkapazitäten in der Welt. Das Angebot ist groß, die Preise bleiben daher insgesamt niedrig. Auch in den USA bleibt die Frage, ob es Trump überhaupt gelingen wird,
mehr als ein Strohfeuer zu erzeugen. Auch die US-Wirtschaft leidet unter geringen Zuwächsen der Produktivität und hoher privater und staatlicher Verschuldung. Ein starkes Wirtschaftswachstum kann
in diesem Umfeld nicht erwartet werden. Das dürfte im Laufe des Jahres zu einiger Ernüchterung führen.
Denn das Wirtschaftswachstum hängt im Grunde von zwei Faktoren ab: von der Anzahl der Menschen, die arbeiten, und von der Produktivität pro Kopf. In den USA ist die
Erwerbsbevölkerung in den letzten Jahren deutlich gesunken. Wenn Trump diese Menschen wieder in Arbeit bekommt, wäre ein höheres Wachstum möglich. Zum anderen braucht man für mehr Produktivität vor
allem Innovationen. Die gibt es zwar in der gesamten westlichen Welt, aber sie schlagen sich bisher nicht in höherer Produktivität nieder.
Schlimmer noch: Die Gegenbewegung steht schon vor der Tür. Der jetzige wirtschaftliche Aufschwung in den USA hält schon länger an. Die meisten Aufschwünge sterben
dann, wenn die Zinsen steigen. Und die steigen schon seit einigen Monaten in den USA und liegen jetzt für die maßgeblichen zehnjährigen US-Staatsanleihen bei circa 2,4 Prozent. Die Unternehmen in
den USA sind hoch verschuldet, da können Zinssteigerungen negativ wirken. Der Anstieg der Zinsen könnte einen Trump-Aufschwung so im Keim ersticken.
Das gilt für Europa noch viel mehr als für die USA, liegt doch die Verschuldung von Staaten und Privaten deutlich über dem Niveau der USA. Die Zinsen in Europa
steigen, weil sie in den USA steigen, und Europa sich nicht von dieser Entwicklung abkoppeln kann. Da kann die Europäische Zentralbank nur begrenzt gegensteuern. Steigen die Zinsen, wird sich sehr
schnell zeigen, dass die Eurozone noch lange nicht gerettet ist. Das ungelöste Problem der hohen Verschuldung von Staaten und Privaten und des maroden Bankensystems wird offen zutage treten und die
strukturellen Ungereimtheiten der Eurozone werden wieder aufbrechen. Wir haben eine Währungsunion, die nicht funktioniert. Man muss diese Union entweder voll integrieren, also auch mit einem
massiven Finanzausgleich zwischen den Ländern. Oder man hält sie durch Schmerzmittel zusammen, wie es gerade die Europäische Zentralbank tut – ohne dabei die eigentlichen Probleme zu lösen. Es ist
nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem Unfall kommt. Währungsunionen zerbrechen, wenn eines der starken Länder austritt. Können wir das angesichts der Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich
wirklich ausschließen?