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Einordnung der Einordnung
Gunter Erfurt
Chief Executive Officer bei Meyer Burger Technology AG
15. September 2023
Karl-Heinz Remmers hatte im pv magazine Deutschland eine Einordnung der gegenwärtigen "Verkaufspreise" von Solarmodulen in Europa weit unter chinesischen Herstellkosten versucht (Link: Solarmodul-Schwemme und „Dumping“-Preise? – Eine Einordnung der immer extremeren Behauptungen – pv magazine Deutschland (pv-magazine.de)). Im heutigen Tagesspiegel Background Energie & Klima wurde er von Christian Schaudwet dazu befragt und wie folgt zitiert: „Gemessen an der Kosten-Lernkurve der globalen Solarbranche sind die Preise gar nicht besonders niedrig“, sagte er über das chinesische Angebot. „Die Kostensenkung durch das Marktwachstum und die Skaleneffekte der letzten Jahre waren rasant.“ (Solarindustrie im China-Dilemma - Tagesspiegel Background).
Da wir bei Meyer Burger tatsächlich Solarzellen und Solarmodule im industriellen Maßstab fertigen und seit 40 Jahren in der globalen Photovoltaikindustrie "mitmischen", möchte ich gerne einige Dinge aus meiner Sicht erklären:
Unsere Branche hat seit Beginn der industriellen Fertigung eine massive Kostensenkung erlebt, die die Solarenergie heute zur weltweit günstigsten Elektroenergieerzeugung gemacht hat und seit zwei Jahrezehnten ein gewaltiges und anhaltendes Marktwachstum nach sich zieht. Der Ausbau der Solarenergie ist tatsächlich noch absolut am Anfang und die #Solarindustrie kann (ich zitiere Herbert Diess: Der Ex-VW-Chef sieht die Solarbranche ab 2035 größer als die globale Autoindustrie - DER SPIEGEL) "größer als die Automobilindustrie" werden.
Allerdings ist das landläufige und auch von Karl-Heinz Remmers zitierte Narrativ, wonach die Kostensenkung mehrheitlich ein Skaleneffekt ist, sachlich falsch. Ca. 80% der Kostensenkung seit Beginn der industriellen Produktion kam aus der hocherfolgreichen Technologieentwicklung und daraus folgender kontinuierlicher Steigerung der Wirkungsgrade und Produktivität von Fertigungsmaschinen. Alle für die Photovoltaik notwendigen Materialien hat es technologisch und teilweise großindustriell und skaliert bereits vor dem Beginn der "Solarrevolution" gegeben: Polysilizium, Glasherstellung, stranggepresstes Aluminium, Einbettungsfolien, etc. Die Reduktion der Stückkosten durch Skalierung hat daher bislang nur einen erstaunlich kleinen Restanteil von eben nur 20% gehabt.
Ein Massenhersteller von Solarzellen und Solarmodulen ist heutzutage bereits bei einer Kapazität von ca. 2 GW weitestgehend ausskaliert, die mögliche Kostensenkungspotentiale konvergieren recht schnell und Kosten gehen wie oben geschrieben nur noch über Technologie (höhere Wirkungsgrade und Energieausbeuten) nach unten. Es ist eine romantische Vorstellung, dass vor allem Fabrikgröße mit Kostensenkung korreliert ist. Im Gegenteil, eine riesige Fabrik, die nicht voll läuft kann auch ein Fluch sein (siehe unten, heutige Auslastung in China). Und es ist auch Unsinn, dass jede Kostensenkung automatisch und immer an den Kunden gehen muss. Die Solarindustrie hat hohe Investitionsbedarfe für Forschung und Entwicklung sowie Expansion. Das Geld muss verdient werden. Und zwar ehrlich und fair.
Unsere Branche ist sich weitestgehend einig, dass eine weitere Reduktion der Herstellkosten nur noch über Technologieentwicklung geschieht, d.h. spezifische Senkung der Stückkosten, durch höhere Leistung der Solarmodule. Dies ist historisch immer das Spielfeld europäischer Forschung und Entwicklung und des hiesigen Maschinenbaus gewesen (der stark nach China "abgewandert" ist), z.B. stammt der neue chinesische Trend #TOPCon vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE. Ingesamt braucht es dafür ein globales Ökosystem. Wenn Europa keine Fertigung hat, gibt es in der Endkonsequenz auch keine Forschung mehr, da die Industrie als Auftraggeber weg wäre.
Vor 2 Wochen wurde in Berlin durch die Stiftung Klimaneutralität die Studie "Souveränität Deutschlands sichern – Resiliente Lieferketten für die Transformation zur Klimaneutralität 2045" (https://www.stiftung-klima.de/de/studie/) vorgestellt, die auch nochmals herausstellte, dass Herstellkosten fü Solarmodule weltweit de facto überall gleich sind. Die heute für 10-15ct/Wp in Europa angebotenen chinesischen Solarmodule haben je nach Hersteller zwischen 20-30ct/Wp Herstellkosten gehabt (z.B. Quelle PV Tech Quartalsberichte (Paywall)). Heute sind chinesische Hersteller durch den völlig unkontrollierten Zubau weiterer Fertigungskapazitäten teilweise nur noch zu 60% ausgelastet, was zu weiteren Kostenanstiegen durch fehlende Verdünnung von Fertigungsgemeinkosten führen kann. Daher sind die wahren Herstellkosten derzeitig noch höher. Warum werden dann chinesische Module verschenkt? Auf unsere Nachfrage bei einem großen chinesischen Hersteller wurde uns der Mechanismus erklärt: Wertberichtigungen auf Module werden in Cash von staatlichen Banken erstattet, um die Unternehmen liquide zu halten bzw. auch die Finanzberichte zu schönen.
Allgemein gelten weltweit 20ct/Wp als physische Untergrenze der reinen COGS im Normalbetrieb eines Herstellers (ausgelastet). Nehmen wir eine niedrige Bruttomarge von 10-15% an (üblich in China), dann müsste man also für mindestens 22ct/Wp verkaufen (um am Ende trotzdem kaum etwas zu verdienen). Heutige "Preise" von 10-15ct/Wp als "gar nicht besonders niedrig" zu bezeichnen ist - bei allem Respekt - eine Wunschvorstellung und industrieller Unsinn. Die im Tagesspiegel Background Energie & Klima gemachte Aussage von Karl-Heinz Remmers würde zugrunde legen, dass die Kostensenkung durch Skalierung unendlich weiter ginge. Am Ende würden nach der (falschen) Logik Solarmodule gar nichts mehr kosten [Ironie off].
Selbst mit Modulen zu heruntersubventionierten 10-15ct/Wp ggü. fair produzierten Modulen aus Europa für einen ehrlichen Preis würden die Stromgestehungskosten von Solarparks geringfügig steigen. Der Unterschied ist geringer, als angenommen, da Solarmodule nur noch 20-30% der Gesamtinvestition ausmachen. Genau dort setz der industriepolitische Vorschlag der Verbände SolarPower Europe, European Solar Manufacturing Council (ESMC) und BSW - Bundesverband Solarwirtschaft e.V. an, über Resilienzboni und Resilienzauktionen einen europäischen "Resilienzmarkt" zu schaffen, in dem der geringe Unterschied bei Stromgestehungskosten temporär in Abhängigkeit der resilienten Anteile (Polysilizium, Wafer, Zelle, Module, Solarglas, Inverter, etc.) gefördert wird. Der Deutscher Bundestag wird die einmalige Chance haben, dieses System bereits im EEG PV Paket 1 im 4. Quartal zu implementieren. Die schnelle Implementierung wird meiner Erwartung nach ein massives Wachstum der heimischen resilienten #Solarindustrie auslösen und ein Vorbild sein für die geplante Europa weite Lösung im #NetZeroIndustryAct (#NZIA), die ggf. auch noch in diesem Jahr durch das Europaparlament beschlossen wird. Dieses Konzept wird das eine tun, ohne das andere zu lassen: China kann weiter barrierefrei und subventioniert billig importieren, aber das europäische Segment wächst gemäß dem politischen Ziel der European Commission von 40% heimischer Wertschöpfung bis 2030. Um noch einmal auf den Artikel im Tagesspiegel Background Energie & Klima zurückzukommen, enttäuscht mich persönlich die Haltung des Bundesverband Neue Energiewirtschaft e.V. (bne). Wenn ein deutscher Verband sich gegen die eigene #Solarindustrie stellt, halte ich das für höchstbedenklich.
Was die Einordnung von Karl-Heinz Remmers im pv magazine Deutschland überhaupt nicht beantwortet, sind Fragen der Resilienz, der europäischen Energiesicherheit, des fairen Wettbewerbs, der Verletzung von Menschenrechten, unerlaubte Nutzung geistigem Eigentums Dritter, Verwendung von Blei und PFAS in importierten Solarmodulen, das europäische Arbeitskräftepotential, Beitrag zur Erhaltung des europäischen Wohlstands und Friedens und die massive Innovationskraft Europas. Warum nicht Karl-Heinz Remmers?
Eventuell ist die Einordnung als Versuch oder als "Festklammern am Status Quo" zu verstehen, damit sich möglich nichts ändern möge. Aus opportunistischer Sicht absolut verständlich, aber eine nur in einem Land konzentrierte #Solarindustrie kann nicht die Lösung sein und dauerhaft wird China nicht subventionieren bzw. Solarmodule verschenken. Wir werden als globale Solarwirtschaft nur stärker werden, wenn die Fertigung in allen Märkten geschieht und die Industrie weltweit fair zusammenarbeitet. Um dort hinzukommen, ist noch einiges zu tun. Und zwar schnell und vor allem in Europa.
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