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USA finanzieren Aufschwung auf Pump

Defizit größer als erwartet durch Kriegsfolgekosten und geplante Medikamentenzuschüsse /
Steuersenkungen nützen vor allem Wohlhabenden


Finanzminister John Snow will die Neuverschuldung trotzdem bis 2008 halbieren.
Doch Optimismus allein reicht nicht.


Von Sonia Shinde


Frankfurt a. M. · 7. Oktober 2003 ·Schulden, Schulden, nichts als Schulden. Mit 480 Milliarden Dollar Defizit planen die USA das Haushaltsjahr 2004. Das sind 4,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) so die Schätzung des Budgetbüros des amerikanischen Kongresses und mehr als ganz Deutschland an Steuern zahlt. Doch das ist optimistisch geschätzt. Nicht berechnet sind 87 Milliarden Dollar zusätzlich, die Bush für Kriegsfolgekosten im Irak und in Afghanistan beim Kongress locker machen will. Das bedeutet ein Defizit von mehr als 550 Milliarden Dollar und damit mehr als fünf Prozent des BIP. Auch der geplante Zuschuss für verschreibungspflichtige Medikamente ist nicht inbegriffen.

So viel Schulden hat bisher kein Präsident fabriziert und nicht in so kurzer Zeit. Nur drei Jahre hat George W. Bush gebraucht, um die 237 Milliarden Dollar Haushaltsüberschuss seines demokratischen Vorgängers Bill Clinton durch zwei Kriege und diverse Steuersenkungen in ein Mega-Minus zu verwandeln. Immerhin, es bleibt in der Familie. Das bisher höchste Haushaltsdefizit in absoluten Zahlen hat George Bush Senior 1992 verursacht: 292 Milliarden Dollar - Peanuts im Vergleich zu Baby-Bush.

Aber Amerika wäre nicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, hätte Finanzminister John Snow nicht auch eine Lösung parat: Auf der Jahrestagung des internationalen Währungsfonds in Dubai verkündete er, dass er das Mega-Defizit bis 2008 halbieren werde. Wie er das machen will, hat er nicht gesagt. Analysten sind skeptisch: Commerzbank-Ökonom Patrick Franke rechnet mit einer jährlichen Neuverschuldung von 300 bis 400 Milliarden Dollar bis 2008.

Gern verstecken sich Snow und Bush hinter der schwachen Konjunktur. Doch die ist nur zu einem geringen Teil verantwortlich, so die Vorwürfe der Steuerwächter der parteiübergreifenden Concord Coalition. Das Riesenloch in der Haushaltskasse stammt zum größten Teil aus hohen Rüstungsausgaben und aus den diversen Steuersenkungen.



Innerhalb der nächsten zehn Jahre verzichtet die Regierung auf rund 700 Milliarden Dollar Einnahmen und hofft, dass die Amerikaner noch mehr konsumieren und die Wirtschaft ankurbeln. Doch die Steuersenkungen begünstigen vor allem die Wohlhabenden und die tendieren zum Sparen. Bestes Beispiel: die zeitweise Abschaffung der Dividendensteuer. Den Staat kostet sie einige hundert Milliarden Dollar , doch ob sie den Aufschwung stützt, ist ungewiss.

Es sind eher die Ärmeren, die prozentual das meiste ihres Einkommens für den Konsum ausgeben - wenn sie können. Denn laut Statistik schrumpfte das jährliche Durchschnittseinkommen allein in den letzten zwölf Monaten um ein Prozent auf rund 42 409 Dollar. Jeder achte Amerikaner ist arm. Das sind insgesamt 34,6 Millionen, 1,7 Millionen mehr als 2001. Arm ist eine vierköpfige Familie mit höchstens 18 000 Dollar Jahreseinkommen.

Und: Die Steuersenkungen belasten den Haushalt der Zukunft. Denn die Regierung finanziert ihre Steuersenkungen über neue Schulden. Für jeden Dollar, den die Amerikaner jetzt weniger Steuern zahlen, müssen sie in sechs Jahren 3,60 Dollar zurückzahlen errechneten die " Citizens for Tax Justice" . Und: " Bisher sind alle befristeten Steuersenkungen immer verlängert worden" , kritisiert US-Ökonom Robert Chandross. Sie zurückzunehmen wenn im kommenden Jahr der Präsident gewählt wird und 2006 Kongresswahlen anstehen, wäre politischer Selbstmord.

Wenn jedoch die Konjunktur nicht schnell anspringt, bleibt der Staat auf seinen Schulden sitzen.

" Um ein stabiles Wachstum zu ermöglichen, müssen im nächsten Jahr zwischen 1,5 und 2 Millionen neuer Jobs geschaffen werden" ,

sagt der Kieler Konjunkturforscher Klaus-Jürgen Gern.

Vor allem, um die Verbraucher bei Kauflaune zu halten. Bisher helfen die Einkommensteuer-Erstattungen, doch damit ist im Sommer Schluss. Bis dahin muss die Jobmaschine laufen. Aber die Unternehmer entlassen eher als dass sie einstellen, so das National Bureau of Economic Research, obwohl die Rezession offiziell als überwunden gilt.

Seit der Großen Depression der 30er Jahre hat keine Wirtschaftskrise so viele Jobs vernichtet. Seit März 2001 gingen 2,8 Millionen Arbeitsplätze verloren - vor allem High-Tech-Jobs, die niemand mehr braucht. Gleichzeitig wuchs die Produktivität der Firmen um fast sechs Prozent, das heißt sie produzierten mehr mit weniger Leuten.

Jobless Growth heißt das, Wachstum ohne Beschäftigungszuwachs. " Im nächsten Jahr ist nicht mit einem Sinken der Arbeitslosenrate zu rechnen" , sagt Chandross. Und die liegt bei für die USA ungewöhnlich hohen 6,2 Prozent. " Auf Dauer ist das nicht tragbar, es bremst steigende Einkommen." Und die 3,9 Prozent-Wachstumsprognosen von IWF und Weltbank? " Die Wirtschaft kann um 3,5 Prozent wachsen, ohne dass die Arbeitslosigkeit sinkt" , so Robert Chandross. - Stell Dir vor die Wirtschaft wächst und die Haushaltlücke gleich mit.

[/i]Quelle:Frankfurter Rundschau
 
aus der Diskussion: The Market-Watch oder die Mär vom starken Bullen !
Autor (Datum des Eintrages): herr.motzki  (08.10.03 18:50:05)
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