Fenster schließen  |  Fenster drucken

Gier ist offensichtlicher als Furcht

von unserem Korrespondenten Eric Fry in Manhattan

Wie ist es möglich, dass die US-Aktien weiter steigen, sogar während der Dollar verliert? Diese zwei gegensätzlichen Trends sind in der Tat merkwürdige Bettgenossen.

Was diese Paarung besonders bizarre macht, ist die Tatsache, dass die USA so stark von der enthusiastischen Nachfrage der ausländischen Investoren nach US-Vermögensanlagen abhängen. Auf die eine oder andere weisen leihen die Ausländer der konsumverrückten amerikanischen Nation jedes Jahr fast 1 Billion (!) Dollar. Die Amerikaner nehmen dieses Geld, das sie uns schicken, und bezahlen damit Geländewagen, Plasma-Fernseher und teure militärische Kampagnen in weit entfernten Ländern. Allerdings vergessen die Amerikaner nicht, ihre Gläubiger mit immer billigeren Dollars zu bezahlen. Eines Tages – das Timing ist unsicher – könnten die Ausländer das Interesse daran verlieren, den amerikanischen Konsum zu unterstützen. Sie hätten das Interesse schon verloren, nur konsumieren die Amerikaner Güter, die von ihnen produziert werden.

Wie wenig Gewinn bringt es, ausländische Währungen in US-Vermögensanlagen zu tauschen? Bedenken Sie, dass der Nasdaq Composite Index seit Ende August rund 5 % zugelegt hat ... auf Dollarbasis. Aber Käufer aus Euroland haben wegen des Währungseffektes insgesamt 2 % in diesem Zeitraum verloren, wenn sie Aktien aus dem Nasdaq Composite gekauft haben.

Den ausländischen Anleihenkäufern geht es nicht besser ... ausländische Zentralbanken halten US-Staatsanleihen und vergleichbare Papiere im Volumen von fast 1 Billion Dollar. Grob gesagt hat der Dollarrückgang der letzten 5 Wochen die amerikanischen Gläubiger rund 85 Milliarden Dollar ärmer gemacht. Das ist reales Geld.
Und dennoch wollen die US-Zentralbank und das US-Finanzministerium und das Weiße Haus den Dollar sogar noch weiter fallen lassen.

Das sei gut für unsere Exportindustrie, sagen die amerikanischen Politiker. Das stimmt, aber es ist sehr schlecht für die US-Konsumenten und Sparer und fast jeden, der in den USA lebt.

"Andere Länder teilen ihre Verpflichtung, die US-Konsumenten weiterhin Geld ausgeben zu lassen", so Justin Lahart von CNN/Money. "Die großen Exporteure – besonders Japan und China – haben sich bemüht, ihre Währungen gegenüber dem Dollar niedrig zu halten, was im Endeffekt den Amerikanern erlaubt hat, mehr von den Gütern Japans und Chinas zu kaufen. Die US-Konsumausgaben sind für 20 % des Welt-Bruttoinlandsproduktes verantwortlich."

"Deshalb hängt die Weltwirtschaft vom US-Konsumenten ab. Und der US-Konsument ist aufs Äußerste beansprucht ... irgendwann werden die Gläubiger der US-Konsumenten – also der Rest der Welt – zweimal darüber nachdenken, wie ihr Geld genutzt wird."

Das Albtraum-Szenario sieht so aus, dass ein Käuferstreik der ausländischen Investoren zu einem Rückgang des Dollar und zu einem Anstieg der US-Zinsen führen wird ... was würde dann aus dem amerikanischen Konsumenten werden?

"Wir sind eine was-ist-meine-monatliche-Zahlung Nation geworden", so Paul Kasriel, Chefvolkswirt bei Northern Trust. "Die Idee ist, dass die monatlichen Zahlungen so hoch sein können, wie man es sich eben leisten kann. Wenn die Zinsen fallen, kauft man sich ein größeres Auto."

Wenn der Dollar weiter fällt, dann werden die amerikanischen "was-ist-meine-monatliche-Zahlung"-Konsumenten deutlich höhere monatliche Zahlungen leisten müssen. Aber wenige der heutigen Aktienmarktinvestoren machen sich über solche Dinge Gedanken. Die Aktienkurse steigen – das ist es, was wirklich zählt.
Haben die Investoren nichts aus den 1990ern gelernt? Zwischen Februar 2000 und Oktober 2002 lösten sich 7 Billionen Dollar Marktkapitalisierung = Reichtum der Aktionäre in Luft auf. Irgendjemand muss doch irgendwo dieses Geld verloren haben. Wie auch immer – Gier ist offensichtlicher als Furcht.

"Man könnte denken, dass die Investoren vorsichtig – sehr vorsichtig sogar – in Bezug auf den Aktienmarkt geworden sein sollten, nachdem so ein massiver Betrag an Reichtum aus den Büchern gestrichen worden ist – aber das scheint kaum der Fall zu sein", so CNN/Money. "Die Zuflüsse in die Aktienfonds sind stetig, die Online-Aktiengeschäfte nehmen wieder zu und die Unterhaltungen drehen sich wieder um Aktien. Noch beklagenswerter ist, dass die Aktien, die so etwas wie die jüngsten Highflyer geworden sind, genau die gleichen Aktien sind, die den Aktionären das letzte Mal soviel Ärger gebracht haben."
Die Aktienmarkt-Bullen sind zurück, ihre Zahl vermehrt sich, und sie sind furchtlos. Die meisten Stimmungsindikatoren zeigen ein Bullen-Niveau an, das das von 2000 und 1987 übersteigt.

"Es riecht nach 1987", so Floyd Norris von der New York Times, "und nicht nur bei den positiven Stimmungsindikatoren. Damals wie heute gab es internationale wirtschaftliche Zwietracht. Der Dollar war schwach, und der US-Finanzminister kritisierte die Politik der anderen, weil sie seiner Meinung nach die Weltwirtschaft schädige."

Aber das war damals ... die Geschichte kann sich nicht wiederholen, oder?

Quelle: Investor-Verlag
 
aus der Diskussion: The Market-Watch oder die Mär vom starken Bullen !
Autor (Datum des Eintrages): herr.motzki  (08.10.03 21:38:47)
Beitrag: 2,616 von 2,849 (ID:10965584)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE