Phänomen Harald Schmidt Nation im Notstand Von Reinhard Mohr Harald Schmidts Ankündigung, seine Show einzustellen, bewegt die Gemüter mehr als Terror, Steuerreform oder Dosenpfand. Feuilletonisten überschlagen sich in triefenden Nachrufen, in München soll sogar demonstriert werden. Schmidt selbst nutzt die Hysterie um seine Person, um genüsslich seinen Abgang zu zelebrieren. Seit Harald Schmidt das vorläufige Ende seiner Show angekündigt hat, herrschen Trauer, Wut und Entsetzen in Deutschland. Terror, Irak, Reformstreit und die Debatte über die Europäische Verfassung - wen interessiert das schon? Die politisch-kulturelle Elite des gebeutelten Landes steht Kopf, an diesem Donnerstagabend wird es in München sogar die erste richtige Kampfdemonstration für den Fortbestand der "Harald Schmidt Show" geben. Motto: Aufhören? Niemals! Der Wahnsinn muss weitergehen. Harald Schmidt Superstar. Der öffentliche Aufruhr ist so groß, als wäre John Lennon wiederauferstanden und hätte angekündigt, seinerseits Jim Morrison wieder zum Leben zu erwecken, um mit ihm eine neue Band namens The Doors Reloaded zu gründen. Selbst die Gefangennahme von Saddam Hussein würde die Gemüter hier zu Lande kaum heftiger bewegen. Wenn es eines allerletzten Beweises für die außerordentliche Dramatik und geistige Tiefe des nationalen Notstands bedurft hätte, so beseitigte die Mittwochausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ("FAZ") diesbezüglich letzte Zweifel: Wenn die erste Seite des "FAZ"-Feuilletons komplett frei geräumt wird, um 20 Kurzkommentare von Kollegen wie Reinhold Beckmann, Esther Schweins und Ulrich Wickert zu veröffentlichen, dann ist entweder etwas ganz Schreckliches oder etwas ganz Großes passiert. Das vorläufige Ende der "Harald Schmidt Show" aber ist beides: Ganz schrecklich und ganz groß: "Ein großer Kummer", wie Jens Jessen, Feuilletonchef der "Zeit", trauerumflort bekannte. Die Überschrift über der Seite: "Wie es ist, wenn das Denken Pause macht". Der Vorspann rührte auch hart gesottene Feuilleton-Zampanos zu Tränen: "Schmidt ist nicht mehr, und jetzt beginnt sein Nachruhm." Harald Schmidt, der Immanuel Kant unserer Tage. Gone and away. Die Probe aufs Exempel des pausierenden Denkens war niederschmetternd. Wenn das Denken Pause macht, klingt es etwa so wie bei der Schauspielerin Elena Uhlig: "Harald Schmidt ist unersetzlich. Er ist für seine Gäste so wertvoll, weil er sie ernst nimmt." Zu den schönsten und unverwechselbarsten "Stimmen", die im Schmidt-Nachruf-Gewitter zu hören waren, gehörte Bahnchef Helmut Mehdorn, den die "Süddeutsche Zeitung" großzügig zu Wort kommen ließ: "Harald Schmidt ist für mich intelligente Unterhaltung, die auch die Bahn nicht ausspart." Besser und tiefgründiger kann man Harald Schmidts Geheimnis wohl nicht entschlüsseln. Einen unerreichten Glanzpunkt in der eitel wehklagenden Schmidt-Vergötterung setzte unfehlbar Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensemble und selbst ernannter GröTaZ, Größter Theatermacher aller Zeiten. In einem Brief an Harald Schmidt, der sogleich in die Öffentlichkeit posaunt wurde, behauptete er, Schmidt habe nun nur noch eine Wahl: Hin zum Theater, natürlich an sein, Claus Peymanns, weltberühmtes Berliner Ensemble, ja mehr noch: Schmidt sei schon so gut wie engagiert und probe bald eifrig. Prompt fiel die Berliner Boulevard-Zeitung "B.Z." auf den notorischen Dampfplauderer und Großsprecher Peymann herein und druckte in ihrer Donnerstagsausgabe die Schlagzeile: "Neue Rolle im Theaterstück `Arturo Ui` - Harald Schmidt in Berlin auf der Bühne". Jetzt fehlte nur noch jemand wie der Schriftsteller Thomas Bernhard, aus all dem ein Theaterstück zu machen. Doch der ist leider 1989 verstorben. So musste Harald Schmidt in seiner gestrigen Sendung die Sache wieder einmal selbst in die Hand nehmen. Er las einfach Peymanns Brief in voller Länge vor, und es genügte, ein paar Worte hier, ein paar sachliche Korrekturen dort anzubringen, um den berühmten Intendanten einer abgründigen und durchdringend peinlichen Lächerlichkeit auszusetzen. Doch der Höhepunkt kam, wie oft, zum Schluss: Der "Weltwahnsinnsentdeckerintendant Peymann" (Schmidt) hatte sich nicht entblödet, seinen Brief mit den anmaßenden Worten zu beenden: "Ihr Freund, Förderer und Entdecker Claus Peymann!" Danach zog sich Schmidt in die Rolle des alternden und kränklichen Zauberberg-Bewohners zurück, ließ sich eine wärmende Decke umhängen, eine alte Offiziersmütze mit Schirm aufsetzen und hustete immer wieder so erbärmlich, dass jeder Zuschauer selbst sehen konnte: Der Mann kann einfach nicht mehr. Nun sah er wirklich aus wie ein entlassener Feldmarschall, der seine letzte Schlacht schon längst geschlagen hat. Das war, für einige Minuten, wirklich großes Theater. So inszeniert Harald Schmidt seinen (vorläufigen) Abgang von der Fernsehbühne unter Zuhilfenahme jenes reichhaltigen Materials an Reaktionen, die er selbst erst ausgelöst hat. Ein klassischer Selbstversorger. Er ist kein Autist. Er ist autark. Wie viel Spaß muss der Mann bei der Zeitungslektüre haben, beim Studieren all der geradezu unterwürfigen, großsprecherischen, anmaßenden und selbstverliebten Würdigungen, mit denen versucht wird, im Schein des Großen ein wenig selbst zu glänzen! Man könnte neidisch werden. Dabei ist das Geheimnis des Harald Schmidt ganz einfach: Die Alternative zu Harald Schmidt heißt Jörg Pilawa. Oder Thomas Koschwitz, Kai Pflaume, Johannes B. Kerner, Reinhold Beckmann, Jürgen Fliege, Julia Westlake, Gunter Emmerlich, Karl Moik... So verstanden ist die grassierende Harald-Schmidt-Hysterie ein erster Schritt zur Selbsterkenntnis. |
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aus der Diskussion: | HILFE! Harald Schmidt Sendung wird abgesetzt! |
Autor (Datum des Eintrages): | Dochmann (12.12.03 08:25:58) |
Beitrag: | 127 von 134 (ID:11583018) |
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