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Ich möchte mal versuchen, eine Diskussion über die (nationale und internationale) Finanzpolitik in Gang zu bringen, die sich nicht in SPD- resp. CDU-Bashing erschöpft.

Als Einstieg die folgende Analyse eines US-Ökonomen, die sich in der heutigen FR findet (http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/st…):

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Die US-Finanzpolitik kann als frühe Warnung dienen

Unter Bush wurde eine neue Runde der Achterbahnfahrt aus Steuersenkungen, Staatsdefizit, Sozialkürzungen und Steuererhöhungen eingeleitet

VON JEFFREY D. SACHS


George W. Bush hat mehr als jeder andere Präsident in der amerikanischen Geschichte dafür getan, die Wirtschaftspolitik der USA zu Grunde zu richten, und hat dabei sogar seinen Mentor Ronald Reagan übertroffen. In nur dreijähriger Amtszeit hat er einen fragilen politischen Konsens zerstört, den herzustellen ein Jahrzehnt gedauert hatte und den wieder zu errichten ein weiteres Jahrzehnt dauern könnte. Damit hat Bush Amerikas langfristige wirtschaftliche Gesundheit und soziale Stabilität aufs Spiel gesetzt. Da die langfristigen Herausforderungen für den Haushalt, die die USA so katastrophal handhaben, nicht ungewöhnlich sind, lassen sich aus Amerikas finanzpolitischen Schnitzern wichtige Lehren für andere Länder ziehen.

Zyniker kann Wiederwahl kaufen

Das Hauptproblem der Finanzpolitik besteht darin, dass Politiker über Steuersenkungen und eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben problemlos eine vorübergehende Steigerung ihrer Popularität herbeiführen können, indem sie enorme staatliche Schulden machen, die abzutragen dann der Zukunft vorbehalten bleibt. Dieser Trick kann ein paar Jahre funktionieren; eher früher als später jedoch erzwingen Haushaltsdefizite und steigende Staatsverschuldung eine schmerzhafte politische Kehrtwende. Ein zynischer Politiker allerdings kann sich so seine Wiederwahl erkaufen und befindet sich möglicherweise bei Ausbruch der Krise dann im Ruhestand.

Man sollte meinen, dass die Wähler nach weltweit hunderten solcher Episoden finanzpolitischer Verantwortungslosigkeit in den letzten Jahrzehnten allergisch auf diese Art von Tricks reagieren würden. Bush jedoch kommt erneut damit durch: Er erkauft sich heute Popularität, indem er enorme Steuergeschenke verteilt und zugleich die Militärausgaben und sogar die Aufwendungen für Bildung und Gesundheit erhöht. Das Ergebnis ist ein Haushaltsdefizit in Höhe von mehr als fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Schlimmer noch ist, dass die langfristigen Aussichten für den US-Haushalt bereits Besorgnis erregend waren, bevor Bush seine unbesonnene Politik begann. Das Durchschnittsalter der US-Bevölkerung nimmt zu; hieraus ergibt sich für die Zukunft ein steiler Anstieg der Kosten im öffentlichen Gesundheitswesen und bei den Renten. Vorsichtige Berechnungen zeigen, dass die anhand der von Bush favorisierten Steuerpolitik erzielbaren zukünftigen Einnahmen die Kosten von Renten, Gesundheitsfürsorge und weiteren von der Öffentlichkeit erwarteten öffentlichen Ausgaben voraussichtlich um etliche zehn Billionen Dollar unterschreiten werden.

Steuererhöhung der Zukunft

Irgendwann in der Zukunft werden deshalb eine starke Anhebung der Steuern, tiefe Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben oder beides gemeinsam erforderlich sein, um Bushs Handlungen zu korrigieren. Warum also befürwortet die Öffentlichkeit seine Politik? Der Grund ist, dass die Öffentlichkeit kaum Verständnis oder Interesse für diese langfristigen Konsequenzen aufbringt, obwohl letztlich die meisten Amerikaner unter ihnen leiden werden.

Die reichsten Steuerzahler sind natürlich zufrieden, denn sie profitieren am meisten von diesen Steuersenkungen. Es ist unglaublich, aber beinahe die Hälfte der Steuersenkungen kommt den reichsten fünf Prozent unter den US-Steuerzahlern zugute, und diese reichen Steuerzahler erwarten offensichtlich, dass die übrigen 95 Prozent - die Mittelschicht und die Armen - den größten Teil der zukünftigen Ausgabesenkungen und Steuererhöhungen tragen sollen. Derweil hat Bush viele Wähler aus der Unter- und Mittelschicht überzeugt, dass auch sie zufrieden sein können - ohne ihnen zu sagen, dass sie für ihre kleinen Steuersenkungen mit erheblich größeren Einschnitten bei den zukünftigen staatlichen Leistungen werden zahlen müssen, falls die Politik seiner Regierung sich langfristig durchsetzt.

Hätten die US-Amerikaner ein politisches Gedächtnis, so wäre ihnen bewusst, dass sie diese steuerpolitische "Achterbahnfahrt" in den vergangenen 20 Jahren bereits einmal durchlebt haben. Als Ronald Reagan gewählt wurde, versprach er ebenfalls massive Steuersenkungen und eine erhebliche Steigerung der Militärausgaben. Das Ergebnis war ein riesiges Haushaltsdefizit Mitte der 1980er Jahre.

Reagans Vermächtnis

Die Steuersenkungen machten Reagan enorm populär und trugen zu seiner Wiederwahl im Jahre 1984 bei. Anschließend dauerte es über ein Jahrzehnt - von Reagans zweiter Amtszeit über die Präsidentschaften von George Bush sen. und Bill Clinton -, um das Haushaltsdefizit wieder in einen Haushaltsüberschuss zu verwandeln. Natürlich machte dies die Bewilligung neuer Steuererhöhungen erforderlich, was George Bush sen. die Wiederwahl kostete und zu der polarisierten politischen Landschaft der 1990er Jahre führte.

Die Geschichte dürfte sich fast mit Sicherheit wiederholen. Einige rechtsgerichtete Ideologen innerhalb der Bush-Administration glauben, dass die Haushaltsdefizite unserer Tage letztlich tiefe Einschnitte bei den öffentlichen Sozialausgaben erzwingen werden. Sie hoffen auf eine Demontage von Programmen wie der Sozialversicherung und Medicare. In der US-Öffentlichkeit jedoch genießen diese sozialen Programme breiten Rückhalt. Die Strategie der politischen Rechten, zunächst die Steuern zu senken, um anschließend Einschnitte bei den Sozialprogrammen zu erzwingen, wird deshalb scheitern, und die Steuern werden letztendlich wieder steigen müssen.


Andere innerhalb der Bush-Administration argumentieren, dass Steuersenkungen wichtig sind, um die USA aus der Rezession zu ziehen. Auch dieses Argument ist falsch. Amerikas Wirtschaft hätte sich ohne diese Steuersenkungen erholt, vielleicht sogar nachhaltiger. Unabhängig hiervon ist es ein enormer Fehler, eine langfristige Steuerpolitik auf dem kurzfristigen Konjunkturzyklus aufzubauen.

Eine innere Spaltung der USA droht

Für andere Länder ergeben sich hieraus zwei grundlegende Lehren. Die erste ist, dass die sich abzeichnenden Haushaltsdefizite der USA früher oder später Amerikas internationalem Einfluss Grenzen setzen werden. Die Amerikaner haben den Irak-Krieg nur deshalb unterstützt, weil sie ihn nicht mit Steuererhöhungen bezahlen mussten. Sobald die Amerikaner sich entscheiden müssen, ob sie ihre Auslandsabenteuer durch höhere Steuern finanzieren wollen, werden sie in sehr viel geringerem Maße bereit sein, teuere Militäroperationen im Ausland zu unterstützen. Tatsächlich wird es im Zuge der öffentlichen Auseinandersetzung um das von Bush hinterlassene finanzpolitische Chaos zu einer tief gehenden inneren Spaltung der USA kommen.

Die zweite Lehre ist, dass Länder die steigenden Kosten, die eine alternde Bevölkerung verursacht, in ihren Haushaltsplanungen berücksichtigen sollten. Die langfristige Haushaltslage ist häufig weder den Steuerzahlern noch dem Parlament klar bewusst. Regierungen sollten verpflichtet sein, zusammen mit ihren jährlichen Haushaltsentwürfen langfristige Einschätzungen der Haushaltslage vorzulegen, um der Tendenz hin zu kurzfristigen, politisch motivierten Manipulationen des Haushalts entgegenzuwirken.

Die USA können anderen Ländern als frühe Warnung dienen. Das Weiße Haus sollte anderen dieselbe Mahnung zukommen lassen, welche Zauberer im Fernsehen ihren Zuschauern erteilen: "Versuchen Sie dies nicht zu Hause."

Aus dem Englischen von Jan Neumann


Der Autor
Jeffrey D. Sachs ist Professor für Wirtschaftswissenschaften und Direktor des Earth Institute an der Columbia University.

 
aus der Diskussion: Finanzpolitik: Die USA als Warnung?
Autor (Datum des Eintrages): PolyMod  (08.01.04 09:14:27)
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