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So grün war die Heide
Ich hab` den Farbfilm vergessen: Arno Schmidt war auch ein großer Fotograf



19. Oktober 2003 Es ist Frühling in der Heide, und Arno Schmidt hat schlechte Laune. "Jedenfalls sitze ich hier, inmitten der Baumblüte, ohne Farbfilm", schreibt er Ende der fünfziger Jahre an seinen Freund Wilhelm Michels. Das war im höchsten Maße ärgerlich - und sein Fotofreund, der ihm den falschen Film geschickt hatte, bekam diesen Ärger zu spüren.

Schon früh, Ende der dreißiger Jahre, hatte der Schriftsteller Arno Schmidt mit einer einfachen Box-Kamera viel fotografiert, dann 1949 von seinem ersten Buchhonorar sogleich als wichtigste Anschaffung eine größere, eine Balgenklappkamera von Bonafix gekauft. Aber so richtig begann das regelmäßige, präzise Fotografieren seiner Umwelt, als er 1958, gerade in Bargfeld in der Heide ansässig geworden, von Wilhelm Michels einen Diaprojektor geschenkt bekam. Jetzt konnte er an langen Abenden seine eigene Welt- und Heidesicht endlich dem Freund, der ihn zuvor meist mit Diavorträgen seiner Ferienerlebnisse gelangweilt hatte, selbst präsentieren.

2500 Bilder finden sich im Arno-Schmidt-Archiv. 2500 Dias fein sortiert in zwölf Gruppen: Alice (Schmidts Ehefrau). Schwimmbäder. Verwandte und Bekannte. Interieur. Bargfeld und Umgebung. Pflanzendetails. Haus. Garten. Tiere. Wiesen, Bäche. Wald. Himmel. Die weitaus meisten Bilder machen die Gruppe Wald, Bäche aus. Für den jetzt erscheinenden Band, mit dem der Schriftsteller Arno Schmidt erstmals in großem Rahmen als Fotograf vorgestellt wird, hat der Herausgeber vor allem die Landschafts- und Naturaufnahmen ausgewählt.

Eine Auswahl aus Arno Schmidts Welt. Ein Einblick nicht nur in die Umgebung, in der Arno Schmidt lebte, spazierenging und schrieb. Sondern ein Einblick auch in seine Art des Schreibens, des Weltbetrachtens, des Suchens nach Stoffen und Beschreibungswegen. Eine Abbildung seiner Genauigkeitssuche - sein Ausleuchten der Welt, wie er 1962 an den befreundeten Maler Eberhard Schlotter schrieb: "Ich kann mir nicht helfen; ich werde, je älter, desto genauer. Nicht ,mikroskopierend`, das ist Quatsch, und eigentlich gar nichts für uns. Aber die allersimpelsten ländlichen Vorgänge - Holzsägen; eine Wiese mähen; Spazierengehen - da erscheint jeder Handgriff neu & absurd & der nachdenklich=possenhaftesten Folgerungen fähig. Und da heißt eben die nächste größere Arbeit, die ich mir vorgesetzt habe ,AUF & AB; Versuch zur Sichtbarmachung eines Straßenstücks` (von rund 400 Metern Länge übrigens); ich werde daran zu tun haben."

Er hatte lange daran zu tun. Im Schreiben. Im Fotografieren ging ihm ein ähnliches Anliegen weit leichter von der Hand. So scheint es zumindest, wenn man die wunderbaren Fotos dieses Bandes betrachtet. Denn der Detail- und Präzisionsfotograf, als der er sich in diesem Buch präsentiert, scheint mit großer Mühelosigkeit eine fotografische Genauigkeit erlangt zu haben, die trotzdem nichts, gar nichts vom amateurhaften, erstaunten Abfotografieren hat, sondern durch eine immer wieder erstaunliche Ausschnittswahl präzise und wunderlich zugleich ist. Ein magischer Realismus, der aus der Heide kommt und der uns die Heide Arno Schmidts in einer Weise zeigt, wie wir sie noch nicht gesehen haben.

Und sein dichterisches Programm, die "Nessel Wirklichkeit fest an(zu)fassen; und uns allen (zu) zeigen: die schwarze, schmierige Wurzel; den giftgrünen Natternstengel; die prahlende Blumen(büchse)", das haben wir lange nicht mehr in solcher Reinform verwirklicht gesehen.

VOLKER WEIDERMANN

Arno Schmidt: Vier mal vier. Fotografien aus Bargfeld. Hrsg. von Janos Frecot, Suhrkamp Verlag. 49,90 Euro

Die dazugehörige Ausstellung wird am 24. 10. im Bomann-Museum in Celle eröffnet.
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F468/Doc…
 
aus der Diskussion: Hermann Löns
Autor (Datum des Eintrages): wolaufensie  (12.03.04 11:07:17)
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