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SPIEGEL ONLINE - 19. Mai 2004, 11:56
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Medienchaos im Irak

Pixel statt Patronen

Von Hans Michael Kloth

Seit Saddams Sturz rauscht auch im Irak ein freier Blätterwald, doch seriöser Journalismus hat es schwer. Unprofessionalität und Propaganda beherrschen die Medien, wer auf Unabhängigkeit und Qualität setzt, bekommt schnell Probleme. Die Amerikaner versuchen, den selbst entfachten Bildersturm unter Kontrolle zu bringen.

Am 29. März stürmten schwer bewaffnete GIs die Räume der Wochenzeitung "al-Haussa" in Bagdad. Sie schickten die Redakteure nach Hause und verriegelten die Eingangstür mit Ketten. Das Blatt stachele zu Hass und Gewalt auf und bedrohe die Sicherheit des Irak, begründete US-Zivilverwalter Paul Bremer die Zwangsmaßnahme. Wenige Tage nach dem Verbot seines Sprachrohrs rief der radikale Schiitenprediger Muktada al-Sadr zum Aufstand auf: "Wir werden von den Besatzern und Imperialisten angegriffen", donnerte der Fanatiker beim Freitagsgebet: "Schlagt zurück!"

Fast zwei Monate später haben die US-Truppen al-Sadrs Revolte noch immer nicht voll unter Kontrolle, und die Folgen des "al-Haussa"-Verbots hängen wie ein Menetekel über der zarten Pflanze Pressefreiheit im Irak. Unübersehbar haben sich die Amerikaner in der Medienpolitik, dem Schlüsselstein ihrer Demokratisierungskampagne für den Irak, in ein tiefes Dilemma manövriert "Worte fördern Gewalt", analysiert Monroe E. Price, Direktor des Stanhope Centre for Communications Policy Research in London, das die Medienentwicklung im Irak beobachtet, "aber ihre Unterdrückung kann genau so Gewalt hervorrufen."

"Freedom of Speech", die Freiheit des Wortes, steht auf der Liste der amerikanischen Werte ganz weit oben, und so vergab Washingtons Statthalter Bremer nach Saddams Sturz gleich haufenweise Lizenzen; mittlerweile erscheinen im Irak weit über einhundert Zeitungen. Doch längst hat der Fluch der gut gemeinten Tat die Amerikaner eingeholt, denn einfach nur Meinungsfreiheit macht noch lange keine freiheitliche Presse.

Recherche am Radio

So gibt es kaum erfahrene Redakteure im Irak, nur Anfänger oder alt gediente Journalisten aus den gleichgeschalteten Medien der Saddam-Diktatur. "Die Grundidee von Berichterstattung - das unabhängige Sammeln von Informationen - ist den meisten irakischen Journalisten fremd", sagt Hiwa Osman, der früher bei der BBC war und nun für das renommierte Londoner "Institute of War and Peace Reporting" im Irak Journalisten ausbildet. "Die Hauptschwierigkeit ist, den Kursteilnehmern zu vermitteln, dass es weder auf sie noch auf ihre Meinung ankommt."

Freimütig habe ihm ein irakischer Journalist erklärt, berichtet Osman, wie er seine Artikeln recherchiere: Den ganzen Tag Radio hören und einfach aufschreiben, was ihm zu diesem oder jenem Thema so einfalle. Obrigkeitsfixierung, Nepotismus und die Omnipräsenz der Altkader tun ein Übriges. Die Radio-Journalistin Miriam al-Attija etwa wurde für immer von der Berichterstattung über Regierungsangelegenheiten ausgeschlossen, nachdem sie ein Mitglied des Regierungsrates der Lüge in einer Pressekonferenz bezichtigt hatte. Später wurde ihr von ihrem Arbeitgeber Radio Sawa gekündigt - den Job erhielt der Bruder des Pressesprechers des Regierungsrates.

Gerüchte, Erfindungen, Meinungen werden auf diese Weise im Irak zu harten Nachrichten. Ohne Beleg, gleichwohl als Tatsache vermeldete etwa eine Gazette kürzlich, der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon habe sich heimlich eine Woche lang in Bagdad aufgehalten. Eine andere Zeitung glänzte mit der vollkommen hanebüchenen Behauptung, mehr als die Hälfte der Mitglieder des irakischen Regierungsrates seien gar keine Iraker.

Übermacht der Demagogen

Nur eine Handvoll versucht sich in seriösem Journalismus: neben den nach wie vor in London ansässigen "al-Saman" und "al-Sharq al Awsat" noch die liberale "al-Nahda" und die linke "al-Mada". Letzere war es, die im Januar einen echten Scoop landete, als sie ein Liste mit 260 Namen aus 46 Ländern veröffentlichte, die von Saddam mit Gratis-Gutscheinen für irakisches Öl beschenkt worden waren - darunter der frühere französische Innenminster Charles Pasqua.

Aber wie Hassprediger al-Sadr seine Postille benutzt, um die schiitischen Iraker mit absurden oder verzerrten Gräuelgeschichten über angebliche Untaten der Besatzer in Wallung zu bringen, so betrachten auch andere mehr oder minder extreme Gruppierungen Zeitungen vor allem als nützliche Kampfinstrumente, nicht als unabhängige Nachrichtenquellen. Dabei eint die unterschiedlichen, oft verfeindeten Strömungen inzwischen der militante Anti-Amerikanismus.

Die Amerikaner haben es indes versäumt, rechtzeitig Maßstäbe zu setzen, um wenigstens den schlimmsten Ungeist in der Flasche zu halten. Erst vor drei Wochen berief Bremer eine "Irakische Medien- und Kommunikationskommission" (ICMC) unter Sijamend Zaid Othman, einem Exiliraker und frühen Vizepräsidenten der Presseagentur UPI. Als Keimzelle einer künftigen Regulierungsbehörde soll die Kommission ein Mediengesetz erarbeiten, das professionelle und ethische Standards festschreibt. Bis es allerdings so weit ist, müssen die Amerikaner weiter damit leben, dass ihnen "Zensur" entgegen schallt, wo sie gegen einen "Missbrauch der Pressefreiheit" vorgehen. Und wie verheerend der Eindruck sein kann, mit zweierlei Maß zu messen, bekommen die USA derzeit in der Folteraffäre zu spüren.

Da hilft es wenig, wenn sich die Übergangsadministration auch noch ungeschickt anstellt. Dass Bremer "al-Haussa" per Dekret dichtmachte, betrachten viele Experten als Fehler. "Die Schließung war eine Aufgabe der Iraker", sagt etwa IWPR-Berater Osman. Das Dekret sei "ein stumpfes, grobes Instrument", glaubt auch Stanhope-Direktor Price, weil es etwa keine Möglichkeit für eine unabhängige Überprüfung von Maßnahmen vorsehe. Ironischerweise unterzeichnete Bremer wenige Tage vor dem Verbotsbeschluss die Gründungsurkunde der ICMC, die ein geordnetes Verfahren mit Widerspruchsmöglichkeit vorsieht.

"Wir werden abgewürgt"

Inzwischen machen die ersten pro-amerikanischen Blätter dicht: "Iraq Today", eine solide englischsprachige Wochenzeitung, die ganz auf Linie des Pentagon lag, musste ihr Erscheinen zumindest zeitweise einstellen, angeblich aus "finanziellen Gründen", so Herausgeber Hussein Sinjari, ein Kurde. Der in den USA ausgebildete Chefredakteur Hassan Fattah setzte sich nach Drohungen lieber in die Türkei ab. "Im Irak die Wahrheit zu sagen, ist die härteste Aufgabe überhaupt", schrieb Fattah Anfang des Jahres.

So stößt Statthalter Bremer mit seiner Medienpolitik mittlerweile selbst bei der loyalen Presse auf heftige Gegenwehr. "Wir dachten, die Amerikaner seien hier, um eine freie Presse zu schaffen", klagt etwa Ismael Zayer, Chefredakteur der auflagenstärksten, von den USA mit 1,5 Millionen Dollar im Jahr finanzierten Zeitung "al-Sabaah" ("Der Morgen"). "Stattdessen werden wir abgewürgt." Zayer, der 1980 vor Saddam nach Deutschland flüchtete und anschließend als Korrespondent für das Londoner Blatt "al-Hayat" arbeitete, hat in seiner kurzen Amtszeit bei "al-Sabaah" bereits zwei Attentatsversuche militanter US-Gegner überlebt. Vor der Redaktion wurden bisher nicht weniger als fünf Mal Bomben gefunden und entschärft.

Doch nun hat sich Zayer auch mit den Amerikanern überworfen, denn die goutierten sein Streben nach Unabhängigkeit von der Übergangsverwaltung nicht: Demonstrativ quittierten er und zahlreiche "al-Sabaah"-Redakteure Anfang Mai den Dienst und kündigten die Gründung einer eigenen Zeitung namens "al-Sabaah al-Jadid" ("Der neue Morgen") an. Die Journalisten wollen nicht, dass ihr Blatt dem "Irak Media Network" (IMN) einverleibt wird, in dem Bremers Medien-Manager David Sedgley den alten staatlichen TV-Sender "al-Iraqija", zwei Radiostationen und eben "al-Sabaah" angeblich zu einem öffentlich-rechtlichen Medienverbund nach BBC-Vorbild, zunächst aber wohl zu einem schlagkräftigen Propaganda-Apparat für die USA vereinen soll.

Ein Beauftragter der US-Zivilverwaltung würde dann laut Dekret Nummer 66 formal zum Chefredakteur bestellt - als Aufseher wurde bereits eine kuweitische Medienfirma als Subunternehmer des Telekommunikationskonzerns Harris Corporation auserkoren. Die Firma aus Florida, die rund 70 Prozent ihres Geldes mit Regierungsgeschäften machen soll, hat vom Pentagon den 165-Millionen-Dollar-Auftrag zum Aufbau des IMN ergattert. Sedgley, im Hauptberuf Harris-Manager, tut Zayers Kritik als "Beschwerden eines unzufriedenen Mitarbeiters" und die Rebellion als Sturm im Wasserglas ab. Dabei hatte er den Journalisten noch Mitte April als "sehr starke Persönlichkeit" gelobt, der eine "glaubwürdige Zeitung geschaffen" habe.

Digicam statt Sturmgewehr

Ausstrahlung eines Bin Laden-Videos auf "al-Dschasira": Unfaire Berichterstattung?
Das Hauptproblem für die Amerikaner ist ohnehin das Fernsehen, denn bei einer Analphabetenrate im Irak von über 40 Prozent zählen im Krieg um Herzen und Köpfe Bilder, nicht Worte. Zutiefst frustriert die Amerikaner, dass Aufnahmen von um sich feuernden, jetzt sogar von folternden GIs die Wahrnehmung der Iraker dominieren. "Alles, was die Leute zu sehen bekommen, ist, wie das Minarett von amerikanischem Feuer getroffen wird und einstürzt", zitierte die "New York Times" die Klage eines hohen US-Offiziers: "Die Bilder, wie Kämpfer von Moscheen und Minaretten aus auf uns schießen, sehen sie nicht." US-Kommandeure haben ihren Soldaten darum jetzt befohlen, in vorderster Front neben dem Sturmgewehr auch ihre privaten Digitalkameras einzusetzen - Pixel sind im Irak durchschlagskräftiger als Patronen.

Den enormen Einfluss der beiden großen arabischen Satellitenstationen "al-Dschasira" und "al-Arabija", die sie der unfairen Berichterstattung beschuldigen, wollen die Amerikaner mit zwei eigenen TV-Sendern brechen. Zum Sendestart von "al-Hurra" ("Der Freie"), einem flott gemachten Satellitenprogramm, gab es am 14. Februar gleich ein Interview mit Präsident George W. Bush höchstselbst; um auch terrestrisch senden zu können, hat der US-Kongress jüngst noch einmal 40 Millionen auf das Startbudget von 60 Millionen Dollar draufgepackt

Das IMN hat derweil Saddams alten Staatssender "al-Iraqija" unter seine Fittiche genommen und geht den entgegengesetzten Weg: Das bisher nur konventionell über Antenne zu empfangende Programm soll bald auch über Satellitenschüsseln zu sehen sein, die sich im Irak explosionsartig verbreiten. Das Programm wird langsam weniger langweilig, aber "al-Iraqija" hat ein doppeltes Problem: Der Sender werde "geführt von Profis, die keine Ahnung vom Irak haben", so Experte Hiwa Osman, "und gemacht von Irakern, die keine Ahnung haben vom Journalismus". Er sei letztlich "ein Schaufenster der US-Zivilverwaltung, besetzt mit Baath-Parteigängern", einstigen Anhängern Saddams.

Zweifelhafte Interpretation

Laut einer Umfrage im Auftrag des US-Außenministeriums greifen zwar mittlerweile 40 Prozent der Iraker zuerst auf den offiziösen Sender als Informationsquelle zurück, deutlich mehr als auf "al-Arabija" (29 Prozent) beziehungsweise "al-Dschasira". (11 Prozent). Dass sein Sender "relevanter, akkurater und bedeutender als unsere Wettbewerber" sei, wie Bremers Medienberater Dorrance Smith aus der Umfrage herausliest, belächeln andere Beobachter als Wunschdenken. Die Zuschauer würden "al-Iraqija" - dem Paul Bremer wöchentliche Interviews gibt, ohne harte Fragen fürchten zu müssen - nur als direkte Quelle für Wissen über Denken und Handeln der Zivilverwaltung konsumieren, glaubt Hiwa Osman, nicht weil sie das Programm toll fänden. "Es läuft absolut nicht gut", so Osmans Urteil: "Das IMN verliert bei der irakischen Öffentlichkeit an Boden."

Auch von liberalen arabischen Kommentatoren bekommt das IMN keine gute Noten. Ein "schlechtes Modell" und eine "verfaulte Struktur", nannte der Chef der Londoner Organisation Arab Press Freedom Watch das IMN in der offiziösen ägyptischen Zeitung "al-Ahram". Die Entwicklung von "al-Iraqija" wie auch "al-Sabaah" seien "Beispiele für das Versagen der Medienpolitik der Übergangsregierung".

© SPIEGEL ONLINE 2004
 
aus der Diskussion: Guten Morgen Mr. Bush
Autor (Datum des Eintrages): Joerver  (19.05.04 14:37:29)
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