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und das sagt der Duden zum Thema :)

Political Correctness in der Lexikographie

Von Angelika Haller-Wolf und Ralf Osterwinter (»Sprachspiegel« 6/97)

Zu den derzeit aktuellsten linguistischen Themen gehört das viel diskutierte und reflektierte Phänomen der Political Correctness. Unser Beitrag versucht zunächst, das damit bezeichnete sprachlich-politische Anliegen zu definieren; in einem zweiten Schritt werden die damit verbundenen Zielsetzungen kritisch betrachtet, um anschließend näher darauf einzugehen, was die Forderungen nach politischer Korrektheit der Sprache für die praktische Wörterbucharbeit bedeuten.

Das sprachlich-politische Anliegen

Anfang der 90er-Jahre wurde der Begriff Political Correctness (PC) an den Universitäten der USA geprägt. Er steht für eine Einstellung, die alle Handlungen und Ausdrucksweisen ablehnt, die Personen aufgrund ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, ihrer körperlichen sowie geistigen Verfassung oder sexuellen Neigung diskriminieren. Speziell in Deutschland verbindet sich damit auch die aus der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts resultierende, stark gebrochene Einstellung zu Nationalismus und Militarismus. Den Verfechtern der PC geht es vor allem darum, die kritisierten Einstellungen durch eine Problematisierung der durch sie geprägten sprachlichen Ausdrucksweisen, durch deren Stigmatisierung und letztlich durch deren Ersetzung durch »politisch korrekte« Ausdrucksweisen zu verändern.

Außer in den USA, wo die PC bereits zu zahlreichen – zum Teil sogar sanktionsbewehrten – Sprachregelungen geführt hat, stößt das Konzept der PC überwiegend auf Skepsis und Ablehnung. Dennoch zeitigt es auch im deutschsprachigen Raum merkliche Auswirkungen auf den öffentlichen Sprachgebrauch. Zwar werden – anders als in den USA – meist keine politisch korrekten, verbindlich »richtigen« Bezeichnungen vorgegeben; es werden vielmehr Wörter aufgelistet, die nicht mehr unreflektiert verwendet werden sollen. Dabei handelt es sich häufig nicht um Bezeichnungen, die offensichtlich diskriminierend gemeint sind, sondern vielmehr um solche, die lange Zeit neutral verwendet und deshalb auch in Wörterbüchern nicht mit Markierungen wie z. B. »abwertend« gekennzeichnet wurden.

Skepsis und Kritik

Da es sich beim Phänomen der PC nicht in erster Linie um eine Sprachreform, sondern um eine sozialkritische Bewegung handelt, deren Ziele jenseits der Sprache im Raum der politischen Bewusstseinsbildung liegen, setzt die fundamentale Kritik an der PC hier an. Es wird in Zweifel gezogen, dass jeder Gebrauch der von den Verfechtern der PC inkriminierten Ausdrücke bewusst diskriminierend ist und dass der durch die PC mitunter erzwungene Gebrauch neuer, vorgeblich nicht diskriminierender Ausdrucksweisen ohne die dazugehörige Überzeugung zur angestrebten Verbesserung der sozialen Wirklichkeit führt. Darüber hinaus unterschätze das Konzept der PC die Trägheit von Sprach- und Bewusstseinsveränderungsprozessen erheblich. Sachliche Probleme könnten nicht durch simple Umbenennungen gelöst werden. Vielmehr führten diese mitunter sogar dazu, dass die kritisierten Phänomene zumindest für einige Zeit der Wahrnehmung der Sprachteilnehmer entzogen würden; somit könne die sprachliche Beeinflussung durch PC sogar kontraproduktiv im Hinblick auf die eigentliche, sachliche Zielsetzung wirken.

Darüber hinaus wird dem Konzept der PC zum Vorwurf gemacht, dass seine Befürworter die je eigenen, partikularen Normen ihrerseits unreflektiert für allgemein gültig erachteten und durch sprachliche Manipulationen anderen oktroyieren wollten. Insoweit erinnert die Diskussion um das Thema Political Correctness deshalb an die schon länger bekannte Debatte um die Besetzung von Politikfeldern durch Aneignung bzw. (Neu)definierung der betroffenen Wortschätze. So gesehen handelt es sich also keineswegs um ein völlig neues Phänomen. Trotz der berechtigten Kritikpunkte darf allerdings nicht übersehen werden, dass die Auseinandersetzung mit den sprachlichen und politischen Forderungen der PC-Bewegung zu einer Reihe sprachlicher Neubewertungen bzw. Sprachregelungen geführt hat, die positiven inhaltlichen Zielen des Konzepts durchaus gerecht werden. Und im Zuge der damit einhergehenden Diskussion kam es mitunter auch zu einer normativen Durchsetzung der zugrunde liegenden antidiskriminatorischen Ideen.

Probleme und Konsequenzen für den Lexikographen

Wie wirkt sich nun die neue und an sich zu begrüßende Sensibilität für politische Korrektheit in der Sprache auf die konkrete lexikographische Arbeit aus? Welchen Niederschlag könnte oder sollte sie in den verschiedenen Wörterbüchern zur Gegenwartssprache und ihren Stichwortartikeln finden? Einen ersten Eindruck davon, auf welch unsicheres Terrain diese Fragen führen, vermittelt der Versuch einer möglichst treffenden Bedeutungsumschreibung des Ausgangsbegriffs, wie er etwa in der aktuellen Auflage des Duden-Universalwörterbuchs (3. Aufl., 1996) unternommen wird. Danach ist unter PC die von einer bestimmten (linken, liberalen) Öffentlichkeit als richtig eingestufte Gesinnung zu verstehen, die dazu führt, dass bestimmte Wörter, Handlungen o.Ä. vermieden werden, die als diskriminierend od. pejorativ empfunden werden könnten.

Diese Bedeutungsparaphrase wirft nolens volens weiterführende Fragen auf nach dem genauen Verfahren, an dessen Ende die Etikettierung einer Wortschatzeinheit als »politisch (nicht) korrekt« steht, nach den daran beteiligten gesellschaftlichen Meinungsträgern, ihren Entscheidungskompetenzen und -kriterien oder nach den konkreten Bedingungen bzw. situativen Kontexten, in denen beanstandete Begriffe ein diskriminierendes Wirkungspotenzial entfalten können.

Besonders der letztgenannte Aspekt deutet an, dass Political Correctness in der Sprache den Verfassern von Wörterbüchern weniger Probleme bereiten würde, wenn der Gebrauch eines bestimmten Wortes nur aus der Absichtsperspektive, also dem Blickwinkel eines potenziellen Benutzers, zu betrachten wäre. Denn wer einen Obdachlosen als Penner bezeichnet oder eine Feministin mit Emanze tituliert, dessen abwertende Haltung und herabsetzende Intention gegenüber den so Benannten ist evident. Folglich erscheint die Kennzeichnung solcher unstrittig negativ besetzter Lemmata mit dem pragmatischen Hinweis »(oft) abwertend« konsequent und im Benutzerinteresse.

Von Lexikographen, die den Zielsetzungen der PC genügen wollten, würde jedoch darüber hinaus erwartet, den Gebrauch von Stichwörtern unter dem Aspekt ihrer möglichen Wirkungen zu prüfen. Es verursacht jedoch erhebliche Schwierigkeiten, die völlig offene Klasse der ursprünglich (vermeintlich) wertfreien Ausdrucke zu ermitteln, die bei unreflektierter Verwendung von möglichen Adressaten als diskriminierend aufgefasst werden können, auch ohne dass ein entsprechender (bewusster) Vorsatz auf der Benutzerseite vorliegt. So rückte zu Beginn der laufenden Dekade, als sich immer mehr Flüchtlinge auf das bundesrepublikanische Grundrecht auf Asyl beriefen, der Asylant in den Blickpunkt der sprachinteressierten Öffentlichkeit. Konnte man dieser Personenbezeichnung bis dato nur vorhalten, ohne Differenzierung auf Asylbewerber und Asylberechtigte gleichermaßen zu rekurrieren, so wird das Substantiv seither assoziativ in eine Reihe mit Personenbezeichnungen gestellt, die mit dem gleichen Suffix gebildet und eindeutig negativ konnotiert sind: Intrigant, Querulant, Simulant. Außer Betracht blieb hingegen, dass auf das gleiche Wortbildungsmuster auch Benennungen zurückgehen, die weiterhin als völlig wertneutral gelten: Fabrikant, Musikant, Repräsentant. Wäre es also angebracht, der Bedeutungsangabe zum Stichwort Asylant künftig die Markierung »möglicherweise abwertend« voranzustellen, um den Wörterbuchbenutzer auf eine ungewollte Wirkung des Begriffs aufmerksam zu machen? Vor noch größere Probleme stellt die Lexikographen etwa die Bezeichnung Putzfrau, die man seit den 70er-Jahren sprachkosmetisch zur Raumpflegerin aufzuwerten versucht. Könnte eine explizite Kennzeichnung des – auch von den so Betroffenen – rasch durchschauten und belächelten Euphemismus als Vorzugsform die Wörterbuchbenutzer zur künftigen Vermeidung des politisch inkorrekten Synonyms veranlassen? Wie viele Sprachteilhaber ließen sich durch entsprechende Marker darüber hinwegtäuschen, dass die an sich zu begrüßenden Versuche, einem sozial gering geschätzten Berufsstand zu mehr Anerkennung zu verhelfen, so lange zum Scheitern verurteilt bleiben müssen, wie mit dem quasi verordneten Sprachwandel kein allgemeiner Einstellungswandel einhergeht?

Die Auffassung der PC als Wirkungsbegriff kann jedenfalls den Lexikographen dazu (ver)führen, zu Selbstbezeichnungen Zuflucht zu suchen, die von Personengruppen explizit gewünscht werden, die sich von sprachlicher Diskriminierung unmittelbar betroffen fühlen. So lehnt der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma bereits seit Jahren die im deutschen Sprachraum gebräuchliche Bezeichnung Zigeuner ab und wünscht deren Ersetzung durch die wertneutralen Benennungen Sinti (für die in Deutschland lebenden Zigeuner mit deutscher Staatsbürgerschaft) und Roma (für die ursprünglich osteuropäischen Zigeunergruppen). Im Rechtschreibduden wird diesem offiziell an die Dudenredaktion herangetragenen Wunsch seit der 19. Auflage (1986) in Form eines Fußnotenvermerks zum Stichwort Zigeuner entsprochen.

Der gegenteilige Fall liegt vor, wenn die ursprünglich pejorativen und darob inkriminierten Benennungen Schwule und Lesben von den Betroffenen selbst zu den politisch korrekten Bezeichnungen erhoben werden. Begründet wird diese Neubewertung damit, dass sich die auf Männer und Frauen anwendbare wertfreie Bezeichnung Homosexuelle ausschließlich auf das Geschlechtsleben von Personengruppen beziehe und die mit den Eigenschaften Schwulsein und Lesbischsein verbundene spezifische Lebensart nicht zum Ausdruck bringe. An die Grenzen des Ernstzunehmenden stößt die von der PC-Ideologie praktizierte Vermengung (oder Verwechslung?) von Sprach- und Sachkritik spätestens dann, wenn die Indizierung von Wörtern eine solche Eigendynamik entwickelt, dass auch der vom eigentlichen Wortsinn losgelöste übertragene Sprachgebrauch vom moralischen Pauschalverdikt erfasst wird. Um diesen Automatismus nachzuvollziehen, sei an die weit verbreitete Ablehnung des Wortes Neger erinnert, dessen überwiegend pejorative Konnotationen einen wertneutralen Begriffsgebrauch inzwischen nahezu ausschließen. Zunächst stellt sich also dem Wörterbuchverfasser die Frage, ob ein pragmatischer Hinweis vom Typ »von den Betroffenen selbst oft als abwertend empfundene Bezeichnung« noch ausreichend ist oder bereits zu kurz greift. Sind aber infolgedessen auch Mohrenköpfe und Negerküsse entsprechend zu »brandmarken«, obgleich sie nur ein schokoladenüberzogenes Gebäck aus Eischnee und Zucker bezeichnen? Und wäre dann die aussagekräftige Metapher Schwarzarbeit genauso diskreditiert wie der damit bezeichnete Versuch, Finanzämter und Sozialversicherungskassen zu betrügen, obwohl sich gar keine etymologischen Bezüge zu Menschen dunkler Hautfarbe herstellen lassen? Und wie soll der Lexikograph erst verfahren, wenn dereinst auch die zurzeit noch akzeptierten und von den Betroffenen gewünschten Bezeichnungen Schwarze, Farbige und (Afro)amerikaner der politisch korrekten »Sprachreinigung« zum Opfer gefallen sind, ohne dass sich zeitgleich neue Ausweichbenennungen herausgebildet haben?

Versuche öffentlicher Sprachkritik auf moralischer Grundlage können also Bemühungen um gesellschaftliche Veränderungen allenfalls begleiten, nicht aber ersetzen.

Für Wörterbuchredaktionen mit wissenschaftlichem Anspruch und Selbstverständnis muss daher die sorgfältige Unterscheidung zwischen deskriptiver Wortschatzerfassung und -darstellung einerseits sowie ethisch fundierter Sprachlenkung andererseits verpflichtend bleiben, auch wenn dies in Einzelfällen zur schwierigen Gratwanderung gerät. Wörterbücher können und wollen zwar Hilfsmittel sein, die ihre Benutzer zum reflektierten Sprachgebrauch anregen. Sie eignen sich jedoch nicht für Sprachsteuerungsversuche im Dienst einer mit absolutem, vielleicht nicht zur Genüge hinterfragtem Geltungsanspruch auftretenden Ideologie. Das Ziel der Lexikographie bleibt, den Wortschatz als Teilbereich der Gegenwartssprache möglichst exakt zu erfassen und zu dokumentieren, aber nicht, in vorauseilendem Gehorsam die Abkoppelung der Sprachwirklichkeit von sozialen Gegebenheiten zu betreiben oder derartige Versuche zu fördern.

Die Entscheidung, ob eine Äußerung in einem bestimmten Kommunikationsrahmen angemessen ist, wie sie von (möglichen) Adressaten verstanden werden soll und wie sie aufgefasst werden könnte, will und darf ein sprachbezogenes Nachschlagewerk seinen Benutzern nicht abnehmen. Zum politisch (nicht) korrekten Ausdruck wird ein Wort auch künftig erst durch den adressaten- und kontextbezogenen Gebrauch oder Missbrauch durch Sprachteilhabende.
 
aus der Diskussion: Tugendterror in Deutschland - geistige Gleichschaltung (unter der LINKEN)
Autor (Datum des Eintrages): StellaLuna  (25.07.04 22:32:20)
Beitrag: 20 von 64 (ID:13821633)
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