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HANDELSBLATT, Freitag, 30. Juli 2004, 07:20 Uhr


Richter stoppen Eintreibung der Spekulationssteuer für die Jahre ab 1999


Finanzgericht springt Anlegern zur Seite


Von Jan Keuchel, Handelsblatt


Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) droht eine weitere Schlappe bei der Besteuerung von Spekulationsgewinnen. Erstmals hat jetzt ein Finanzgericht die Vollziehung von Steuerbescheiden für die Jahre ab 1999 gestoppt.




DÜSSELDORF. Damit widersprachen die Richter ausdrücklich der Auffassung des Finanzministers, der die Besteuerung für diese Zeiträume als verfassungsgemäß ansieht und per Erlass die Vollstreckung angeordnet hatte. Diese Auffassung sei „unzutreffend abwegig“, heißt es in der Entscheidung des Brandenburger Gerichts, die dem Handelsblatt vorliegt (Az.: 3 V 974/04).

Die Richter nahmen damit Anstoß an Eichels Interpretation der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von März dieses Jahres. Karlsruhe hatte damals entschieden, dass die Besteuerung von Gewinnen aus Aktienverkäufen in den Jahren 1997 und 1998 verfassungswidrig war. Begründung: Die Finanzbeamten hätten weder eine rechtliche noch tatsächliche Handhabe gehabt, den meisten Hinterziehern auf die Schliche zu kommen. Das habe zu einer verfassungswidrigen Benachteiligung ehrlicher Steuerzahler geführt. Zu den Zeiträumen ab 1999 nahm das Gericht nicht ausführlich Stellung. Dennoch wollte das Finanzministerium nun per Erlass die Steuern ab 1999 eintreiben.

Hiergegen wehrte sich der Kläger im Brandenburger Verfahren jetzt erfolgreich. Es ging dabei um Gewinne von über 3,5 Mill. Euro. Die Richter verwarfen die Auffassung, dass Karlsruhe die Besteuerung ab 1999 abgesegnet habe. „Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass die Besteuerung von Spekulationseinkünften bei Wertpapieren im Streitjahr 1999 verfassungsgemäß sei“, heißt es in der Entscheidung.

Experten halten das für eine gute Nachricht für viele Anleger: In den Jahren 1999 und 2000, einer Phase weltweit boomender Börsen, fielen erhebliche Aktiengewinne an. „Betroffene können jetzt unter Berufung auf die Entscheidung ihre Steuerbescheide offen halten“, sagte Jörg Wiese, Steueranwalt in München, dem Handelsblatt.



Mit dem Urteil aus Brandenburg kommt nun die Diskussion, ob der Staat ausreichende Kontrollmöglichkeiten geschaffen hat, um eine gleichmäßige Besteuerung aller Anleger zu erreichen, wieder in Schwung.

Denn vor dem Verfassungsgericht hatte der Kläger, der renommierte Steuerrechtler Klaus Tipke, moniert, dass die Finanzbehörden tatsächlich und rechtlich keine Möglichkeiten haben, verschwiegene Spekulationsgewinne aufzuspüren. Deshalb müsse nur derjenige sie versteuern, der sie freiwillig angebe. Das sahen die Verfassungsrichter genauso und erklärten die Steuer auf Aktiengewinne für die Jahre 1997 und 1998 für nichtig (Az.: 2 BvL 17/02).

Das Bundesfinanzministerium nahm das Urteil trotzdem zum Anlass, die Finanzverwaltung per Erlass anzuweisen, nun für die Jahre ab 1999 die Steuer einzutreiben: Die Finanzämter sollten vorläufig ergangene Bescheide für endgültig erklären, Einspruchsverfahren nicht mehr ruhen lassen sowie Verfahren, in denen die Steuerbescheide ausgesetzt waren, durchführen.

Dem gebot nun das FG Brandenburg Einhalt. In dem bislang unveröffentlichten Beschluss berufen sich die Richter darauf, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht automatisch bedeute, dass die Besteuerung späterer Zeiträume verfassungsgemäß war. Da das Finanzamt Beschwerde eingelegt hat, ist die Sache nun beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig (Az.: IX B 88/04).

Anwälte begrüßen den Beschluss des FG Brandenburg. „Das ist eine Fundgrube für Berater und Mandanten“, sagte Jörg Wiese, Steueranwalt in der Münchener Kanzlei Wannemacher & Partner, dem Handelsblatt. „Betroffene können jetzt unter Berufung auf die Entscheidung ihre Steuerbescheide offen halten, was sich auch auf anhängige Strafverfahren in Hinterziehungsfällen positiv auswirken kann.“



Die Brandenburger Richter fanden deutliche Worte: „Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nicht, dass die Besteuerung von Spekulationseinkünften bei Wertpapieren im Streitjahr 1999 verfassungsgemäß sei“, heißt es in der Entscheidung. Zudem bezeichnen die Richter die Schlussfolgerungen des Finanzministeriums aus dem Verfassungsgerichtsurteil wortwörtlich als „unzutreffend abwegig“.

Ob der BFH nun die Beschwerde des Finanzamts zum Anlass nehmen wird, grundsätzliche Worte für die Jahre ab 1999 zu finden, darüber ist man sich im zuständigen IX. Senat noch unsicher: „Das können wir jetzt noch nicht beurteilen“, sagte BFH-Pressesprecher Heinz-Jürgen Pezzer, selbst Mitglied des IX. Senats.

Sollte der BFH aber der Auffassung des FG Brandenburg folgen, dürfte jedenfalls der Erlass des Finanzministeriums nicht mehr zu halten sein, glaubt Anwalt Wiese. „Das wäre verfahrensrechtlich ein äußerst begrüßenswerter Aspekt.“

Zusätzliche Hoffnung können Anleger zudem daraus ziehen, dass bereits zwei andere Verfahren zur Spekulationsbesteuerung ab 1999 vor dem BFH gelandet sind, wenngleich nicht wegen Verfassungsfragen (Az.: IX R 13/03, IX R 8/04). „Allerdings steht auch hier die Rechtsgrundlage zur Debatte“, sagt Pezzer. Am Ende könnte die Spekulationssteuer also wieder in Karlsruhe landen.



Die Steuer: Spekulationssteuer auf Gewinne aus Wertpapiergeschäften muss zahlen, wer Aktien innerhalb eines Jahres kauft und wieder verkauft. Es gilt eine Freigrenze für Gewinne bis 512 Euro.

Das Urteil: Karlsruhe entschied im März, dass die Spekulationsbesteuerung 1997 und 1998 verfassungswidrig war. Grund: Den Finanzbeamten fehlte die Handhabe, die Steuer auch bei jenen einzutreiben, die Gewinne nicht angaben. Was für die Zeiträume ab 1999 gilt, ließ das Gericht offen.

Der Eichel-Erlass: Nach dem Urteil ordnete der Finanzminister an, die Steuer für die Jahre ab 1999 einzutreiben. Dem macht das Finanzgericht Brandenburg jetzt einen Strich durch die Rechnung.
http://www.handelsblatt.com/pshb/fn/relhbi/sfn/buildhbi/cn/G…
 
aus der Diskussion: Richter stoppen Eintreibung der Spekulationssteuer für die Jahre ab 1999
Autor (Datum des Eintrages): NATALY  (30.07.04 18:12:12)
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