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Neue Debatte um Spekulationsteuer
Auch Bescheide ab 1999 stehen wieder infrage - Anleger sollten Einspruch einlegen
von Karsten Seibel und Holger Zschäpitz


Wieder ein Nackenschlag für Eichel
Foto: AP
Berlin - Bundesfinanzminister Hans Eichel droht eine weitere Niederlage bei der Spekulationsteuer. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im März dieses Jahres die Besteuerung von Aktiengewinnen in den Jahren 1997 und 1998 für verfassungswidrig erklärt hatte, könnte dies nun auch für den Zeitraum danach gelten. Wer sich gegen die Besteuerung seiner Aktiengewinne gewehrt und Einspruch eingelegt hat, kann darauf hoffen, das an der Börse verdiente Geld ohne Abzüge einzustreichen oder bereits überwiesene Steuern vom Finanzamt zurückzubekommen.


Auslöser für die neu entbrannte Debatte ist eine Entscheidung des Finanzgerichts Brandenburg. Dieses hatte die Vollstreckung von Steuerbescheiden für die Jahre ab 1999 gestoppt. Eichels Anweisung, die Spekulationsteuer möglichst schnell einzutreiben, erklärten die Richter jetzt für unzulässig (Az.: 3 V 974/04). "Damit stehen die Chancen gut, dass die Steuerpraxis nach 1999 ebenfalls verfassungswidrig und damit nichtig ist", sagt Joachim Krämer von der Kanzlei Cleary, Gottlieb, Steen & Hamilton. "Hier muss das Bundesverfassungsgericht wohl noch einmal ran."


Die Karlsruher Richter hatten bereits die Besteuerung von Gewinnen aus Wertpapiergeschäften in den Jahren 1997 und 1998 für verfassungswidrig erklärt. Es ging dabei nicht um die Steuer an sich, sondern deren Erhebung. Die Finanzämter seien in den entsprechenden Jahren auf korrekte Angaben der Steuerpflichtigen angewiesen gewesen und hätten praktisch keine Chance gehabt, die Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Die Steuer habe zu "rechtswidrigem Handeln geradezu" eingeladen und die ehrlichen Steuerzahler benachteiligt. Auf die Jahre danach sei dies aber trotz weiter bestehender Vollzugsdefizite nicht zwingend übertragbar.


Genau hier liegt der Knackpunkt. Während das Bundesfinanzministerium die Karlsruher Richter dahingehend interpretiert, dass die Spekulationsteuer ab 1999 rechtens sei, und dabei auf eine bessere Kontrolle dank neu eingeführter Gesetze verweist, halten die Brandenburger Richter dies schlicht für "unzutreffend abwegig". Das BVerfG habe die Regelung für den Zeitraum nach 1999 nicht expressis verbis für verfassungsgemäß erklärt.


Viele Experten haben auf einen Beschluss wie aus Brandenburg nur gewartet. Die Zeit drängt. Denn das Bundesfinanzministerium wies nach dem März-Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Finanzverwaltungen an, die bislang nur vorläufigen Steuerbescheide der Jahre 1999 bis 2002 für endgültig zu erklären. So wollte Eichel Fakten schaffen. "Eine solche Vorgehensweise ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bedenklich", sagt Christian Rödl von der Kanzlei Rödl & Partner.


Die meisten Experten sind sich einig, dass sich an der Qualität der Überprüfbarkeit der Spekulationsteuer nach 1998 nichts Wesentliches geändert habe. Erst 2003 sei mit dem Steueränderungsgesetz und den damit neu eingeführten Jahresbescheinigungen der Banken die Kontrollmöglichkeit für die Finanzbehörden substanziell verbessert worden.


Für Anleger kommt es nun darauf an, sofern noch möglich, zu handeln. "Wenn jetzt die Finanzbeamten die Spekulationsteuer für die Jahre 1999 bis 2002 bestandskräftig machen wollen, müssen Anleger auf alle Fälle Einspruch einlegen. Wer die vierwöchige Einspruchsfrist verstreichen lässt, hat keine Chance mehr, gegebenenfalls von einem späteren Richterspruch zu profitieren", sagt Krämer.


Sorgen, dass die Finanzbeamten auf stur schalten und einen solchen Einspruch ablehnen, müssen Anleger nicht haben. Das Bundesfinanzministerium hat bereits auf die jüngste Entwicklung reagiert. In einem Schreiben vom 19. Juli stellen Eichels Mannen klar, dass solche Einsprüche ruhen gelassen werden sollen, bis endgültig die Rechtslage geklärt ist.


Der Blick der Steuerprofis geht in den kommenden Monaten gen Süden. Denn der Brandenburger Fall ist nun beim Bundesfinanzhof in München anhängig (Az.: IX B 88/04). Die Richter dort müssen entscheiden, ob sie die Bedenken der Brandenburger Kollegen teilen und den Fall zum Bundesverfassungsgericht überweisen. Aktionärsschützer sind optimistisch: "Die Spekulationsteuer wird erneut vor das Bundesverfassungsgericht kommen", sagt Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Auch seine Vereinigung hält die Steuer zumindest für die Jahre 1999 und 2000 für verfassungswidrig. 2001 und 2002 seien dagegen weniger problematisch, da es in dieser Zeit an den Börsen ohnehin wenig zu verdienen gab.


Artikel erschienen am Sa, 31. Juli 2004

http://www.welt.de/data/2004/07/31/312483.html

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aus der Diskussion: Richter stoppen Eintreibung der Spekulationssteuer für die Jahre ab 1999
Autor (Datum des Eintrages): NATALY  (31.07.04 13:35:37)
Beitrag: 12 von 37 (ID:13873876)
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