Fenster schließen  |  Fenster drucken

Kapitalmärkte in der Demographiefalle?


Der anhaltende demographische Wandel verändert das Gesicht vieler Gesellschaften. Umlagefinanzierte Rentensysteme - die quasi von der Hand in den Mund leben - haben bereits heute Probleme. In Deutschland gibt es zur Zeit pro Person über 65 Jahren noch rund 4 Menschen im erwerbsfähigen Alter - also von 15 bis 65 Jahren - in gut 40 Jahren werden es nur noch halb so viele sein.

Es gibt kaum ein Land in Europa, dass sich dieser Entwicklung entziehen kann - wenn auch die Dramatik nicht überall so groß ist wie in Deutschland - und kaum eine Regierung, die nicht die Leistungen des staatlichen Rentensystems kürzt. Nur private Vorsorge ist in der Lage, diese Kürzungen zu kompensieren. Mehr sparen ist deshalb nötig, wenn man den Ruhestand wirklich genießen möchte. Was für den einzelnen richtig ist, muss für das Kollektiv aber noch lange nicht gut sein. Die geburtenstarken Jahrgänge sind nun nahezu alle in dem Lebensabschnitt, in dem sich Einkommen und private Ersparnis ihrem Maximum im Lebenszyklus nähern. In rund 20 Jahren gehen diese Babyboomer dann in den Ruhestand, veräußern ihr Erspartes, um mit den Erträgen den Ruhestand zu genießen. Wenn sich alle so verhalten, dann müssten die Ersparnisse heute die Kurse an den Kapitalmärkten hochtreiben, und wenn später alle verkauften, müssten diese einbrechen - denn, so die Argumentation, wegen fehlender Kinder heute ist morgen kein Nachfrager für diese Wertpapiere da. Dieser Zusammenhang wird als "Asset-Meltdown" Hypothese bezeichnet. Sie geht zurück auf einen Artikel aus dem Jahr 1989 von den amerikanischen Ökonomen Gregory Mankiw und David Weil, der sich mit dem Immobilienmarkt in den USA beschäftigte ("The baby boom, the baby bust and the housing market"). Angesichts der Alterung der Babyboom- Generation in den USA sagten die Autoren einen dramatischen Preisverfall am amerikanischen Immobilienmarkt für die Zeit bis 2010 voraus. Die aktuelle Entwicklung hat diese Prognose widerlegt, auch wenn es in nächster Zeit zu einer spürbaren Korrektur an den teilweise sehr hoch bewerteten US-Immobilienmärkten kommen dürfte. Auch wenn die Prognose für die US-Immobilienmärkte nicht zutraf, heißt dies nicht, dass die Kapitalmärkte von der demographischen Entwicklung unberührt bleiben. Zu den treibenden Kräften der Kapitalmarktentwicklung zählen
– die Demographie,
– das Sparverhalten und
– die Kapitalnachfrage.

Demographie global

Der demographischer Wandel bereitet weltweit Probleme. Die längere Lebenserwartung in fast allen Ländern der Welt und die rückläufigen Geburtenraten führen zu einer rapiden Alterung unserer Gesellschaft. Da jeder dieser Faktoren das Durchschnittsalter einer Bevölkerung anhebt, lässt sich die gegenwärtige Lage in vielen Ländern am besten mit dem Begriff der doppelten Alterung beschreiben. Infolgedessen wird sich der Altenquotient (also das Verhältnis von Menschen ab 65 zu den 15- bis 65-Jährigen) weltweit von heute rund 12% auf 25% im Jahr 2050 erhöhen. Diese Entwicklung betrifft nicht nur die Industrienationen. So prognostiziert die UN, dass der Altenquotient in China beispielsweise nach 2040 höher sein wird als in den USA - eine Folge der chinesischen Einkindpolitik.

Die Babyboomer

Besonderes Augenmerk richtet sich auf die Jahrgänge der Babyboomer. Diese sind in den USA auf einen beträchtlichen Anstieg der Geburtenrate nach dem Zweiten Weltkrieg zurückzuführen. Diese erreichte in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre ihren Höhepunkt und ging in den darauffolgenden zehn Jahren allmählich zurück, bis auf den derzeitigen Durchschnitt von ca. zwei Kindern pro Frau. In Europa setzte der Anstieg der Fertilität rund fünf bis zehn Jahre später ein als in den USA. Doch hörte der Rückgang der Geburtenrate in vielen Ländern der EU nicht bei rund zwei Kindern pro Frau auf, was für den Erhalt einer konstanten Bevölkerungszahl nahezu ausreicht, sondern fiel weiter, in Deutschland beispielsweise bis auf knapp 1,4 Kinder, in Italien oder zuletzt in Spanien sogar auf eine noch geringere Kinderzahl. In den nächsten vierzig bis fünfzig Jahren wird die Weltbevölkerung weiter wachsen (den mittleren Bevölkerungsprognosen der UN zufolge wird das weltweite Bevölkerungswachstum von derzeit 1,2% auf 0,3% im Jahr 2050 zurückgehen). Das rückläufige Bevölkerungswachstum wird überall von einem Alterungsprozess der Bevölkerungen begleitet, der in Japan, den meisten Teilen Europas und später in China besonders ausgeprägt ist. Das Bevölkerungswachstum wird sich mit Blick auf die größten Länder im Laufe der nächsten 25 Jahre jedoch lediglich in der EU, Japan, China und Russland ins Negative umkehren. Hingegen rechnet man für die USA sowie für die meisten anderen Länder mit einem kräftigen Anstieg der Bevölkerung. Die UN gehen davon aus, dass die US-Bevölkerung von derzeit 290 Millionen auf über 400 Millionen im Jahr 2050 zunehmen wird. Im Gegensatz dazu wird die Bevölkerungszahl in den alten EU-15-Ländern mit 380 Millionen Menschen noch lange Zeit nahezu konstant bleiben und bis 2050 auf 365 Millionen zurückgehen. Dabei wird, wie in allen Industrieländern, der Anteil der Ruheständler zunehmen. Aber nur in der EU und Japan wird es insgesamt weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter geben, während die Zahl der erwerbsfähigen US-Bürger von 200 Millionen auf 240 Millionen und damit um 20% ansteigen wird. In dieser Hinsicht steht den USA eine ganz andere Bevölkerungsentwicklung bevor als Japan und den alten EU-Ländern.

Alter und Sparen

Über die Lebensdauer eines Menschen hinweg gibt es erhebliche Unterschiede hinsichtlich seiner Möglichkeiten, etwas zu sparen. Dies wird üblicherweise in dem 1963 von Ando und Modigliani beschriebenen, traditionellen Lebenszyklusmodell dargestellt. Der Mensch beginnt sein Leben ohne eigenes Einkommen und ist von Zuwendungen seiner Eltern abhängig, da im Kindesalter die Kreditaufnahme in aller Regel nicht möglich ist. Im Laufe des Lebens steigt das Einkommen und erreicht normalerweise im Alter zwischen 45 und 55 ein Maximum. Eine vergleichbare Entwicklung ist auch beim Sparverhalten zu konstatieren. Zu Beginn der beruflichen Laufbahn ist das Einkommen niedrig, die Sparquote ist gering oder sogar negativ, beispielsweise aufgrund von Darlehen für den Kauf einer Immobilie oder eines Autos. Im Laufe der Karriere steigt das Einkommen und mit ihm die Sparquote, die im Alter zwischen 45 und 65 ihr Maximum erreicht. Nach dem 65. Lebensjahr werden die Ersparnisse verwendet, um den Ruhestand zu finanzieren, so dass die Sparquote in den negativen Bereich abfällt. Diese Entwicklung beruht auf dem Versuch, die Konsumausgaben über die Lebensdauer hinweg zu glätten, d.h. das Konsumniveau relativ konstant zu halten, obgleich das Einkommen erheblich schwanken kann und nach der Pensionierung normalerweise geringer ist als zuvor.

Diesen theoretischen Überlegungen stehen allerdings empirische Ergebnisse entgegen, die der Lebenszyklushypothese widersprechen, insbesondere lässt sich bei Senioren kein Entsparen feststellen. Die Daten der Privathaushalte weisen in den meisten Ländern hinsichtlich der Sparquote älterer Menschen sogar einen Anstieg statt einen Rückgang auf. Müssen jedoch zukünftig immer größere Teile des Konsums im Alter aus eigener Ersparnis finanziert werden, dürfte sich das Verhalten ändern, und auch im Alter entspart oder zumindest deutlich weniger gespart werden. Eine in die Zukunft projizierte Entwicklung des altersabhängigen Sparverhaltens würde daher eine höhere Sparquote als heute während des Erwerbslebens und eine geringere im Ruhestand aufweisen. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die zukünftige Ersparnis - also das Kapitalangebot? Erreicht ein größerer Bevölkerungsanteil das von hohen Einkommen geprägte Altersfenster zwischen 45 und 55, werden die Ersparnisse zunehmen. Erst wenn diese Altersgruppe in den Ruhestand geht, ist ein Rückgang der Sparquote zu erwarten. Ein Anstieg der Sparquote ist in zahlreichen Ländern zu erwarten, da die Babyboom-Jahrgänge nun in den einkommensstarken Abschnitt ihres Lebens eintreten. In rund 15 Jahren sollte dann die Sparquote wieder sinken. Kombiniert man diese Überlegungen zur Ersparnis auf Haushaltsebene mit der demographischen Entwicklung in der EU, den USA und Japan, kann man die Auswirkungen der Demographie auf die gesamte Haushaltsersparnis dieser Länder abschätzen. Diese wird zunächst leicht ansteigen, um dann wieder etwas unter das heutige Niveau zu fallen. Alles in allem keineswegs eine dramatische Entwicklung.

Kapitalnachfrage bricht nicht ein

Neben dem Angebot von Sparkapital ist auch die Kapitalnachfrage bedeutsam, wenn Aussagen über mögliche zukünftige Kapitalmarktentwicklungen gemacht werden. Bekannt ist die hohe Nachfrage in den aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens, allen voran China und Indien. Allerdings decken diese Länder ihre Kapitalnachfrage zur Zeit mehr als vollständig aus eigener Spartätigkeit - trotz der vielen Direktinvestitionen, die dort getätigt werden. Wie an den Leistungsbilanzüberschüssen dieser Region zu erkennen ist, sind sie sogar Nettoinvestoren im Ausland. Dies bedeutet aber nicht, dass sich daran in Zukunft nichts ändern könnte und auch nicht, dass man dort nicht investieren könnte oder sollte. Auf absehbare Zeit werden sich dort renditestarke Investitionsmöglichkeiten ergeben. Immer mehr Menschen drängen aus den ländlichen Gebieten in die stärker entwickelten Regionen und suchen dort nach Beschäftigungsmöglichkeiten. Gleichzeitig versuchen die Regierungen durch Infrastrukturinvestitionen die Entwicklungs- und Wachstumsmöglichkeiten zu verbessern. So ist etwa in China trotz der demographischen Probleme in Folge der Einkindpolitik, durch die Land-Stadt Migration auf lange Sicht mit einem Zuwachs des ökonomisch relevanten Arbeitskräftepotentials zu rechnen. Zudem gibt es auch innerhalb der EU eine hohe Nachfrage nach Kapital beispielsweise in den neuen Mitgliedsländern, deren Wirtschaft noch weit vom Produktivitätsniveau der alten Mitglieder entfernt ist. Diese Lücke lässt sich in den kommenden Jahren nur durch Investitionen verringern. Mittelfristig dürfte zudem die Kapitalnachfrage auch in den alternden Industrieländern steigen. Wie bereits erwähnt, geht in diesen Ländern das Arbeitskräftepotential spürbar zurück. Allein in Deutschland wird sich die Zahl der 15 bis 64-Jährigen - also der potentiellen Erwerbspersonen - in den nächsten 30 Jahren um gut 8 Millionen verringern. Der Rückgang des Arbeitskräftepotentials zieht Investitionen in Automatisierungstechnologie usw. nach sich. Als

Folge steigt der Kapitalbedarf hierzulande voraussichtlich gerade dann am stärksten, wenn die Babyboom-Jahrgänge in Rente gehen.

Kommt es zum Asset- Meltdown?

Eine anhaltende Kapitalnachfrage ist für sich genommen schon ein Grund, der gegen einen Zusammenbruch der Kapitalmärkte spricht. Zudem ist zu beachten, dass die Frage, ob es zu einem demographiebedingten "Asset-Meltdown" kommen muss, sich nicht durch eine Betrachtung der zahlenmäßigen Stärke von Rentnergeneration und Erwerbstätigen beantworten lässt. Weniger die Anzahl potentieller Käufer als die tatsächliche Nachfrage ist entscheidend. Geht man von weiterem Wirtschaftswachstum aus, so versucht jede Generation ein höheres Wohlstandsniveau abzusichern als die Elterngeneration. Daraus ergibt sich eine höhere Nachfrage pro Kopf. A priori ist es unklar, ob diese stärkere Nachfrage schwerer wiegt als die Verringerung der Nachfragerzahl oder umgekehrt, aber auf jeden Fall wäre ein Nachfragerückgang nach Wertpapieren weniger dramatisch, als es ein Vergleich der Köpfe nahelegt. Für die heute Erwerbstätigen stellt sich die Frage ohnehin anders. Die Investition in die gesetzliche Rentenversicherung wirft für viele Menschen - je nach Alter und Familienstand - nur eine geringe oftmals sogar eine negative Rendite ab. Die Investition am Kapitalmarkt ist daher auf jeden Fall lukrativer, denn auf lange Sicht sind negative Renditen am Kapitalmarkt kaum vorstellbar. Zudem ist nicht die Anzahl der potentiellen Nachfrager hierzulande für den Preis eines Wertpapiers entscheidend. Letztlich verlieren Aktien nur dann ihren Wert, wenn für die entsprechenden Unternehmen keine Gewinnmöglichkeiten mehr bestehen. Das wird zukünftig nicht anders sein als heute. Zwischenzeitlich kann es dagegen immer wieder zu heftigen Kursreaktionen kommen. Wie wir erst in den letzten Jahren gesehen haben, bedarf es dazu aber nicht zwangsläufig einer dramatischen Verschiebung der Demographie. Von noch viel größerer Bedeutung ist allerdings, dass eine kapitalgedeckte Altersvorsorge die Möglichkeit eröffnet, im Ausland zu investieren. Im Gegensatz zum Umlageverfahren findet keine Begrenzung auf das Heimatland statt. Auch wenn in Deutschland und Europa die Bevölkerungszahl in den nächsten 50 Jahren voraussichtlich sinken wird, die Weltbevölkerung wächst weiter - von heute rund 6,5 Milliarden Menschen auf rund 9 Milliarden im Jahr 2050 (mittleres Szenario, UN Population Division). Dabei bleibt der Bevölkerungsanstieg nicht auf die Entwicklungsländer und Emerging Markets beschränkt. Für die USA wird ein Anstieg der Bevölkerung von heute rund 290 Millionen auf über 400 Millionen 2050 erwartet. Im Zuge einer internationalen Portfoliodiversifikation können demographische Unterschiede zwischen einzelnen Ländern ausgenutzt werden. Dies alles bedeutet nicht, dass es keine Auswirkungen der demographischen Veränderungen auf die Kapitalmärkte geben wird. Wenn Arbeitskräfte tendenziell knapper werden und Kapital in Form von Ersparnissen reichlicher, werden die Löhne stärker steigen als der Preis für Kapital. Die Renditen werden sich demnach etwas schwächer entwickeln als in der Vergangenheit. Dabei dürfte es sich allerdings um graduelle Veränderungen und nicht um dramatische Ausschläge handeln. Angesichts eines auf absehbare Zeit anhaltenden globalen Bevölkerungswachstums, einer zunehmenden weltweiten Arbeitsteilung, der Integration von immer mehr Volkswirtschaften in den globalen Handel und immer enger verzahnten globalen Kapitalmärkten gehen wir nicht davon aus, dass es zu einem demographiebedingten Zusammenbruch der Kapitalmärkte kommen wird. Als kritisch ist vielmehr der Anteil der Alterseinkommen zu betrachten, der nach wie vor aus umlagefinanzierten Systemen kommen soll. Dieser dürfte in Deutschland mit mehr Risiken behaftet sein, als eine Kapitalanlage.
 
aus der Diskussion: USA doch nicht so schlecht?
Autor (Datum des Eintrages): fiebbes  (16.10.04 08:50:33)
Beitrag: 1 von 3 (ID:14734017)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE