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Der Waggon von Compiègne
Nachricht vom 26.04.2004 Ein Eisenbahnwaggon diente zur Inszenierung von Sieg und Niederlage im Ersten und im Zweiten Weltkrieg, mal auf französischer, mal auf deutscher Seite.

Der 22. Juni 1940 war für die deutsche wie die alliierte Kriegspartei ein denkwürdiger Tag. Im Wald von Compiègne, 60 Kilometer nordöstlich von Paris gelegen, unterzeichneten die Delegationen beider Seiten einen Waffenstillstandsvertrag. Auf Befehl von Adolf Hitler fand dies an demselben Ort und in demselben Eisenbahnwaggon statt, in dem 1918 der Waffenstillstand zwischen der Entente und dem Deutschen Reich unterzeichnet worden war. Nur, diesmal hatten sich die Verhältnisse ins Gegenteil gekehrt: Nun inszenierte die deutsche Seite ihren militärischen Sieg und einen dramatischen Akt der Unterwerfung des Gegners. Und sie plante, ihren Triumph danach auch der deutschen Bevölkerung vor Augen zu führen.
Zu diesem Zweck brachen deutsche Soldaten die Mauer des 1927 erbauten Pavillons auf, in dem der Waggon mit der Nummer 2419 D untergebracht war – in unmittelbarer Nähe des Ortes, an dem 1918 der Waffenstillstand beschlossen worden war. Sie schoben den Wagen mit Körperkraft zurück an diesen historischen Platz (die zum Transport 1927 angelegten provisorischen Schienen waren inzwischen überwachsen), genau dorthin, wo zwischen den beiden Schienen eine Marmorplatte mit der Aufschrift ???Maréchal Foch“ lag, dem Namen des Verhandlungsführers der Entente von 1918. Auf ein paar Meter genau wollte Hitler wieder den Ort der früheren deutschen ???Demütigung“ einnehmen. Nichts überließen die Deutschen bei dieser Inszenierung dem Zufall: An der Seite des Tisches, an der 1918 die siegreichen Franzosen gesessen hatten, nahmen nun die triumphierenden Deutschen Platz.

Am 22. Juni 1940 setzte das französische Staatsoberhaupt Philippe Pétain seine Unterschrift unter das Abkommen. Es führte zur Teilung Frankreichs in ein von Deutschland besetztes und verwaltetes Gebiet und einen unbesetzten Landesteil mit einer deutschlandfreundlichen, autoritären Regierung unter Pétain mit Sitz in Vichy. Zum deutschen Besatzungsgebiet gehörten der gesamte Norden des Landes, die Atlantikküste und Paris. Das Heer wurde auf 100000 Mann beschränkt, die Flotte entwaffnet.

Um der deutschen Bevölkerung den Triumph von Compiègne vor Augen zu führen, veranlaßte Hitler umgehend die Überführung des Waggons nach Deutschland. Letztlich wiederholte sich eine Inszenierung, wie sie ähnlich einige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg geschehen war: Der Waggon war (nach einer zwi?schen?zeitlichen Nutzung als Speisewagen) in der Nacht zum 27. April 1921 auf Tiefladern in den Ehrenhof des Pariser Invalidendomes gebracht und dort einige Zeit aufgestellt worden. Er hatte vom Scheitern der Deutschen Zeugnis geben sollen und war prompt zur Touristenattrak?tion geworden. Einige Jahre später wurde er restauriert und schließlich in den eigens errichteten Pavillon in Compiègne gebracht.

Auch 1940 stellten die Sieger ihre militärische und politische Genugtuung zur Schau. Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands 1940 wurde der Waggon wieder auf einen Tieflader gerollt, zum nächsten Eisenbahnanschluß und von dort nach Berlin gebracht. Auch die Gedenkplatte für Marschall Foch fand man später in Berlin. Im Lustgarten unmittelbar vor dem Berliner Dom wurde der Wagen eine Woche lang zur Schau gestellt. Danach brachte man ihn in ein Eisenbahndepot am Rand Berlins. Dort und später auf einem Nebengleis des Anhalter Bahnhofs wurde er für viele Monate abgestellt – unter scharfer Bewachung. Seiner Zerstörung konnte er in Berlin entgehen, nicht aber in Thüringen, wohin er später gebracht wurde. In der Nähe eines Stollensystems bei Ohrdruf wurde er entweder durch Bomben der Alliierten zerstört oder von deutschen Soldaten gesprengt. Im kleinen Museum von Compiègne ist daher auch nicht der Originalwaggon zu besichtigen, sondern ein baugleicher Waggon, dafür aber die bei Ohrdruf gefundene Waggonnummer aus Messing.
Die Ankunft des Waggons in Berlin, wie auch die Fahrt durch das Brandenburger Tor auf der Ladefläche eines Tiefladers, wurde vielfach fotografisch dokumentiert. Das Objekt der deutschen Revanche für die Niederlage von 1918 war Tagesgespräch und zog viele Journalisten und Fotografen an. Fotografien wie die hier vorliegende vom Abtransport des Waggons, der in der französischen und deutschen Geschichte eine so bedeutungsvolle Rolle spielte, sind dagegen rar. Die hier gezeigte Aufnahme aus Compiègne stammt von einem deutschen Soldaten unbekannten Namens. Sie wurde auf einem Trödelmarkt in Leipzig angeboten und im Oktober 2003 im Internet weiterverkauft. Sie befindet sich heute im Besitz des Autors. Das 11,5 mal 8,5 Zentimeter große Foto ist rückseitig mit blauer Tinte beschriftet: ???Das ist der Wagon in Kompiegne wo ds. [daselbst] zwo Verträge abgeschlossen worden sind, ich bin auch hier dabei aber ich bin nicht zu sehen, 1940 und 1918“.

Quelle: Eduard Kopp
 
aus der Diskussion: Ehevertrag: Wie werden die Anwaltskosten berechnet?
Autor (Datum des Eintrages): NATALY  (16.10.04 21:12:26)
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