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Wirtschaft

Ranzige Kost

In seinem neuen Buch serviert Hans-Olaf Henkel die alten Vorurteile gegen Politiker und Parteien

Von Warnfried Dettling

Dieses Buch muss man empfehlen. Wie kaum ein anderes eröffnet es Einblicke in das Welt- und Gesellschaftsbild eines der führenden Repräsentanten der wirtschaftlichen Elite Deutschlands. Dass ökonomischer Liberalismus und kulturell-gesellschaftlicher Konservatismus sich gut vertragen, ist nichts Neues und auch nichts Besonderes: Es ist eher die Regel als eine Ausnahme.

Was in dem Buche aber doch überrascht, das ist die Selbstverständlichkeit, mit der hier ein traditionelles Verständnis von Kultur und Gesellschaft gepflegt wird, mit all den Ressentiments, die in Umlauf sind. Henkel und andere möchten, so scheint es, am liebsten beides haben: die Modernisierung der Ökonomie und die Konservierung der Gesellschaft.

So werden Gesellschaftsbilder sichtbar, aber auch politische Mentalitäten. Da ist einmal des Autors nur spärlich verhüllte Verachtung gegenüber Parteien, Politikern, dem deutschen Volk (»weitgehend ahnungslos«). Dieser Abwertung der Politik entspricht die Selbstermächtigung der wirtschaftlichen und konservativer Eliten zu Repräsentanten der öffentlichen Vernunft. So erhofft sich der Autor für seinen gemeinsam mit Roland Berger gegründeten »Konvent für Deutschland« den Auftrag, ein neues Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland auszuarbeiten, das dann dem Volk zur Entscheidung vorgelegt wird. Das alles läuft auf einen Begriff von Demokratie hinaus, der wenig mehr meint als die Herrschaft von Experten plus Volksentscheid. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft werden als eine Maschine betrachtet, die nur die richtigen Leute richtig bedienen müssten. »Political Re-Engineering« nennt er das.

So ist ein Buch entstanden voller Vertrauen in die »Eigendynamik des Aufbruchs«, aber ohne jede Perspektive und Tiefenschärfe (»Über Deutschland ist genug und ausdauernd gerichtet worden«). Die Ökonomie ist sich selbst genug. Der Geist des Kapitalismus schnurrt zusammen auf Weltwirtschaft, Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft. Deutschland ist machbar, heißt es, von der Kraft des Neubeginns ist die Rede, doch nach Ideen, Werten und Zielen, welche die Welt der Wirtschaft transzendieren, sucht man vergebens. Wen oder was repräsentieren eigentlich die wirtschaftlichen Eliten zu Beginn des 21.Jahrhunderts?

Die Horizonte bleiben überschaubar, es tummeln sich die Vorurteile. Beiläufig notiert er über die Frau des neuen Bundespräsidenten, sie mache einen durchaus intelligenten und eigenständigen Eindruck. Der Subtext eines traditionellen Frauenbildes fällt ihm vermutlich gar nicht auf. Die »Frau an seiner Seite« stellt man sich ja auch anders vor. Für Angela Merkel als Kanzlerin spreche, dass die promovierte Physikerin »etwas Ordentliches« gelernt habe. Angesehene Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes denunziert er als »ehemalige Politspinner«, an Peter Glotz bewundert er die »politische Bekehrung«. Der Erfolg der Grünen basiere auf »ideologischem Blendwerk«. Ganztagsschulen erinnern ihn an die »fixe Idee des sozialistischen Menschenbildes«. An den Schulen kritisiert er die »Gleichmacherei«, und das bei einem System, das Schüler so früh und gründlich selektiert wie kaum ein anderes. Bei anderen Reformen wittert er einen ideologischen Kampf um die »Lufthoheit nicht nur über den Kinderbetten, sondern auch über den Schulklassen«.

Henkel wollte Wolfgang Schäuble zum Bundespräsidenten machen

Ein Glanzstück besonderer Art sind die Passagen über die Vorgeschichte der Wahl des Bundespräsidenten im Frühjahr 2004. Der Autor sieht darin, und dies nicht ganz zu Unrecht, ein »Lehrstück über unsere Demokratie, die ihr höchstes Amt als Spielball von Parteienkalkül und Profilneurose mißbrauchen läßt«. Für Henkel ist Wolfgang Schäuble der richtige Mann zur rechten Zeit; für ihn agiert er vor und hinter den Kulissen. Merkel und Westerwelle versichern ihm, dass sie das ganz genauso sähen, nur sei er bei der anderen Seite leider nicht durchsetzbar. Als Henkel die Intrige durchschaut, ruft er erbost bei Westerwelle an und bittet um Rückruf. Westerwelle aber ruft nicht zurück, er werde »schon gewußt haben, warum«. Dass diese Symbiose zwischen Politik und Wirtschaft und die Erwartung, Politiker haben, und zwar subito, zurückzurufen, auf der anderen Seite, zwischen Gewerkschaften und SPD, genauso ausgeprägt sind, macht die Sache zwar paritätisch, aber deshalb nicht besser. Was kam zuerst und was ist schlimmer: die Übergriffe der organisierten Interessen oder die üblichen Dienstbarkeiten der Politik?

So bietet Henkels Buch eine ebenso interessante wie irritierende Lektüre. Am Ende bleibt die Frage, ob man mit einem Gesellschaftsbild von gestern das Deutschland von morgen machen kann oder ob nichtmentale und kulturelle Blockaden zu einem eigenständigen Hemmnis gerade auch der wirtschaftlichen Entwicklung zu werden drohen.

die zeit
 
aus der Diskussion: Die 68er - die Totengräber Deutschlands
Autor (Datum des Eintrages): Heizkessel  (23.10.04 11:14:34)
Beitrag: 59 von 88 (ID:14846644)
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