Fenster schließen  |  Fenster drucken

Hier ein Artikel von Fred Hager vom 15.07.00 aus BILANZ online zum Thema KGV

Bischoff



Die Illusion des Kurs-Gewinn-Verhältnisses

Ein weit verbreitetes Hilfsmittel für Anlageentscheide ist der Vergleich der
Wachstumsrate eines Unternehmens mit dem Kurs-Gewinn-Verhältnis ihrer Aktien,
bekannt unter dem Kürzel KGV. Über das KGV wurde schon viel geschrieben, doch
nur weniges davon ist tatsächlich auch hilfreich.

Die Theorie: Weist ein Unternehmen beim Gewinn eine beständige Wachstumsquote
von 20 Prozent auf, wären die Aktien mit einem KGV von 20 oder weniger fair
bewertet. Demzufolge liesse sich bei einer Gesellschaft mit einem Wachstum von
30 Prozent ein KGV von 30 durchaus rechtfertigen.

Für den Anleger ist es unumgänglich, auf Titel von Unternehmen mit einem
gewissen Wachstum zu setzen. Damit sich bei einem Investment nur schon die
Kaufkraft erhalten lässt, muss der Firmengewinn mindestens im Ausmass der
jährlichen Inflationsrate wachsen. In den letzten 25 Jahren betrug die jährliche
Inflationsrate rund sechs Prozent, und daran dürfte sich auch in den nächsten 25
Jahren kaum etwas ändern. Damit der Investor bei seinen Anlagen also nur schon
die Kaufkraft erhalten kann, ist ein Wachstum von sechs Prozent nötig.

Über die letzten zehn Jahre war mit Fonds eine jährliche Gesamtrendite von 10,25
Prozent zu holen; nach Steuern und Inflation bleibt von dieser Rendite jedoch
kaum noch etwas übrig. In den USA werden die meisten Investoren mit einem
Steuerfuss von über 30 Prozent eingestuft. Bei einer Bruttorendite von 10,25
Prozent verbleibt Ihnen damit, Fiskus und Geldentwertung eingerechnet, ein
Nettogewinn von etwa einem Prozent.

Erzielen Sie eine Bruttorendite von 15 Prozent, schmilzt Ihr effektiver Gewinn
wegen Steuern und Kaufkraftverlust auf noch 4,5 Prozent. Mit anderen Worten:
Diese 15 Prozent entsprechen gegenüber dem oben erwähnten Beispiel von 10,25
Prozent einer um rund ein Drittel höheren Bruttorendite. Unter dem Strich
allerdings verbleibt Ihnen, an der realen Kaufkraft gemessen, eine
viereinhalbmal höhere Nettorendite.

Die Lektion ist klar: Auch wenn eine Aktie ein KGV von zehn aufweist und der
Aktienkurs jährlich um zehn Prozent steigt, muss es sich noch lange nicht um
eine attraktive Anlage handeln. Wer sein Depot primär mit solchen Titeln
bestückt, läuft Gefahr, dass sein Anlagevermögen langsam, aber sicher entwertet
wird.

Nun, was passiert, wenn ein Unternehmen mit 30 Prozent wächst? Nach Abzug der
Steuern bleiben 21 Prozent. Ihr effektiver Gewinn nach Einrechnung der
Inflationsrate beträgt noch 15 Prozent. Damit verbleibt Ihnen exakt 15-mal mehr
gegenüber einer Investition mit einer Bruttorendite von 10 Prozent. Auf lange
Sicht erwirtschaften Sie mit Titeln von Unternehmen mit einer
überdurchschnittlichen Wachstumsrate einen anständigen Gewinn trotz zeitweiligem
Rückschlag.

Summa summarum: Mit einer Wachstumsrate von 30 Prozent wird Ihr Gewinn 15-mal
schneller wachsen als bei einer Rate von 10 Prozent. Aus diesem Grund sollten
Sie auf einen hohen Unternehmensgewinn und auf ein hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis
achten.

Die Annahme, dass ein tiefes Kurs-Gewinn-Verhältnis eine günstige
Kaufgelegenheit bedeutet, ist fast immer falsch. Gemäss einer Studie, die am 12.
April 1999 in der Zeitschrift «Business Week» veröffentlicht wurde, lag die
Rendite eines diversifizierten Aktienfonds 1998 bei 1,15 Prozent. Auf Grund
dieser Zahlen haben viele Investoren mit ihren Wertpapierdepots ein Vermögen
verloren.

1986 kaufte ich keine Microsoft-Aktien, die damals ein KGV von 25 aufwiesen.
1990 bezahlte ich fünfmal mehr für dieselben Aktien, aber zu einem höheren KGV.
Wäre das KGV die einzige Überlegung für den Kauf eines Wertpapiers gewesen,
besässe ich keine Aktien von Firmen wie EMC, JDS, Uniphase, Cree oder Qualcomm.
Das grösste Problem beim KGV ist, dass tiefe KGV sich meist auf die Gewinnzahlen
der letzten zwölf Monaten beziehen. Sehr oft bestehen solche tiefen KGV, weil
erfahrene Investoren wissen, dass sich die Gewinne eines Unternehmens auf dem
Abwärtstrend befinden.

Andererseits haben Firmen sehr oft hohe KGV, weil Investoren einem Unternehmen
ein hohes Gewinnpotenzial attestieren. Es macht deshalb Sinn, den Kauf einer
Aktie in Erwägung zu ziehen, trotz gegenwärtiger Verluste und einem relativ
hohen KGV.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Firma JDS Uniphase (JDSU), die
Glasfaserkomponenten herstellt. Das Unternehmen wies trotz einem explosiven
Wachstum zeitweise Verluste aus. JDS investierte durch Expansion und
Akquisitionen anderer Firmen in ihr Wachstum. Und obwohl das Unternehmen
anscheinend ein überaus hohes KGV aufweist, wird die Firma mit Blick auf den
wachsenden Markt für Glasfaserkabel zu einem ausgezeichneten Investitionsobjekt.

-------------------------------------------------------------------------
Fred Hager ist in der Schweiz aufgewachsen und begann eine typisch amerikanische
Karriere als Koch und Staubsaugervertreter. 1976 übernahm er die Firma Telecomp,
die er bis 1998 leitete. Seit 1986 verfasst der Selfmade-Mann den Anlagebrief
«Hager Computer Technology Research» Vor rund zwei Jahren ging Fred Hager mit
seinen auf Hightech-Werte spezialisierten Börsenbrief aufs Internet
 
aus der Diskussion: Börsenguru`s
Autor (Datum des Eintrages): Bischoff  (08.08.00 20:18:59)
Beitrag: 40 von 150 (ID:1525245)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE