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Das Geschäft mit der Seuche
Der Kampf gegen Aids ist ein Milliardenmarkt. Die Entwicklung neuer Wirkstoffe hilft nicht nur den Patienten. Für Biotech- und Pharmakonzerne ist das Geschäft hochprofitabel. Die Anleger verdienen mit
von Michael Braun

Seit einigen Tagen geht in New York wieder die Angst um. Nicht die Furcht vor Terror sorgt dabei für Panik in der Bevölkerung, sondern ein alter Bekannter: das tödliche Aids-Virus. Denn erstmals beschrieben Wissenschaftler im Februar eine neue Variante des Erregers, den Virusstamm 3-DCR HIV, an dem ein New Yorker Mann Mitte 40 erkrankt ist. Diese Variante ist resistent gegen fast alle verfügbaren Medikamente und so aggressiv, daß die Immunschwäche Aids bei Infizierten binnen Monaten ausbricht. Es könnte sich, so die Sorge, um einen der gefährlichsten Gegner der Medizin handeln: einen Super-Virus.


Für die Menschheit und die Forschung ist dies eine uneingeschränkt schlechte Nachricht. Doch sicher ist auch: So lange der Aids-Erreger dank immer neuer Mutationen eine tödliche Gefahr bleibt, bleibt er ein Milliarden-Geschäft. Der Weltumsatz für Aids-Wirkstoffe beträgt nach einer Studie der US-Bank JP Morgan inzwischen etwa fünf Milliarden Euro im Jahr, von denen gut die Hälfte auf den US-Markt entfällt. Es klingt makaber, ist aber wahr: Aids hat mittlerweile nicht nur mehr als 20 Millionen Todesopfer auf dem Gewissen. Die Krankheit hat sich auch zu einem Pharmasegment entwickelt, das Anleger reicher gemacht hat. Mittlerweile kommt das globale Geschäft mit Aids-Wirkstoffen - Analysten sprechen vom "HIV Franchise" des Pharma-Sektors - auf einen höheren Marktwert als der Daimler-Chrysler-Konzern.


Ermöglicht hat diesen viralen Börsen-Boom ein wichtiger Etappensieg der Forschung. Während Aids bis 1995 nicht behandelbar war, gibt es seitdem eine ganze Reihe wirksamer Therapien. Das Erfolgsrezept der Ärzte: Sie kombinieren mehrere Wirkstoffe zu Pillencocktails und halten das Virus so oft über viele Jahre - und möglicherweise Jahrzehnte - in Schach. Binnen zehn Jahren ist das pharmazeutische Waffenarsenal auf mehr als 30 wichtige Wirkstoffe verschiedener Klassen aufgestockt worden, die in verschiedenen Kombinationen dem Virus das Leben schwer machen.


Einige dieser Wirkstoffe zählen zu den teuersten Schöpfungen in der Geschichte der Pharmazie. So handelt es sich bei dem 2003 zugelassenen Medikament Fuzeon, gemeinsam entwickelt vom Schweizer Roche-Konzern und dem US-Biotech-Unternehmen Trimeris, um einen der kompliziertesten pharmazeutischen Wirkstoffe aller Zeiten. Das Mittel wird in mehr als 100 Produktionsschritten in geringen Mengen hergestellt und ging mit einem Rekordpreis von 18 980 Euro pro Patient und Jahr an den Start.


Trotz dieses Preisschilds findet Fuzeon Abnehmer. Das Medikament stellt bei Aids zur Zeit die letzte Verteidigungslinie dar: Es wird Patienten injiziert, die resistent sind gegen alles andere. Es handele sich oft um die "letzte Rettung", sagt Arne Jessen, Arzt in einer großen HIV-Schwerpunktpraxis in Berlin.


Fuzeon & Co. haben die Behandlung von HIV-Infizierten revolutioniert. "Die Aids-Zahlen und die Sterberaten sind damit ganz drastisch gesunken", sagt Jessen. Nach Angaben von Pharmaexperten sterben in westlichen Ländern von 200 Patienten nur noch drei im Laufe eines Jahres an der Immunschwäche. Vor 1995 lag der Vergleichswert bei 30. Dieser medizinische Durchbruch spiegelt sich in den Geschäftszahlen der Pharmabranche wieder.


Auch wenn es zynisch klingen mag, aus Sicht der beteiligten Unternehmen gilt: Das Geschäft mit der Seuche - also vor allem mit den Langzeit-Patienten - boomt. Es handele sich um "hoch profitable Produkte", sagt Michael Fischer, Chef des Beratungsunternehmens Medical Strategy in München. "Das erklärt das Interesse der großen Firmen." Jessen bringt es auf den Punkt: "Am Ende geht es um Geld, das muß man ganz deutlich sehen."

Die radikalste Geldvermehrung auf diesem Gebiet hat das Biotech-Unternehmen Gilead im kalifornischen Foster City realisiert, indem es sich auf HIV-Medikamente spezialisierte. Seit der Firmengründung im Jahr 1987 konnte Gilead den Jahresumsatz auf nunmehr eine Milliarde Euro steigern. Der Gewinn lag 2004 bei 341 Millionen Euro. Eine für Anleger extrem lukrative Börsengeschichte: Das Kursplus seit dem Börsengang 1992 beträgt 1250 Prozent. "Aids", so Fischer, "war bei Biotech-Produkten eine der frühen Erfolgsgeschichten." Dieser Satz gilt für kein Unternehmen mehr als für Gilead, dessen Marktkapitalisierung heute bei elf Milliarden Dollar liegt. Damit ist es höher bewertet als der DAX-Wert Schering.


Neben Spezialisten wie Gilead ist auch Big Pharma längst auf den Zug aufgesprungen und setzt heute Milliarden mit HIV-Wirkstoffen um. Ob Glaxo SmithKline (GSK) oder Abbott, Bristol-Myers Squibb oder das deutsche Unternehmen Boehringer Ingelheim: Sie alle profitieren von einem stetig wachsenden Geschäftsbereich. GSK etwa kam 2004 auf einen Jahresumsatz allein im HIV-Segment von zwei Milliarden Euro.


Schon heute stehen indes die neuen pharmazeutischen Waffensysteme im Kampf gegen das HI-Virus fest, die auch in Zukunft für Milliarden-Erträge sorgen sollen. Neben einer völlig neuartigen Wirkstoffklasse, den so genannten CCR5-Hemmern, sind Aids-Impfstoffe und Mikrobiozide die spektakulärsten Hoffnungsträger. Mehr als 30 Impfstoffe werden zur Zeit rund um den Globus an Menschen getestet. Sollte eines Tages nur einer von ihnen funktionieren, könnten Millionen Menschen vor einer Infektion geschützt werden.


Dabei würde ein Impfstoff die Aids-Umsätze der Pharmaunternehmen keineswegs gefährden. Ein Serum kann immer nur einen Teil der Geimpften schützen und die Überlebenschancen bei einer Ansteckung erhöhen - niemals alle. Die Nachfrage nach Wirkstoffen in Pillenform würde trotzdem steigen: Denn "für die anderen braucht man auf jeden Fall Medikamente", wie Volker Mertens von der Deutschen Aids-Stiftung sagt. Der Pool der HIV-Patienten in aller Welt, die chronisch krank sind und dauerhaft mit Wirkstoffen versorgt werden müssen, würde immer weiter wachsen.


Bereits heute leben mehr als 40 Millionen Menschen mit dem Virus, 25 Millionen von ihnen in Zentral- und Südafrika. In den zehn Minuten, in denen Sie diesen Artikel lesen, haben sich etwa einhundert Menschen rund um den Globus mit HIV infiziert; 60 sind an Aids gestorben, darunter zehn Kinder. Das sind entsetzliche Zahlen.


Doch es gibt auch einzelne Hoffnungssignale. Ein Pillen-Cocktail, der in den USA 12 000 Dollar pro Patient und Jahr kostet, ist in einigen Entwicklungsländern heute für 150 Dollar erhältlich - vor zehn Jahren wäre eine solche Preisdifferenz noch undenkbar gewesen. Hinzu kommt, daß im vergangenen Jahr nach Angaben von UNAids im globalen Kampf gegen Aids erstmals rund sechs Milliarden Dollar geflossen sind. Das entspricht dem Zwanzigfachen des Vergleichswertes für 1995.


Dabei gilt: Je mehr Menschen in medizinischer Behandlung sind, um so besser ist das für die Pharmaunternehmen. Jeder Krieg hat seine Gewinner, auch der Krieg gegen das HI-Virus. Damit dürfte der Börsen-Boom der Aids-Spezialisten längst nicht beendet sein. "Es ist noch lange kein Endziel erreicht", sagt Fischer. "Wir müssen weiter forschen, um immer einen Schritt vor dem Virus zu liegen." Und, möchte man ergänzen, um die Anleger bei Laune zu halten.
 
aus der Diskussion: ■■■ TRADING-CAFÉ ● März 2005 ● Kalenderwoche 11 ■■■
Autor (Datum des Eintrages): nocherts  (13.03.05 04:47:25)
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