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Die neue Börsen-Power (EuramS)

Hand aufs Herz: Die Musik spielt abseits von DAX oder Dow. Schwellenländer sind stark wie nie zuvor und haben den etablierten Finanzplätzen den Rang abgelaufen. Von Warschau bis Sao Paulo zeigen die Kurse der Emerging Markets nach oben. Wer Geld verdienen will, kann die Wachstumsmärkte nicht mehr links liegen lassen.

von P. Gewalt, J. Billina, M. Blümel

Wer beutet hier eigentlich wen aus? Die Industrienationen die rohstoffreichen Länder der Dritten Welt, wie Globalisierungskritiker behaupten? Oder ist es längst umgekehrt?

Anfang März mußten sich europäische Stahlbarone wie ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz der geballten Marktmacht von Companhia Vale do Rio Doce (CVRD) beugen. Das Unternehmen aus dem rohstoffreichen Schwellenland Brasilien schockte die Branche mit massiven Preiserhöhungen. Eisenerz, wichtigster Grundstoff für die Stahlherstellung, wurde auf einen Schlag um über 70 Prozent teurer. Und den Stahlmultis bleibt nichts anderes übrig, als das Preisdiktat des größten Eisenerzproduzenten der Welt zu schlucken und mehr zu blechen.

Bei CVRD-Chef Roger Agnelli, dessen Bürowand in Rio de Janeiro eine Weltkarte schmückt, herrscht dagegen dank seines globalen Erfolgs seit Wochen Festtagslaune. Neben den Europäern gaben auch die führenden japanischen Stahlschmieden seinen Forderungen nach. Am steil gestiegenen CVRD-Aktienkurs kann der 46jährige Enkel verarmter italienischer Einwanderer den Erfolg ablesen. Rund 20 Prozent hat der Unternehmenswert seit dem Deal zugelegt, über 340 Prozent seit 2002.

Agnellis Ziel war es ursprünglich, den Konzern bis 2010 unter die Großen der Branche zu führen. Mit einem Marktwert von über 38 Milliarden Dollar gehört CVRD nun schon heute zu den Top-Five-Playern im Bergbaugeschäft und ist so die teuerste Börsenfirma Südamerikas.

Der Konzern ist aber nur einer von vielen Shootingstars aus denSchwellenländern. Ob in Mexiko, Polen, Rußland, China oder Indien – es gibt eine Reihe aufsehenerregender Erfolgsfirmen, die dank ihres Gewinnwachstums und ihrer explodierenden Kurse die Anleger begeistern. Es sind Unternehmen wie Samsung, Cosco Pacific, Cemex oder Telmex, an denen sich der Aufschwung und Aufstieg der Emerging Markets festmachen läßt. Unternehmen, die die Börsen ihrer Heimatländer zu vielbestaunten Geldvermehrungsmaschinen machen.

Die besten Börsenindizes der Welt heißen nicht mehr DAX, Dow Jones oder Nikkei, sondern WIG, Bovespa oder Sensex. Kursgewinne von über 100 Prozent seit 2003 sind keine Seltenheit. Eine Entwicklung, die sich auch in der neuen Forbes-Liste der vermögendsten Menschen widerspiegelt. Drei der fünf reichsten Milliardäre stammen heute aus den Schwellenländern.

Erfolgsfaktoren gibt es viele: Die Entwicklungsländer profitieren vom dynamischen Bevölkerungswachstum, von der Wirtschaftserholung in den Industrienationen, dem steigenden Welthandel und der zunehmenden Rohstoffnachfrage. Selbst nüchterne Finanzexperten wie Robeco-Chefstratege Jaap Van Duijn kommen da angesichts der langfristigen Aussichten ins Schwärmen. "Mein Rat: Legen Sie das Geld ihrer Kinder und Enkel mit Schwergewicht in den Emerging Markets an."

Bei aller Euphorie: Typische Probleme für Schwellenländer wie politische Wirren, intransparente Börsen oder korrupte Eliten können die Kurse unter Druck bringen. Die Anfälligkeit der Emerging Markets für weltweite Krisen ist aber dank verbesserter volkswirtschaftlicher Rahmenbedingungen geringer als noch in den vergangenen Jahrzehnten (siehe Grafik unten). "In einigen Bereichen wie Wachstum, Steuerlast, Lohnniveau, Handelsbilanz oder Verschuldung haben viele Schwellenländer gegenüber den etablierten Industrieländern klar die Nase vorn", sagt Investment-Guru Gottfried Heller (siehe Interview S. 33).

Ein Verdienst von Unternehmertypen wie Agnelli, aber auch von Staatslenkern wie Brasiliens Präsident Lula da Silva und dem türkischen Premier Tayyip Erdogan, die wichtige Wirtschafts- und Sozialreformen anpacken. Und, wenn nötig, den eigenen Firmen zur Seite stehen.

Eine halbe Milliarde Dollar spendierte Brasiliens Regierung vergangene Woche für den Ausbau der maroden Eisenbahnstrecke in den Exporthafen Santos bei Sao Paulo. Großer Profiteur dieser noblen Geste ist CVRD, das wie andere Rohstoff-Firmen den Transportweg dringend benötigt.

Daß das Land diese finanziellen Möglichkeiten zur Wirtschaftsförderung hat, grenzt an ein kleines Wunder. Noch vor fünf Jahren lag das Handelsbilanzdefizit bei rund einer Milliarde Euro. Heute glänzt Südamerikas größte Volkswirtschaft mit einem Plus von über 30 Milliarden Euro. Steuereinnahmen sprudeln wieder. Auch ausländische Direktinvestionen fließen dank des eingeleiteten Reformkurses von Lula da Silva reichlich. Nicht nur aus dem westlichen Ausland. Chinas Wirtschaftselite steht heute ohne Zögern mit dem Scheckheft parat, wenn es um dringend benötigte Rohstoffe und damit um den Wirtschaftsaufschwung im Reich der Mitte geht. So flossen vergangenes Jahr 2,2 Milliarden Dollar aus China in den brasilianischen Rohstoffsektor, dem Nachbar Argentinien versprachen die Chinesen als Gegenleistung für die Lieferung von Öl und Eisenerz sogar 20 Milliarden Dollar in den kommenden 15 Jahre.

Klar ist, daß Brasiliens wirtschaftlicher Aufschwung daher weiterhin sehr stark am Rohhstoffexport hängt. Für CVRD-Boß Roger Agnelli ist der Erfolg brasilianischer Unternehmen aber ohnehin eine ausgemachte Sache. "Wir Brasilianer haben einen großen Vorteil: Wir sind offen und sympathisch. Zudem können wir uns sehr gut auf andere Kulturen einstellen."

Egal ob Chinesen, ThyssenKrupp-Chef Schulz oder dessen Kollegen – sie alle wissen seit diesem Jahr ein Lied davon zu singen.

China wird zur Werkbank der Welt Als die Kommunisten die ersten zögerlichen Schritte Richtung Marktwirtschaft wagten, begann der Stern von Huang Guangyu aufzugehen. Mit 18 Jahren lieh sich der heute 36jährige umgerechnet 4000 Dollar, mietete einen kleinen Laden in Peking und verscherbelte billige Elektrogeräte. Heute gehört dem zweitreichsten Mann Chinas die größte Elektronikladenkette des Landes, Gome. Chinas Aufstieg vollzog sich ähnlich atemberaubend. Vor 20 Jahren wirtschaftlich abgeschlagen, spielt das Land heute in der ersten Liga der Industrienationen mit. Mit rund 50 Milliarden Dollar lockt das Reich der Mitte weltweit am meisten ausländisches Direktinvestitionen an. Das Geld fließt häufig in den Aufbau von Produktionsstätten. Waren früher westliche Produkte verfemt, kommt heute schon weltweit jede zweite Digitalkamera, jedes dritte Handy und jeder vierte Kühlschrank aus den chinesischen Werkshallen.

Und diese werden nicht mehr nur für den Export produziert. "Dank der steigenden Konsumlust der Chinesen läuft unser Geschäft außerordentlich gut", erklärt Guangyu. Wohl wahr. Um über 100 Prozent stieg der Gome-Gewinn 2004. Für zwei Milliarden Dollar brachten die himmelblau-gekleideten Gome-Verkäuferinnen in über 100 Verkaufstellen Videos, Fernseher und DVD-Rekorder unters Volk. Mitte des vergangenen Jahres wagte Gome den Sprung an die Hongkonger Börse.

Das brachte dem Unternehmen frisches Kapital für die weitere Expansion, die auch ins Ausland führen kann. "Chinesische Markenunternehmen wie Gome werden sich definitiv global ausbreiten", prophezeit Glen Murphy, Direktor der Unternehmensberatung ACNielsen in China. "Mit ihren Ressourcen und ihren Produktionsstätten sind sie groß genug, die Welt zu erobern."

Hochfliegende Pläne gibt es auch für Indien. Unternehmen aus den USA oder Europa nutzen die niedrigen Lohnkosten und verlagern die Entwicklung von IT-Produkten auf den Subkontinent. An qualifiziertem Personal ist kein Mangel. Indien bringt jedes Jahr 3000000 Hochschulabgänger der technischen Wissenschaften hervor.

Zum Wachstum tragen auch die erstklassigen Pharma- und BiotechFirmen bei. Wie Biocon: Vor 25 Jahren mit geringem Starkapital gegründet, konkurriert das Unternehmen heute mit Branchenriesen wie Ely Lilly oder Amgen. Den starken Aufschwung Biocons führt Gründerin Kiran Mazumdar auf ihre "Leidenschaft für die Arbeit und den Willen zum Erfolg" zurück. Über diese Eigenschaften muß die 51jährige im Überfluß verfügen. Sie ist die reichste Frau des Landes und gilt vielen Inderinnen als Vorbild.

Unternehmensführer wie Mazumdar-Shaw stehen bei ausländischen Investoren hoch im Kurs. Sie erkennen verstärkt die Chancen des indischen Aktienmarkts. So hat der größte amerikanische Pensionsfonds Calpers im vergangenen Jahr über fünf Milliarden Dollar an der Börse in Bombay investiert und damit den Auswahlindex Sensex auf ein Rekordhoch gehievt. Calpers investiert derzeit immer mehr Geld in Schwellenländer. Neben Asien engagiert sich der Pensionsfonds auch in Mittel- und Osteuropa.

Zu den dynamischsten Märkten in Europa zählt die Türkei. Der Staat, wegen seiner Krisenanfälligkeit von Anlegern lange Zeit gemieden, lockt mit stabilen politischen Verhältnissen, einer brummenden Konjunktur und glänzenden Perspektiven.

Für den Stimmungswandel der Investoren zeichnet im wesentlichen ein Mann verantwortlich: Tayyip Erdogan. Der Ministerpräsident, selbst in einem Istanbuler Armenviertel aufgewachsen und ein großer Fan des Fußballklubs Fenerbahce ist, strebt für sein Land einen Wohlstand an, wie ihn etwa die Portugiesen oder die Spanier genießen. Der schnellste Weg dorthin führt nach Meinung Erdogans über Brüssel.

Der 51Jährige hat daher in einem bis dahin noch nie gesehenen Reformtempo wichtige EU-Forderungen erfüllt. Er schaffte die Todesstrafe ab, stärkte die Rechte von Minderheiten und begrenzte den Einfluß des Militärs auf die Politik. Auch die klare Trennung von Politik und Religion soll die EU für die Türkei einnehmen

Innerhalb von zwei Jahren hat Erdogan viel erreicht. Dank seines stabilitätsorientierten Kurses ist die Inflation drastisch gesunken – von 70 Prozent im Jahr 2001 auf aktuell neun Prozent. Der rastlose Reformer will in diesem Jahr die Privatisierung forcieren und sich im März von den zahlreichen staatlichen Medienunternehmen trennen. Zum Verkauf stehen 17 Fernsehstationen, zehn Radiosender, diverse Presseverlage und Druckereien. Unternehmen wie die Dogan Holding sehen darin eine gute Chance, ihr Medienimperium weiter auszubauen. Schon jetzt kontrolliert der Betreiber von CNN Türk und Herausgeber von "Hürriyet" 45 Prozent des türkischen Zeitungsmarkts.

Erdogans Einsatz wird von der EU belohnt: Ab Oktober wird Brüssel mit Ankara über einen Beitritt verhandeln. "Die Aussicht auf eine Vollmitgliedschaft motiviert die Türkei, auch die Modernisierung der Wirtschaft weiter voranzutreiben", sagt Mike Bayer, Fondsmanager des Türkei 75 plus.

Die Türkei tritt damit in die Fußstapfen von Ländern wie Ungarn, Tschechien und Polen. Dort entstand eine neue Klasse von Superreichen, die immer noch den Ton angeben. Unternehmer wie Jan Kulczyk, Prototyp eines zwielichtigen Oligarchen, der in den Wendejahren des Ostblocks zu viel Macht und zu noch mehr Vermögen kam. In Zeiten politischer und wirtschaftlicher Umbrüche waren die richtigen Verbindungen Gold wert.

So kam auch der Burgunderliebhaber Kolczyk vor allem dank eines engen Netzwerks an Freunden in Politik und Wirtschaft weit nach oben. Mit etwas Startkapital ausgestattet ("Die erste Million bekam ich vom Vater, die zweite habe ich schon selbst verdient.") kaufte er Anteile an privatisierten Firmen und holte dann ausländische Partner mit Kapital und Know-how ins Boot. "Wer klettert, muß wissen, mit wem er das tut", lautet das Erfolgsrezept des Multimilliardärs, der im polnischen Öl-, Telekom- und Autogeschäft seine Finger im Spiel hat. Gut 20 Prozent der polnischen Börse kontrolliert die Jan Kolczyk Holding. Doch es mehren sich die Zeichen, daß sich die Ära des Milliardärs dem Ende zuneigt. Ein Korruptionsskandal im vergangenen Jahr bremste seinen Höhenflug und löste zudem eine handfeste Regierungskrise aus. In anderen Ländern stehen die Oligarchen ebenfalls mit dem Rücken zur Wand, wie der tiefe Sturz des Yukos-Chefs Michail Chodorkowski zeigt.

In Osteuropa gewinnt zudem eine neue Unternehmer-Generation an Bedeutung. Sie nutzt nicht alte Seilschaften, sondern Vorteile, wie sie Schwellenländer zu bieten haben – niedrige Lohnkosten und attraktive Unternehmenssteuern. Standortvorteile, die Emerging Markets zum Motor der Weltwirtschaft machen.
 
aus der Diskussion: ■■■ TRADING-CAFÉ ● März 2005 ● Kalenderwoche 11 ■■■
Autor (Datum des Eintrages): HSM  (13.03.05 11:35:22)
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