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JUSTIZ

Pleiten, Recht und Pannen

Von Caroline Schmidt und Irina Repke

Das neue Insolvenzrecht sollte kleinen Leuten eine neue Chance bieten. Doch es profitieren auch Hasardeure und Kriminelle.

Er sieht nicht gerade aus wie ein verarmter, von Sorgen geplagter Mensch - Lars Windhorst, 28, das tief gefallene New-Economy-Wunderkind. Sein smartes Siegerlächeln auf den Lippen, am Leib einen schicken schwarzen Mantel, so wurde er jüngst in der Berliner Edelherberge Adlon gesichtet. Dabei müsste er, der mit 16 Jahren von Politik und Medien als Firmengründer und Unternehmer bejubelt worden war, vom aufgetürmten Schuldenberg schier erdrückt werden - geschätzte 63 Millionen Euro.

Doch Windhorst darf ganz legal auf Rettung hoffen. Auch wenn die Berliner Staatsanwaltschaft noch wegen Betrugs gegen ihn ermittelt - ein Verdacht, den Windhorst und sein Anwalt entschieden zurückweisen -, kann eine einzige Unterschrift unter ein Schriftstück den Pleitier komplett entschulden. Ende vergangenen Jahres beantragte der Jungunternehmer auch die Insolvenz über sein Privatvermögen.

Auch Wolfgang Lippert, 53, hat jenen Antrag unterschrieben, der für viele Überschuldete eine Art Wiederauferstehung von den wirtschaftlich Toten ermöglicht. Der Fernsehstar aus dem Osten hatte sich nicht nur als "Wetten, dass ...?"-Moderator übernommen. Auch als Immobilieninhaber machte er eine Bauchlandung. Reingelegt worden sei er, jammerte er zuerst, um dann die Vorzüge des Rechtsstaats zu preisen: "Zum Glück gibt es ja das neue Insolvenzgesetz."

Amtsrichter und Justizminister können sich mit der prominenten Klientel nicht anfreunden. Sie halten jene neue, 1999 eingeführte Insolvenzordnung längst für einen teuren Flop, für eine Einladung an Hasardeure. Still und heimlich bereitet deshalb eine Arbeitsgruppe der Länder und des Bundes eine Reform der Reform vor. Ziel müsse es sein, so die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU), "die Anfälligkeit des Verbraucherinsolvenzverfahrens für schwarze Schafe zu korrigieren".

Die neuen Paragrafen des Insolvenzrechts waren für jene Otto-Normal-Bürger gedacht, die sich beim Kauf von Auto oder Einbauküche schlichtweg übernommen hatten. "Menschen, die in Not geraten sind", lobte damals der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke die Intention der Gesetzgeber, "erhalten so eine Chance für einen Neuanfang.


Doch die ohnehin überlasteten Richter, Rechtspfleger und Treuhänder sind nun bis zu sieben Jahre mit ihren Klienten beschäftigt, damit diese zumindest einen Teil ihrer Schulden begleichen. Am Ende können sich die privaten Pleitiers dann auf eine "Restschuldbefreiung" freuen, während die Gläubiger zumeist leer ausgehen. Der Weg zurück auf null wird immer beliebter, die Amtsgerichte ächzen inzwischen unter der Masse privater Insolvenzen (siehe Grafik).



Den Genuss der neuen Gnade sucht aber nicht nur die ursprünglich anvisierte Zielgruppe. "Wenn die Restschuldbefreiung klappt, wäre das wie eine Art Lottogewinn", freut sich ein Installationsmechaniker, der vor kurzem die Verbraucherinsolvenz beantragte. An einem warmen Sommertag des Jahres 1998 war er mit zehn Millionen Zigaretten im Sattelschlepper erwischt worden. Seitdem schuldet der Mann dem Staat 1,5 Millionen Euro Steuern. Drei Jahre Gefängnis hat er bereits abgesessen - und nun wird er voraussichtlich auch seine Schulden aussitzen. Sein Hauptgläubiger, das Zollamt, hat den für ihn zuständigen Richter bis heute nicht darauf hingewiesen, dass für den Profischmuggler keine Milde vorgesehen ist.

Genau das ist die Krux: Die Richter können nur dann die Entschuldung ablehnen, wenn ein Gläubiger sie auf eine Gesetzesverletzung hinweist. Doch viele haben in diesem Stadium bereits kapituliert. "Die Verfahren laufen lasch durch", sagt Rechtsanwalt Andreas Wähnert, der schon mehr als 900 Privatinsolvenzen betreute.

Experten kritisieren zudem eine unliebsame Nebenwirkung: "Bei den Schuldnern verdirbt die Zahlungsmoral", meint der Berliner Insolvenzrechtler Udo Feser. "Eine Privatinsolvenz ist für viele zur Selbstverständlichkeit geworden." Und für den Steuerzahler zur Last. Da die meisten Schuldner nicht einmal die Verfahrenskosten - in der Regel 3000 Euro - berappen können, müssen dafür die Länder aufkommen. Allein Nordrhein-Westfalen muss für Verbraucherinsolvenzen pro Jahr 18 Millionen Euro aufbringen. "Die Gläubiger und die Steuerzahler", resümiert wütend Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll, "sind die Dummen."

Eine Reform erscheint da dringend notwendig. Nach Schätzung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform gibt es derzeit rund drei Millionen überschuldete Haushalte.

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,346045,00.html

mfg B.
 
aus der Diskussion: +-+-+ Schnell reich werden - auf Kosten anderer +-+-+
Autor (Datum des Eintrages): Buddah  (15.03.05 09:58:31)
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