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Interview
„Euro kurzfristig schwächer - mittelfristig stärker”


31. Mai 2005 In Frankreich hat am Wochenende eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten gegen die europäische Verfassung gestimmt. In den Niederlanden scheint ein ähnliches Resultat wahrscheinlich zu sein; dort wird am Mittwoch abgestimmt.


Für diesen Fall hatten manche Experten prognostiziert, am Devisenmarkt werde der Euro unter Druck geraten. Im frühen, wenn auch dünnen Handel schien er sich am Montag noch vergleichsweise gut halten zu können. Aber schließlich verlor er gegen den Dollar doch an Terrain. Mit einem Minus von 106 Stellen auf 1,2480 Dollar je Euro knabbert er am tiefsten Stand seit etwa siebeneinhalb Monaten.

Die Frage ist, wie es weitergehen wird. Das folgende Gespräch mit Hans-Günter Redeker könnte darüber Aufschluß geben. Er ist Chefstratege für den Währungsbereich bei der französischen Großbank BNP Paribas.

Vor dem Referendum in Frankreich wurden teilweise Krisenszenarien herumgereicht, die einen schwachen Euro im Falle eines „Non” prognostizierten. Nun passierte zunächst recht wenig. Wie läßt sich das erklären?

Wir rechneten im Fall eines knappen Scheiterns der Referendums mit einer kurzfristigen Erholung des Euros. Denn der Markt hatte das Ergebnis schon weitgehend vorweggenommen, so daß eine technische Gegenreaktion nur normal gewesen wäre - nach dem Motto: Sell the rumour, buy the fact. Das deutliche „Nein” macht nun klar, daß ein Plan B, also das Weiterführen des Ratifizierungsprozesses, kaum noch durchführbar sein wird. Vor allem dann nicht, wenn die EU-Verfassung auch in den Niederlanden noch abgelehnt werden sollte, was sehr wahrscheinlich ist.

Wie geht es weiter?

Die weitere Entwicklung muß nicht unbedingt negativ sein für den Euro, denn es gibt auch positive Szenarien. Ich denke, Präsident Jacques Chirac hat einen strategischen Fehler gemacht, indem er am sogenannten „Französischen Modell” festhielt. Denn es war unglaubwürdig, da die Leute am schwachen Wachstum und an den Arbeitslosenzahlen ablesen können, daß es nicht mehr funktioniert. Sollte nun die Regierung umgebildet werden und „Reformer” Nicolas Sarkozy Premimierminister werden, könnte das sogar positiv werden für den Euro.

Das heißt, der Markt hätte Hoffnung auf deutlichere Reformen in Frankreich und gleichzeitig in Deutschland?

Ja, die Situation in beiden Staaten ist ähnlich, in Deutschland sogar noch fortgeschrittener. Denn hier stehen bald Wahlen an, und ein Regierungswechsel ist wahrscheinlich. Dann hätte die Regierung die Mehrheit im Parlament und im Bundesrat. Sie muß dann einfach deutliche Reformen bringen, denn sie hat keine Ausreden mehr. In Frankreich dürfte Chirac gleichzeitig zu einem Ausgleich mit Sarkozy gezwungen sein. Auf diese Weise könnten auch dort reformerische Kräfte nach vorne gespielt werden. Das ist die Chance Frankreichs.

Ist in Frankreich die Mehrheit der Wähler weiter, als es die Politiker sind?

Es gibt in Frankreich eine breite Mehrheit für Sarkozy, auf ihm liegen die Hoffnungen. Ich glaube, es gäbe in Frankreich einen gewaltigen mentalen Schub, wenn dieser Mann das Sagen hätte.

Wie sieht das negative Szenario aus?

Das tritt dann ein, wenn Chirac gewissermaßen den Kopf in den Sand steckt. Dann ernennt er den bisherigen Innenminister zum Premierminister, der „weiterwurstelt”. Er selbst tritt im Jahr 2007 noch einmal zur Präsidentschaftswahl an und verliert gegen den Sozialisten Laurent Fabius. Dann hätten wir das absolute Chaos, da Fabius auch noch für den linken Flügel der Sozialisten steht. In diesem Sinne stehen wir vor eklatanten Entscheidungen in Europa in den kommenden Monaten.

Was müßte denn passieren, daß das positive Szenario zum Tragen kommen kann?

Wenn Sie sich in Europa die Volkswirtschaften anschauen, die laufen und die nicht laufen, so haben alle, die nicht laufen, einen regulierten Arbeitsmarkt. Die, die laufen, haben einen deregulierten Arbeitsmarkt. Also müssen sie da ansetzen. Die Opposition muß ein schlüssiges Konzept vorlegen und es unmittelbar nach der Wahl radikal umsetzen.

Sie halten also nicht viel von keynesianischen Ideen? Immerhin wird recht gerne auf den „Erfolg” der expansiven Politik Amerikas verwiesen.

Amerika ist noch lange nicht so stark verschuldet wie die europäischen Staaten. Solche Modelle sind langfristig nicht finanzierbar. Wenn es nur darum ginge, Geld in die Hand zunehmen und es auszugeben, dann müßte Japan richtiggehend boomen. Das tut es aber nicht, weil auch dort die notwendigen Reformen nicht umgesetzt wurden.

Das sind die Szenarien, die die Währungsentwicklung mittel- und langfristig bestimmen. Wie „spielt man” die aktuelle Situation kurzfristig?

Kurzfristig dürfte der Euro noch unter Druck stehen bleiben. Wir haben eine Quartalsendprognose von 1,21 Dollar je Euro. Für das Jahresende jedoch von gegen 1,40 Dollar je Euro.

Wie läßt sie sich erklären?

Mit der zunehmenden Zinsdifferenz zwischen Amerika und Europa. Sie verleitet spekulative Anleger dazu, kurzfristig darauf und auf einen weiter steigenden Dollar zu spekulieren. Sie haben soviel Kapital zur Verfügung, daß sie das amerikanische Leistungsbilanzdefizit locker finanzieren können. Das Problem ist, daß dieses Geld in Amerika nicht investiert, sondern nur kurzfristig angelegt wird. Sollte sich das amerikanische Wirtschaftswachstum abschwächen, dann haben Sie das amerikanische Defizit, das amerikanische Handelsbilanzdefizit, und sie haben diese „heißen Gelder”, die wieder herauswollen. In dem Moment wird Bewegung in den Devisenmarkt kommen.

Wie kommen solche spekulativen Trends zustande?

Im Hedge Fonds-Bereich gibt es große und „kleine Ratten”. Die großen „Alphatiere” setzen die Impulse - und die kleineren springen auf. Waren die Hedge Fonds ursprünglich „short” in Dollar, so haben sie die Positionen inzwischen gedreht. Gleichzeitig sind die Volatilitäten extrem tief. Sollten sie ihre Meinung wieder ändern, kann es schnell und explosiv gehen.

Sie glauben also nicht an eine langfristige Trendwende des Dollars gegen den Euro?

Wir handeln nicht eine langfristige Trendumkehr. Das geben die Flußdaten mit Blick auf Amerika und die Grundprobleme des Landes nicht her. Es gibt nur eine Chance dafür. Nämlich dann, wenn in Europa wirklich alles schief läuft: Wenn Silvio Berlusconi in Italien wiedergewählt werden sollte, wenn Laurent Fabius in 2007 Präsident in Frankreich werden und wenn es zu einer Wiederauflage der rot-grünen Koalition in Deutschland kommen sollte.

Es gibt Stimmen, die sagen, die Grundprobleme Amerikas seien nicht gelöst, und sie ließen sich über die Währung auch gar nicht lösen.

Trotz der Dollarabwertung hat das Leistungsbilanzdefizit von vier auf 6,1 Prozent des Inlandsproduktes zugenommen. Eine Anpassung muß nach meiner Meinung über eine Kombination zwischen einer Dollarabwertung und über Wachstumsdifferentiale ausgelöst werden. Das heißt, Europa und Asien müssen schneller wachsen und Amerika muß langsamer wachsen. Das werden natürlich auch die Anleger ins Kalkül ziehen. Wollen Sie dort investieren, wo die Wirtschaft künftig langsamer wachsen muß, um wieder ins Gleichgewicht kommen oder wollen sie dort investieren, wo die Strukturen an sich in Ordnung sind?

Was heißt das?

Sie haben in Europa kerngesunde Unternehmen und sehr hohe Ersparnisse. Wären die Reformen der Arbeitsmärkte in Europa erfolgreich, würde der Kontinent in zehn Jahren deutlich besser dastehen als Amerika.

Ist es auch realistisch, daß die asiatischen Staaten den Konsum im Inland ankurbeln?

China zum Beispiel hat Maßnahmen ergriffen, die die Investitionen bremsen und den Konsum fördern. Das ist auch die Voraussetzung dafür, die Währungen flexibler machen zu können. Auf diese Weise können die Kapazitäten bei fallenden Exporten ausgelastet bleiben. Ich warte auf die Zahlen des zweiten Quartals. Sollten sie bestätigen, daß die Investitionen zurückgehen und der Konsum zunimmt, dann flexibilisieren sie ihre Währung im dritten, vierten Quartal.

Und der ganze asiatische Währungsraum geht mit?

Ja. Die Chinesen werden den Renminbi an einen Währungskorb binden. Langfristig werden die asiatischen Währungen in der Folge stark im Wert steigen. Ich sehe den Renminbi in fünf Jahren 50 bis 60 Prozent höher als heute. Dafür spricht alleine schon die Historie. Der Yen hat sich zum Beispiel in den siebziger Jahren verdreifacht. Die Aufwertung ist die logische Folge der bisherigen Handelsungleichgewichte.

Aus diesem Grund sind auch asiatische Aktien für europäische Anleger ein Muß?

Ja, nicht nur auf Grund der Währungsperspektive. Sondern die Unternehmen der Region sind günstiger bewertet als europäische oder amerikanische, sie haben niedrigere Produktionskosten, sie haben die kommenden Märkte direkt vor der Haustür liegen und sie profitieren zumindest noch in den kommenden zehn Jahren von den deutlich besseren demographischen Verhältnissen.


Das Gespräch führte Christof Leisinger
 
aus der Diskussion: Eric Clapton - keiner kann es besser
Autor (Datum des Eintrages): nocherts  (31.05.05 17:55:41)
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