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Geldmarkt

Dem Euro geht es an den Kragen

Spekulanten nutzen »Non« und »Nee« für Wetten auf den Dollar. Bricht die Währungsunion auseinander?

Von Robert von Heusinger für ZEIT.de




© dpa
Der Devisenmarkt, an dem Euro, Dollar und Schweizer Franken gehandelt werden, ist der dankbarste Markt für Analysten und Journalisten. Die Kursbewegungen dort haben meist wenig mit der Realität gemein, sind fast immer von Spekulation getrieben. So kann jeder fast alles behaupten: Warum die Kurse gerade nach oben springen, auf der Stelle treten oder fallen.


Ernst genommen werden in der Regel nur die Geschichten, die den aktuellen Trend unterstützen. Kognitive Dissonanz heißt dieses Phänomen in der Fachsprache der Verhaltensökonomen. Hat sich die Mehrzahl der Spekulanten gegen den Euro positioniert, fallen alle Interpretationen auf äußerst fruchtbaren Boden, die einen weiteren Kursrutsch vorhersagen. So werden sie schließlich zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung - bis der Trend wieder dreht; oder Panik ausbricht.



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Zurzeit geht es dem Euro an den Kragen. Seit seinem Rekordhoch gegenüber dem Dollar zum Jahreswechsel (der Euro lag damals bei rund 1,36 Dollar), kennt Europas Währung nur noch eine Richtung: nach unten. Und seit dem klaren "Non" der Franzosen zur europäischen Verfassung fällt er noch ein bisschen schneller. Mittwochabend rutschte der dann nach dem holländischen "Nein" weiter unter 1,21 Dollar je Euro. Nun liegt er so tief wie zuletzt vor acht Monaten.


Na und? Selbst mit diesem Stand ist die europäische Währung immer noch viel zu teuer. Irgendwo um 1,10 Dollar taxieren die üblichen Modelle den fairen Wert des Euro. Dem Wirtschaftswachstum Eurolands täte es gut, wenn er weiter fiele.


Besorgniserregend sind da schon eher die Kommentare von Beobachtern, die das französische Nein für den Kursrutsch verantwortlich machen und eine Vertrauenskrise heraufbeschwören. Fast bekommt man den Eindruck, als stünde die Zukunft der Gemeinschaftswährung auf dem Spiel, als habe die Kapitalflucht aus der Währung ohne Nation schon eingesetzt.


"Rette sich wer kann - in den Dollar." Dieser Schlachtruf passt all jenen ins Konzept, die zur Zeit gegen den Euro und auf den Dollar wetten. Das sind nicht wenige. Nach Händleraussagen liegt die Anzahl der Wetten an den Terminmärkten, die auf weitere Kursgewinne des Dollar setzen, auf Rekordniveau. Die Herde rennt.


Aber das gilt fast ausschließlich für das Währungspaar Euro/Dollar. Die Aktien und Anleihen Eurolands gehen dagegen ihrerseits auf Rekordjagd. Der Deutsche Aktienindex Dax hat mit 4.500 Punkten den höchsten Stand seit drei Jahren erreicht. Die Anleihen Eurolands notieren fast jeden Tag auf absoluten Rekordhöhen.


Beides passt nicht zu der These der Kapitalflucht, des Vertrauensverlustes in den Währungsraum. Auch die osteuropäischen Währungen, die eines Tages im Euro aufgehen sollen, haben noch nicht viel vom Vertrauensverlust gespürt. Die große Gefahr an Finanzmärkten ist stets Panik. Je länger der Euro fällt, je mehr die Beobachter vom Ende des Euro schwätzen, desto eher kann es zu Panikattacken kommen.


Ein absurdes Beispiel gab am Mittwoch eine Exklusiv-Meldung des Stern: Finanzminister Hans Eichel und Bundesbankpräsident Axel Weber hätten vergangene Woche im kleinen Kreis mit Volkswirten internationaler Banken über das Scheitern der Währungsunion diskutiert. Das kostete den Euro fast einen Cent, wenngleich die Meldung umgehend dementiert wurde.


An der Nachricht ist tatsächlich so gut wie nichts dran. Es gab das Treffen mit Volkswirten wie jedes Jahr. Es wurde über vieles gesprochen, auch über Wachstums- und Inflationsdivergenzen innerhalb des Euroraums. Ein einziger geladener Volkswirt, Joachim Fels von Morgan Stanley, stellte seine These vor: An den Finanzmärkten werde die Gefahr eines Scheiterns der Währungsunion ignoriert. Dass dieses Szenario eintrete, sei aber kaum wahrscheinlich. Niemand stieg in die Diskussion ein. Eichel nicht und Weber nicht, wie mehrere Teilnehmer des Treffens glaubhaft versichern.


Hinzu kommt: Die These ist alt, die These ist bekannt. Im vergangenen Jahr schaltete Morgan Stanley für Fels` Studie sogar Anzeigen im britischen Economist, der Bibel der globalen Volkswirte. Die These hat nie sonderlich interessiert. Jetzt passt sie den Spekulanten plötzlich wunderbar in den Kram.


Der Euro kann noch ein bisschen weiter fallen. Aber die hohen Wetteinsätze sollten alle Dollar-Optimisten vorsichtig werden lassen. Ohne richtige Panik dürfte die Party bald zu Ende sein. Dann drängt sich wieder ein anderes Thema in den Vordergrund, das bis Januar in keinem Devisenkommentar fehlen durfte: das unhaltbare amerikanische Leistungsbilanzdefizit. Es marschiert in Richtung sieben Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt.


Das sind Dimensionen, wie sie nur Entwicklungsländer kennen, die kurz vor einer Währungskrise stehen. Amerika braucht jeden Tag mehrere Milliarden Dollar Kredit aus dem Ausland, weil seine Bürger zu viel konsumieren und zu wenig sparen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.


Irgendwann werden die ausländischen Anleger nicht mehr bereit sein, das Defizit klaglos zu finanzieren, warnte letztes Jahr sogar Alan Greenspan, der legendäre amerikanische Notenbankchef. Dann werden sie höhere Zinsen verlangen und einen niedrigen Dollar. Darauf lohnt es sich heute eher zu spekulieren als auf weitere Kursgewinne des Dollar. Wetten?



(c) ZEIT.de, 2.6.2005
 
aus der Diskussion: Eric Clapton - keiner kann es besser
Autor (Datum des Eintrages): nocherts  (04.06.05 07:50:59)
Beitrag: 58 von 211 (ID:16797116)
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