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Konjunktur

Die Betonfraktion im Eurotower

Beharrlich weigert sich Europas Zentralbank, die Zinsen zu senken – und würgt die Konjunktur ab

Von Robert von Heusinger




ZEIT-Grafik
Die Europäische Zentralbank (EZB) ist auf gutem Weg, sich ins ökonomische Abseits zu manövrieren. Wo sie Inflationsgefahren wittert, drohen in Wirklichkeit fallende Preise. Wo sie Wachstum prognostiziert, herrscht Stillstand. Und wo sie spekulative Blasen ortet, wie etwa an den Rentenmärkten, haben die Anleger längst ihr Urteil gefällt: Mit dieser Geld- und Finanzpolitik ist eine neue, tiefe Rezession in Euroland ungleich wahrscheinlicher als jedes noch so schwache Wachstum. Kein Wunder, dass die Ignoranz der Notenbanker im Frankfurter Eurotower – ihr Mantra heißt: »Der nächste Zinsschritt geht nach oben« – immer heftigere Kritik provoziert.

In ungewöhnlich scharfem Ton griff zuletzt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Zinspolitik der EZB an. Ihre Volkswirte verlangen eine Zinssenkung um 0,5 Prozentpunkte auf 1,5 Prozent. Nur so könne das Wachstum in Euroland stimuliert werden. Damit schließt sich die OECD den Forderungen anderer renommierter Adressen an; unter anderem hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) angesichts der schwachen wirtschaftlichen Verfassung Europas nach der Hilfe der Zentralbank gerufen.

Natürlich muss Jean-Claude Trichet, der Präsident der EZB, nicht auf den IWF hören. Er ist schließlich für die Geldpolitik verantwortlich und beschäftigt Hunderte von Volkswirten. Das Problem ist nur, dass die EZB in ihren Analysen nicht mehr ergebnisoffen zu sein scheint und keine überzeugenden Argumente für ihre Position vortragen kann. Sie hat sich in die Ecke treiben lassen.


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Seit Monaten diskutiert der EZB-Rat nur noch die Frage, wann er endlich die Zinsen erhöhen kann – unverständlich angesichts immer schwächerer Wirtschaftsdaten. Die OECD schätzt das Wachstum in Euroland für dieses Jahr nur noch auf magere 1,2 Prozent, und auch die EZB dürfte ihre Wachstumserwartungen wieder einmal reduzieren. Und Inflationsgefahren sind beim besten Willen nicht zu erkennen. Die Kerninflationsrate für Euroland, also ohne die stark schwankenden Preise für Energie und Nahrungsmittel, liegt nur noch bei 1,4 Prozent. Selbst diese Zahl ist durch staatlich verordnete Preissteigerungen wie bei der Tabaksteuer nach oben verzerrt.

Wie lautet der Auftrag der EZB? Sie hat für Preisstabilität zu sorgen. Ist diese gewährleistet, muss sie die Wirtschaftspolitik unterstützen. Nähme die Bank ihren Auftrag ernst, käme sie um eine Senkung daher gar nicht herum. Stattdessen zieht die EZB drei Verteidigungslinien ein, die bei näherem Hinsehen schwach und widersprüchlich sind.

Erstens fürchtet sie, dass sinkende Notenbankzinsen die Geldmenge weiter aufblähen und damit spekulative Blasen an den Finanzmärkten befördern. Die Anleihekurse würden dann steigen, die Marktzinsen fallen. Zweitens glaubt Notenbankchef Trichet, dass noch niedrigere Notenbankzinsen das Vertrauen in die EZB schwächen könnten. In diesem Fall würden die Zinsen der länger laufenden Anleihen steigen, was die Finanzierungsbedingungen für die Unternehmen verschlechtern würde und damit dem Wachstum im Wege stünde.

Das Problem: Letzteres Argument ist weder durch die Reaktion der Finanzmärkte auf EZB-Entscheidungen gedeckt, wie unlängst die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs nachgewiesen hat. Noch passt sie zur ersten Sorge spekulativer Blasen. Denn die Marktzinsen können als Reaktion auf niedrigere Notenbankzinsen entweder fallen oder steigen, aber nicht beides auf einmal.

Und die dritte Verteidigung? Die Notenbankzinsen seien historisch auf einem Rekordtief, damit könnten sie dem Wachstum gar nicht im Wege stehen, heißt es in Frankfurt. Doch wie die amerikanische Notenbank gezeigt hat, kann man den Zinssatz auch auf ein Prozent senken, um die Wirtschaft zu befeuern (siehe Grafik). Oder man muss ihn auf null Prozent senken, wenn die falsche Geld- und Finanzpolitik ein Land wirtschaftlich ruiniert – wie in Japan geschehen.

Die EZB aber ist mit ihrem Latein am Ende. Sie kann mit ihrer von der Bundesbank geerbten Sicht die Wirklichkeit nicht mehr beschreiben. Nach Lesart der Bundesbank gibt es in einer Volkswirtschaft nie ein Nachfrageproblem; wenn es klemmt, liegt das Problem auf der Angebotsseite. Deshalb ist Konjunkturstimulierung ein Fremdwort. Man kann demnach die Zinsen schwächerer Inflation anpassen, aber nicht die Wirtschaft anschieben – weder durch eine lockere Geldpolitik noch durch Konjunkturprogramme.

Mehr und mehr Volkswirte zweifeln inzwischen an dieser Sichtweise. Sie merken, dass es in Europa Strukturreformen gegeben hat, in deren Folge die Lohnkosten, gemessen an der Produktion, fielen. Sie sehen, dass die Steuern gesenkt wurden und die Unternehmen für ihre Beschäftigten weniger Sozialabgaben leisten müssen. Sie messen eine steigende Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Unternehmen und höhere Gewinne. Die Kehrseite: Die inländische Nachfrage bricht weg. Ganz deutlich ist das in Deutschland, aber auch in Italien, das in der Rezession steckt, oder in Frankreich.

Daher rührt die Kritik. So schreibt die OECD: »Ein besseres volkswirtschaftliches Nachfragemanagement wird eine zentrale Priorität für den Euro-Raum sein.« Die Volkswirte von Goldman Sachs widmen eine ganze Studie dem Thema »Auch auf die Nachfrage kommt es an«. Strukturreformen sind notwendig, aber sie müssen durch eine expansive Geld- und Fiskalpolitik flankiert werden – auch wenn das kurzfristig zu höherer Staatsverschuldung führt. Sowohl die Notenbanker als auch die Finanzminister tragen sonst die Verantwortung für das schwache Wachstum in Euroland.

Vor genau zwei Jahren hat die EZB letztmals die Zinsen gesenkt. Die Frühindikatoren fallen schon wieder auf die niedrigen Niveaus von August 2003 (ifo-Index in Deutschland) und Oktober 2003 (INSEE-Index in Frankreich). Zwar wuchs die Weltwirtschaft 2004 so stark wie seit 30 Jahren nicht mehr. Euroland aber profitierte davon nur unterdurchschnittlich. Jetzt kühlt sich das Weltwirtschaftswachstum ab, es könnte gar zu einer neuen Rezession kommen. Und im Frankfurter Eurotower diskutiert man weiter über höhere Zinsen.


Zum Thema:


Die Deutsche Presseagentur meldet, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen in der Euro-Zone auf ihrem historischen Tiefstand belässt. Der EZB-Rat entschied am Donnerstag in Frankfurt, den wichtigsten Leitzins zur Versorgung der Kreditwirtschaft mit Zentralbankgeld bei 2 Prozent zu halten. Angesichts der langsamen Erholung der Konjunktur hatten Volkswirte diese Entscheidung erwartet, weil niedrige Zinsen die Wirtschaft ankurbeln sollen. Die Mehrheit der Ökonomen rechnet inzwischen erst im kommenden Jahr mit einem Zinsschritt der EZB. Zuletzt hatte die Notenbank im Juni 2003 die Zinsen angehoben.


Gleichzeitig senkte die EZB wegen der schwachen Konjunkturerholung zum zweiten Mal in diesem Jahr ihre Wachstumsprognose für die Euro-Zone. Das Bruttoinlandsprodukt werde 2005 voraussichtlich nur um 1,4 statt 1,6 Prozent wachsen, sagte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet. Für 2006 rechnen die Notenbanker nur noch mit 2 statt 2,1 Prozent Wachstum. Die jährliche Teuerungsrate werde in diesem Jahr mit 2 Prozent die entscheidende Schwelle nicht überschreiten.

(c) DIE ZEIT 02.06.2005 Nr.23
 
aus der Diskussion: Eric Clapton - keiner kann es besser
Autor (Datum des Eintrages): nocherts  (04.06.05 07:53:13)
Beitrag: 59 von 211 (ID:16797119)
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