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Warum die Mehrwertsteuer steigen muß
Deutschland hat die Wahl: Entweder baut das Sozial- und Steuersystem radikal um - oder die Wirtschaft wird weiter stagnieren
Der Aufschrei bleibt dieses Mal aus. Sowohl in der Union als auch bei SPD und Grünen wird offen über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer diskutiert. Wer immer im Herbst die Wahl gewinnt, die höhere Steuer gilt bereits als sicher. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern nur noch wie stark die Mehrwertsteuer steigt. Von zwei bis vier Prozentpunkten ist die Rede. Aber der beim Wort Steuererhöhung übliche Abwehrreflex von Ökonomen und Arbeitgebern bleibt bisher aus. Statt dessen gibt es Zustimmung - wenn mit den Einnahmen nicht Haushaltslöcher gestopft, sondern die Lohnnebenkosten oder die Einkommensteuersätze gesenkt werden.


"Wir brauchen eine Initialzündung und zwar schnell", sagt Klaus Zimmermann, Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Wenn die große Steuerreform à la Merz, Kirchhoff und Wiegard kommt, dann kann sie meinetwegen durch eine Mehrwertsteuer gegenfinanziert werden", sagt, wenn auch widerstrebend, Hans-Werner Sinn, Direktor des Münchner Ifo-Instituts und sonst nach wie vor erklärter Gegner jeglicher Steuererhöhungen. Und selbst Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt meint, "das Thema darf kein Tabu sein".


Die höhere Steuer ist plötzlich salonfähig, das Kalkül einfach. Die Mehreinnahmen sollen entweder für eine weitere Senkung der Einkommensteuer genutzt werden oder zur Mitfinanzierung der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Damit könnten die Beiträge sinken, die trotz aller bisherigen Reformen nach wie vor auf dem Rekord von 42,3 Prozent verharren und weiter zu steigen drohen. Die Arbeitskosten würden niedriger, das Angebot an Arbeitsplätzen, so die Hoffnung, höher.


Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) entstehen 150 000 neue Jobs, wenn die Lohnnebenkosten um einen Prozentpunkt sinken. Bei drei Prozentpunkten rechnet die EU-Kommission mit einem Prozentpunkt weniger Arbeitslosigkeit, in Deutschland wären das gut 500 000 Arbeitslose weniger.


Wenig spricht dagegen. In Sachen Mehrwertsteuer liegt Deutschland mit einem Satz von 16 Prozent in Europa am unteren Rand (s. Grafik). Jeder Prozentpunkt mehr würde dem Fiskus rund acht Milliarden Euro bringen. Bei einer Erhöhung auf 20 Prozent kämen gut 30 Milliarden Euro zusammen. In Sozialabgaben umgerechnet bedeutet dies immerhin mehr als drei Prozentpunkte.


"Eine intelligente Maßnahme", sagt Winfried Fuest, Steuerexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Das Argument, eine Mehrwertsteuererhöhung sei unsozial, weil sie die unteren Einkommen überproportional belaste, nennt er ein "Vorurteil" und "schlichtweg falsch". Nach einer laufenden Studie des Instituts sei es "ganz klar, daß die Hauptlast von den mittleren und höheren Einkommen getragen wird". Denn bei den Niedrigverdienern sei der Anteil der Ausgaben für Miete und Konsum zwar höher, aber für Lebensmittel gilt nur ein ermäßigter Umsatzsteuersatz von sieben Prozent, Miete ist gleich ganz steuerfrei.


Zu dieser Einschätzung kommt auch das DIW. Instituts-Direktor Zimmermann läßt zudem das Argument nicht gelten, eine höhere Konsumsteuer dämpfe die ohnehin schwache Binnennachfrage: "Der Konsum kann wohl kaum noch schwächer werden, als er es derzeit schon ist", sagt der Ökonom. Deutlich mehr Nachfrage gebe es nur bei mehr Arbeit. Zimmermann plädiert aus diesem Grund für einen entschlossenen Steuerschritt: "Wenn, dann richtig. Bis zu fünf Prozent mehr sind sinnvoll, und zwar auf einen Schlag, nicht kleckerweise."

Wie weit man allerdings mit den derzeit in den Parteien durchgerechneten 16 bis 30 Milliarden Euro kommt und ob diese wirklich in die Sozialversicherung fließen werden, ist keineswegs sicher. Zum einen steht den selbst klammen Bundesländern eigentlich die Hälfte der Mehrwertsteuereinnahmen zu, auf die sie sicher nicht einfach so verzichten werden. Zum anderen ist die Lage in den Sozialhaushalten selbst so prekär, daß schon die jetzigen Beiträge nur mit Finanzspritzen zu halten sind. "Wer auch immer im Herbst die Regierung übernimmt, steht vor einer ganz problematischen Kassenlage", sagt Jochen Pimpertz, Sozialversicherungsexperte des IW. Am deutlichsten ist das bei der Rente. 2005 klafft dort ein Loch von 1,5 bis zwei Milliarden Euro, 2006 dürften bis zu drei Milliarden Euro fehlen.


Der Beitragssatz von derzeit 19,5 wäre damit nach Einschätzung des IW-Ökonomen nicht mehr zu halten, er rechnet damit, daß im Januar 2006 eine Erhöhung auf 19,8, womöglich sogar 20 Prozent notwendig sein wird. Mit den zusätzlichen Mehrwertsteuermilliarden ließe sich dieser Schritt verhindern. Um den Rentensatz gar um einen Prozentpunkt zu senken, wären weitere zehn Milliarden Euro nötig.


Genauso teuer ist auch ein Prozentpunkt beim Beitrag zur Krankenversicherung. Doch auch hier ist die Lage trotz der jüngsten Gesundheitsreform wenig erfreulich. Nicht nur, daß die Kassen sich der erhofften Beitragssatzsenkung hartnäckig verweigern, derzeit wird schon wieder über höhere Beiträge geredet. Die vier Milliarden Euro Überschuß in 2004 haben gerade gereicht, die Schulden der Kassen zu halbieren. 2005 und 2006 sind keine Überschüsse mehr zu erwarten, im Gegenteil.


Vergleichsweise billig wäre das Steuerkonzept der CDU/CSU. Acht Milliarden Euro wären nötig, um den Eingangssteuersatz auf 36 und den Spitzensatz auf zwölf Prozent zu senken. Den Großteil der Reform will die Union über Subventionsabbau finanzieren.


Nach der Ökosteuer wäre das Mehrwertsteuermodell der zweite Schritt in Richtung Steuerfinanzierung der Sozialabgaben und Entkoppelung von den Löhnen. Kritiker wie der DIHK-Steuerchef Alfons Kühn warnen jedoch, das sei "ein riskantes Spiel, denn es nimmt den Druck von einer ursachengerechten Therapie der Sozialsysteme". Deren Kosten ließen sich auch anders senken, etwa durch mehr Wettbewerb im Gesundheitssystem, Sparen bei Arbeits-marktausgaben oder eine Anhebung des Rentenalters.


Aber: Das braucht Zeit. Zudem sind es allesamt Maßnahmen, bei denen der Aufschrei garantiert nicht ausbleiben wird. Sonja Banze




Artikel erschienen am 5. Juni 2005
 
aus der Diskussion: Eric Clapton - keiner kann es besser
Autor (Datum des Eintrages): nocherts  (05.06.05 08:36:27)
Beitrag: 66 von 211 (ID:16804442)
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