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Mehrwertsteuerdebatte läßt Börsianer noch kalt
Konsumtiteln drohen aber Kursverluste - Potentielle Verlierer sind Karstadt-Quelle, Medion und Henkel
von Holger Zschäpitz

Berlin - Börsianer leiden oft unter selektiver Wahrnehmung. Gern wird nur die eine Seite der Medaille betrachtet. Dies ist auch jetzt der Fall, da die Marktakteure von der Aussicht auf vorgezogene Neuwahlen verzückt sind. Jeder Stratege, der etwas auf sich hält, hat die positiven Aspekte eines wahrscheinlichen Machtwechsels herausgestrichen, den Anlegern dabei insbesondere Versorger ans Herz gelegt und das Dax-Kursziel nach oben genommen. Stellvertretend für die Zunft stehen die Profis von HVB und UBS, die dem deutschen Leitindex bis zum Jahresende nun einen Anstieg auf 4800 Punkte zutrauen.


Dagegen blieben die möglichen Negativeffekte eines frühen Urnenganges bislang auf Kursverluste bei einigen Anbietern von alternativen Energien beschränkt. Und das trotz der Steuerpläne der mutmaßlichen neuen Bundesregierung. So rechnen die meisten politischen Beobachter damit, daß die erste Amtshandlung eines schwarz-gelben Bündnisses die Anhebung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2006 ist - mit entsprechend negativen Auswirkungen für Konsumwerte.


"Während die Aktienkurse der potentiellen Gewinner eines Regierungswechsels wie RWE und Eon bisher schon kräftig geklettert sind, haben die Notierungen der möglichen Leidtragenden einer Mehrwertsteuererhöhung bislang noch gar nicht reagiert", warnt Mark Josefson, Analyst bei Kepler Equities. Der Profi hält eine Anhebung für beschlossen. Fraglich sei eigentlich nur noch, ob eine neue Regierung den Satz gleich um vier Punkte auf 20 Prozent oder lediglich auf 18 Prozent anhebt. "Das sind schlechte Aussichten für Konsumwerte."


Tatsächlich spricht vieles für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Schließlich haben innerhalb der EU lediglich Luxemburg und Zypern mit 15 Prozent einen niedrigeren Satz. Im Schnitt müssen Verbraucher zwischen Portugal und dem Baltikum auf Waren und Dienstleistungen eine Abgabe von knapp 20 Prozent berappen. Und auch die reine Arithmetik zeigt die fiskalische Effektivität einer solchen Maßnahme. Mit jedem Prozentpunkt, den die Mehrwertsteuer steigt, wachsen die Einnahmen der öffentlichen Hände um 8,5 Mrd. Euro.


Für die Konsumbranche, die bereits seit zehn Jahren nicht mehr wächst und seit 2002 sogar mit schrumpfenden Umsätzen zu kämpfen hat, wäre dies Gift. Denn eine Anhebung des Satzes von 16 auf 20 Prozent würde rund 34 Mrd. Euro, die jetzt noch in die Taschen der Einzelhändler fließen, in die Staatskasse umverteilen. Da aufgrund des harten Wettbewerbs nur die wenigsten Firmen die höhere Last auf die Verbraucher umwälzen können, geraten damit die Gewinne in Gefahr.


Leidtragende sind vor allem jene Konzerne, die einen Großteil ihrer Umsätze in Deutschland erwirtschaften. Denn diese Gesellschaften haben keine Chancen, geringere Erträge im Inland durch Geschäfte jenseits der hiesigen Grenzen auszugleichen. Doch die Umsatzverteilung darf nach Ansicht von Josefson nicht das einzige Kriterium für Anleger sein, um mögliche Verlierer zu separieren. So seien Lebensmitteleinzelhändler tendenziell weniger stark betroffen, da hier der halbe Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent gilt. Auch die Anleger von deutschen Luxusgüteraktien können entspannt den Bundestagswahlen entgegensehen. "Verbraucher, die für 1000 Euro ein Escada-Kleid erwerben, interessieren ein paar Euro mehr nicht wirklich." Auch H&M oder Bijou Brigitte dürften ungeschoren davonkommen. Diese Firmen hätten eine junge Käuferschaft, die nach Imagegesichtspunkten konsumiert und weniger auf jeden einzelnen Cent schaut.

Dagegen drohen Gefahren für Markenartikelproduzenten. Unternehmen wie der Waschmittelhersteller Henkel oder der Elektronikschrauber Medion leiden schon jetzt unter der harten Konkurrenz von Handelsmarken und anderen Billiganbietern. "Bei einer Erhöhung der Mehrwertsteuer werden noch mehr Verbraucher auf die billigeren Produkte umsteigen", sagt Josefson. Unter dem Strich sieht er daher in Medion, Henkel sowie Karstadt-Quelle die größten potentiellen Verlierer, wohingegen Anleger von Escada, Metro und H&M am wenigsten zu fürchten haben.


Artikel erschienen am Di, 7. Juni 2005
 
aus der Diskussion: Eric Clapton - keiner kann es besser
Autor (Datum des Eintrages): nocherts  (07.06.05 07:57:12)
Beitrag: 103 von 211 (ID:16821720)
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