Fenster schließen  |  Fenster drucken

Helden des Rückzugs

[URLGerhard Schröder - ein Nachruf]http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=686557
[/URL]

VON DIETER RULFF

Es sei einstweilen dahingestellt, ob Gerhard Schröder tatsächlich an die Möglichkeit weiterer vier Regierungsjahre dachte, als er eingedenk des Ergebnisses von Nordrhein- Westfalen noch am Wahlabend Neuwahlen ankündigte. Womöglich hat den Fußballspieler in ihm der untrügliche Sinn für die Feldüberlegenheit des Gegners und die Enge der Räume zu diesem Schritt veranlasst. Auch mag familiärer Zuspruch ihn in diese Richtung gedrängt haben. Doch entsprang die überraschende Erklärung keiner Laune. Der Kanzler, dem oft eine gewisse Neigung zu Ad-hoc-Entscheidungen nachgesagt wird, hat seinen Entschluss bereits wochenlang gewogen und mit Franz Müntefering gewichtet. Es handelt sich also um einen wohlüberlegten Akt.

Schröder bewies, mit Robert Musils Worten gesprochen, Möglichkeitssinn, als er seiner Politik diese existenzielle Wendung gab. Diese Kunst des Möglichen zu erreichen, ist die höchste Stufe, die ein Politiker erklimmen kann. Hans Magnus Enzensberger hat diejenigen, die sie erreichen, einmal die Helden des Rückzuges genannt. Es sind nicht die Konstrukteure des Aufbaus und keine Heroen der Eroberung, keine Adenauer und keine Bush, sondern Handwerker des Abbaus und Protagonisten des Verzichts. Als Enzensberger seinen Essay 1989 schrieb, stand ihm Michael Gorbatschow als leuchtendes Beispiel vor Augen.

In einer Reihe mit Gorbatschow

Unbesehen davon, was dereinst Zeithistoriker über die Ära Schröder schreiben werden, ist ihm bereits jetzt ein Platz in den Reihen dieser Helden sicher. Keiner von ihnen, der mit dieser Ehre nicht auch haderte, doch von allen lässt sich sagen, dass sie zu ihrer Zeit die richtigen Männer am richtigen Platz waren. Wie sie so ist auch Schröder kein Mann des grand design, keiner der sein Herz transzendentalen Zielen verschrieben hat, die ihn befeuern und in deren Widerschein er erstrahlen könnte. Sein Auftreten ist eher profan, gewinnt seine Kontur gerade aus der Abwendung von allem Sinnüberschuss, der sein politisches Umfeld beseelt. Er ist eine Figur des Übergangs, ein Lotse, der in unbekannten Gewässern mit zunehmender Sicherheit aus den Erkenntnissen des gestrigen Tages den Kurs für den morgigen bestimmt. Er erweist sich darin als genuiner Nachfolger Helmut Schmidts, dem bislang profiliertesten Helden des Rückzugs in der SPD.

Kaum einer dieser Helden wussten zu Beginn ihres Wirkens, was ihnen am Ende als historische Tat angerechnet würde. Auch Schröder wollte zunächst nur umsetzen, was sein Vorgänger nicht eingelöst hatte. Die Aufgabe schien überschaubar, Vollbeschäftigung und Wohlstand bald wieder erreichbar. Sie ließ genug Raum für persönliche wie auch rot-grüne Selbstentfaltungen verschiedenster Art und Qualität. Doch je gründlicher Schröder reparierte, desto deutlicher kam der marode Zustand des Landes zum Vorschein. Aus der Reform wurde ein Umbau, schließlich ein Teilabriss mit anschließendem Neuaufbau. Inzwischen ist man dabei, die Fundamente zu prüfen.

Der Rückzug als erster Fortschritt

Politiker des Rückzuges kämpfen mit widrigen Strömungen, die sie immer einsamer werden lassen. Denn ihre dauernde Last ist es, das Volk mit einem Schicksal zu versöhnen, das sie selbst nicht begrüßen können. Ihr Metier sind Notwendigkeiten aber keine Verheißungen. Weil sie aber diese im Mund führen müssen, um jene schmackhaft zu machen, liegt ihnen eine maulende Mehrheit dauernd in den Ohren, Skepsis und Widerwille begleitet ihr Tun. Sie betreten Gelände, auf das die eigenen Parteigänger nicht mehr folgen wollen. Schröder kam an einem Punkt, ab dem er nur vorwärts gehen konnte, weil ein Zurück nicht mehr möglich war. Ab diesem Punkt ist Fortschritt nur noch um den Preis schwindender Macht zu haben und die Kunst des Rückzuges besteht darin, sie möglichst lange zu halten, die hohe Kunst darin, sie gar aus aussichtsloser Lage zu erweitern.

Allseits wurde die Chuzpe bewundert, mit der Schröder kurzerhand das ansetzende Gejammere über die verlorene Macht am Rhein in der Aussicht auf einen neuen Wahlkampf ertränkte. Doch die allgemeine Verunsicherung währte nur kurz. Der Modus operandi der Vertrauensabstimmung hat sich als zu widersprüchlich erwiesen, um die in ihm liegende Defensive noch offensiv zu wenden. Schröders engste Gefolgsleute, die Kabinettsmitglieder, sollen nun ihr nicht vorhandenes Misstrauen gegen ihn im Bundestag bekunden, damit dieser neu gewählt und somit eine Blockade aufgehoben werden kann, die nicht in ihm sondern im Bundesrat verortet ist. Das Beste, was auf diese Weise zu erreichen ist, ist das bereits Vorhandene.

Den Umbau der Gesellschaft hätte die Opposition nie in gleichem Maße in Gang setzen können, sie wäre an den Widerständen gescheitert. Mittlerweile verweist jeder Reformschritt auf die Notwendigkeit eines nächsten. Der Prozess hat eine Eigendynamik entfaltet, die nun zu Gunsten der Opposition ausschlägt. Schröders Werk ist unumkehrbar, doch dass er seinen Gegnern solchermaßen den Weg bereitet hat, macht den Helden des Rückzuges zu einer tragischen Figur.

Erscheinungsdatum 09.06.2005
 
aus der Diskussion: Der wankende Staat...(oder auch: "es ist 5 vor 12...!")
Autor (Datum des Eintrages): rv_2011  (09.06.05 10:11:48)
Beitrag: 12 von 25 (ID:16844449)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE