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Hier ist ein sehr lesenswertes Interview mit Oliver Kahn aus der Süddeutschen Zeitung:

SZ: Herr Kahn, Sie haben sich krankgemeldet, was ist los?

Kahn: Das Problem besteht schon, seitdem wir im Trainingslager mit der Mannschaft sind. Es ist ein Problem im Adduktoren-Hüftbereich. Ich bin im Training unglücklich weggerutscht, dadurch hab’ ich dann so eine Spagat-Bewegung gemacht – und da ich kein Zirkus-Artist bin, habe ich seitdem Probleme.

SZ: Und die sind akut?

Kahn: Na ja, was heißt akut? Aber ich würde halt gern hundert Prozent Leistung bringen können. Deswegen spiele ich erst im Finale wieder – hoffen wir mal, dass es eins gibt für uns.

SZ: Diese Situation senkt vermutlich Ihre Laune.

Kahn: Klar. Es ist schon nervig, dass ich jeden Tag mit dieser Geschichte beschäftigt bin, weil ich jeden Tag bei der Behandlung sein und dafür arbeiten muss. Das ist anstrengend, aber ich denke, bis zum Finale kriegen wir’s hin.

SZ: Notfalls bis zum WM-Finale.

Kahn: Bis dahin müsste es reichen.

SZ: Es wird dann Ihr viertes WM-Turnier sein. Seit Ihrem Debüt im Herbst 1993 haben Sie viele Nationalspieler und Teams kommen und gehen sehen. Wie ordnen Sie die aktuelle Mannschaft in Ihre Erfahrungen ein?

Kahn: Es ist ja vor allem eine sehr junge Mannschaft, wahrscheinlich die jüngste, die ich je erlebt habe. Aber es ist trotzdem noch eine gute Mischung, es sind ja auch Spieler wie Ballack, Frings oder ich dabei, die viel erlebt haben. Ich finde, dass wir phasenweise sehr erfrischend Fußball spielen. Und jetzt geht es eben darum, die richtige Balance zu finden.

SZ: Gelingt das?

Kahn: Ich denke schon. Wenn man sich die Ergebnisse anschaut, seitdem Jürgen Klinsmann das macht, ist es durchweg positiv. Wir haben eigentlich kein Spiel verloren. Bis auf das Spiel gegen die Koreaner im Dezember – aber das, tut mir leid, kann ich nicht ernst nehmen. Jeder, der dort dabei war, der weiß, dass das auf Grund der extremen Reisestrapazen kaum zu bewerten war. Alles in allem muss ich sagen, dass ich sehr überrascht bin, wie weit die Truppe ist. Jetzt beim Spiel gegen Tunesien habe ich ja auf der Bank gesessen, von dort hat man einen ganz anderen Blick, und da dachte ich: Es ist erstaunlich, wie weit das schon fortgeschritten ist.

SZ: Woran ist Ihnen das aufgefallen? Dieses Spiel war doch eigentlich ein Tanz auf dem dünnen Seil.

Kahn: Fand ich überhaupt nicht. Ich hatte nie das Gefühl, dass uns die Tunesier gefährden können, und vor allem hatte ich nicht den Eindruck, dass einer der jungen Spieler ein nervliches Problem kriegen könnte. Selbst Robert Huth nicht. Obwohl er viel Kritik einstecken musste, brachte er eine solide Leistung. Das heißt: Mental hat die Mannschaft auf mich einen sehr guten Eindruck gemacht. Das hat mich überrascht.

SZ: Ein Schuss Erfahrung aber könnte dem Team nicht schaden.

Kahn: Natürlich. Da gibt es ja noch Spieler wie Metzelder, Wörns oder Hamann und ein paar andere. Da wird noch viel passieren in dem Jahr bis zur WM. Aber man muss auch sagen, dass der Confed-Cup nicht mit der Weltmeisterschaft zu vergleichen ist. Natürlich rufen die Mannschaften jetzt einiges ab, aber bei der WM wird jede Mannschaft noch richtig was drauflegen, ist ja klar.
SZ: Das Argentinien, das wir hier erleben, ist also nur eine blasse Ausgabe des Argentiniens, das in einem Jahr antreten wird?

Kahn: Ich weiß, dass der Confed-Cup eine Bedeutung hat, aber ich weiß auch, dass viele Spieler, die in Europa beschäftigt sind, der WM einen anderen Wert beimessen.

SZ: Nur für die deutsche Mannschaft ist die Lage wie immer todernst. Zum Beispiel eben für Robert Huth, der mit harter Kritik leben musste nach dem Australien-Spiel.

Kahn: Aber daran hat sich der Spirit innerhalb der Truppe gezeigt, als sie sofort versucht hat, den Robert Huth wieder aufzubauen. Andererseits ist das gut für die jungen Spieler, denn gerade sie benötigen solche Situationen, um robuster zu werden. Beim Robert hat man zwar aufgrund seiner Erscheinung nicht den Eindruck, dass er das braucht. Aber auch ihm hilft das weiter. Und ich glaube, der Jürgen will genau das. Wir haben nun mal nur noch Testspiele bis zur WM, deswegen sind solche Drucksituationen wichtig für die Spieler.
SZ: Bei der WM 2002 hat sich die Mannschaft durch den enormen Teamgeist festigen und steigern können. Wie weit ist da die heutige Mannschaft?

Kahn: Das ist nicht zu vergleichen, auch wenn der Confed-Cup ein guter Test ist. Es ist aber auch eine Möglichkeit, noch das ein oder andere auszuprobieren. Aber WM–Turniere entwickeln völlig andere dynamische Prozesse. Wobei ich sagen muss: Mit der heutigen Generation ist das viel einfacher. Die Jungs sind gut vorbereitet und wissen, was auf sie zukommt. Diese Generation ist sehr stringent, sehr klar, sehr zielbewusst. Die jungen Leute haben insgesamt eine sehr professionelle Einstellung.

SZ: Tatsächlich muss man sich wundern über das Selbstbewusstsein eines Spielers wie Per Mertesacker. Vor allem, wenn man sich daran erinnert, wie schüchtern er vor neun Monaten bei seiner ersten Einladung ins Nationalteam noch war.

Kahn: So muss das aber auch sein. Das kommt auch gut an, wenn man erst einmal respektvoll auftritt und sich langsam in die Gruppe einfügt. Das war auch mein Weg. Es gibt aber auch andere, die sagen: ‚Hallo, hier bin ich‘ – und das muss nicht verkehrt sein. Der Schweini ist so einer, der seine Präsenz einbringt – obwohl auch er ein respektvoller Typ ist. Ich muss sagen: Das sind gute Jungs. Das merkt man einfach.

SZ: Fühlen Sie sich denn – in Ihrem fortgeschrittenen Fußballeralter – in dieser Mannschaft zuhause?

Kahn: Als ich vergangene Woche meinen Geburtstag gefeiert habe, habe ich mich entschuldigt bei der Mannschaft, dass ich immer noch dabei bin. Aber Spaß beiseite: Ich hab’ da natürlich keine Probleme, obwohl ich schon staune – der Schweini und der Poldi, die sind ja 16 Jahre jünger als ich.

SZ: Väterliche Gefühle...

Kahn: Nein, das wäre zu hoch gegriffen. Aber man fühlt eine Verantwortung, etwas von dem mitzugeben, was man selbst so alles erlebt hat – aber nicht auf so eine oberlehrerhafte Art, sondern eher so im Vorbeigehen. In der Art: So, Junge, da machst du gerade großen Mist, jetzt würde ich lieber mal ein bisschen trainieren oder etwas weniger machen.

SZ: Und die nehmen das an?

Kahn: Ja, sehr.

SZ: Wie beschreiben Sie denn Ihre Situation, nachdem der Konkurrenzkampf mit Jens Lehmann ja weiterhin gilt?

Kahn: Am Anfang war ich überrascht. Jürgen Klinsmann hat zwar gesagt: ‚Du bist die Nummer eins weiterhin, aber du musst diese Position halt jetzt verteidigen‘. Er will diesen Konkurrenzkampf, und ich habe ihn angenommen.

SZ: Sicher ein Grund, irritiert zu sein.

Kahn: Am Anfang schüttelt man sich – was ist denn hier los? Dann muss man sich von seinem Ego, von seinen Eitelkeiten, wenn sie denn vorhanden sind, frei machen und diesen Kampf annehmen. Man spürt dann mit einem Mal, dass das auch positive Aspekte hat. Es bringt einen nämlich weiter, als man zu sein glaubte, macht einen noch einen Tick stärker. Sportlich und menschlich.

SZ: Erklären Sie das bitte mal.

Kahn: Ich kann nicht sagen, ich habe ja schon viel erreicht, und da, wo ich jetzt stehe, stehe ich für immer. Sondern ich muss neue Dinge angehen, mein Training ein bisschen verändern. Das gilt auch außerhalb des Fußballs, egal in welchem Job, man muss sich weiterentwickeln. Ich hab mir damals gesagt, okay, das hast du doch eigentlich auch immer gebraucht. Sportlichen Wettkampf, nicht mehr, nicht weniger.

SZ: Wie ist Ihr Verhältnis denn zu Jürgen Klinsmann? Sie sind ja gern ein bisschen sarkastisch...

Kahn: ...sarkastisch? Eher ironisch, vielleicht...

SZ: ...jedenfalls ein absoluter Realist, während Klinsmann Radikal-Optimist ist. Wie geht das zusammen?

Kahn: Gar nicht so schwer. Ich würde mich als positiven Realisten bezeichnen. Klinsmann legt großen Wert auf Feedback, er will immer von uns, ob das der Michael (Ballack, d. Red.) ist, ob ich das bin oder von den anderen Spielern aus dem Spielerrat, er möchte unsere Sicht der Dinge erfahren. So sammelt er Eindrücke, um sie für sich zu verarbeiten.
SZ: Sie haben ein stabiles halbes Jahr hinter sich und sind in etwa wieder dort, wo sie leistungsmäßig in Ihren besten Jahren waren. Ist das auch ein Verdienst dieses Konkurrenzkampfes mit Lehmann?

Kahn: Es ist eine Facette. Ich habe daraus sogar Motivation und Spaß gezogen. Das kitzelt einen ja auch. Und dann möchte man aus dem negativen Fahrwasser heraus, in Frage gestellt zu werden, negative Sachen über sich zu lesen. Ich hatte ja zuvor ein Jahr, das einfach nicht so war, wie ich mir das gedacht hatte. Ich habe mir irgendwann gesagt, Schluss jetzt, jetzt will ich wieder nach oben. Allerdings hatte ich mir diesen Prozess schneller vorgestellt, es gab durchaus kleinere Rückschläge.

SZ: Die bei Ihnen viel aufmerksamer registriert werden als bei jedem anderen Bundesliga-Torwart.

Kahn: Oh ja, das glaube ich auch. Fast würde ich sagen, ich bin jetzt 18 Jahre Profi, und da hab’ ich mal ein schlechtes Jahr gehabt, und da haut man auf mich drauf... Nein, nein, ich will’s nicht sagen.
SZ: Ist man nicht versucht, sich in solchen Situationen zu sagen: Du hast in deinem Leben so viel geleistet und jetzt kommen die mit ihrer überzogenen Kritik daher?

Kahn: Das stimmt schon, man denkt anfangs in solchen Kategorien. Aber man sollte dann schnell verstehen, wie alles funktioniert, die Menschen, das Leben, die Medien und auch man selbst. Niemanden interessiert nämlich, was geleistet worden ist, sondern das, was geleistet wird. Ich hätte mich ja auch verbittert zurückziehen können, aber das habe ich nie angestrebt.

SZ: Wie fair verläuft dieser Konkurrenzkampf mit Jens Lehmann? Im vergangenen Herbst gab es ja durchaus turbulente Tendenzen.

Kahn: Eines möchte ich klarstellen: Ich habe nie irgendetwas zu dem so genannten Torwartkrieg, als der das in den Boulevardmedien inszeniert wurde, beigetragen. Ich habe nie Abfälligkeiten oder Respektlosigkeiten geäußert. Ich habe immer nur sportlich reagiert.

SZ: Wie äußert sich der Konkurrenzkampf im Alltag?

Kahn: Der Torwart ist ein Einzelkämpfer. Er hat nicht die Möglichkeit, mal irgendwie in die Mannschaft zu rutschen oder auf einer anderen Position zu spielen. Bei uns heißt das Mann gegen Mann, das typische Einzelkämpfer-Phänomen im Sport. Da gibt es nur: Du oder ich. Entsprechend hart kann so eine Auseinandersetzung geführt werden. Doch das liegt allein im Wesen dieser Situation.

SZ: Aber Sie können es ja nicht mit Fäusten austragen, sondern müssen sich der Trainer-Entscheidung unterwerfen.

Kahn: Im Endeffekt schon. Aber was sind die entscheidenden Kriterien Richtung 2006? Das ist der Erfolg, wie gut man spielt. Wir haben mit Bayern jetzt die Meisterschaft gewonnen und den Pokal, ich habe eine ganz solide Saison gespielt. Mit einem Blinden kann man das nicht erreichen. Ich habe mit der Nationalmannschaft meine Leistung gebracht – das gleiche versuche ich nun in der nächsten Saison. Und ich habe, egal ob Welt- oder Europameisterschaft, immer gezeigt, dass ich fähig bin, mich total auf so ein Turnier hin zu konzentrieren. Und eines ist klar: Ich habe eigentlich alles erreicht in meiner Karriere, ich habe nur noch eine kleine Rechnung offen (0:2-Niederlage gegen Brasilien im WM-Finale 2002, d. Red.) – und die möchte ich 2006 begleichen. Dafür werde ich alles tun.

SZ: Wie realistisch ist das Ziel, Weltmeister zu werden?

Kahn: Ich denke nicht ans Scheitern. Solche Gedanken kommen immer erst, wenn es passiert ist. Paul Breitner hat mal über seinen im WM-Finale 1974 verwandelten Elfmeter gesagt: In der Nacht danach bin ich schweißgebadet aufgewacht und habe mir gesagt: Was habe ich da getan?

SZ: Gibt es ein Denken über 2006 hinaus?

Kahn: Nein, daran sieht man, wie unheimlich fixiert ich sein kann, wenn ich mir ein Ziel gesetzt habe.
 
aus der Diskussion: Wo steht der deutsche Fußball wirklich????
Autor (Datum des Eintrages): Freudenspender  (21.06.05 11:12:48)
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