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Report Mainz vom 5. Juli 2004
Sündenfall Irak – Berichte über misshandelte Kinder im Folter-Gefängnis



Moderation Fritz Frey:

Nachrichten aus dem Irak. Der tägliche Anschlag, Saddam vor Gericht, entführte Soldaten, jede neue Meldung überdeckt die vorherige. Der Skandal um das Foltergefängnis Abu Ghraib, ach ja, da war doch was.

REPORT ist am Thema drangeblieben und ist dabei auf einen ganz unglaublichen Verdacht gestoßen. In Abu Ghraib und anderswo seien auch Kinder und Jugendliche inhaftiert und misshandelt worden. Thomas Reutter mit einer schwierigen Spurensuche.

Bericht:

Mit dem Panzerwagen durch die Tür. US-Soldaten stürmen ein Wohnhaus, suchen nach Terroristen. Manchmal verhaften die Soldaten bei solchen Razzien auch Kinder. Was geschieht mit diesen Kindern? Darüber macht das Militär keine Angaben. Wir recherchieren, treffen uns mit Informanten.

Einer, der darüber etwas weiß, ist Sergeant Samuel Provance vom Geheimdienst der US-Armee. Ein halbes Jahr lang war er im berüchtigten Foltergefängnis Abu Ghraib stationiert. Heute, fünf Monate danach, treffen wir Sergeant Provance in Heidelberg.

Seine Vorgesetzten haben ihm streng verboten Journalisten davon zu berichten, was er in Abu Ghraib erlebt hat. Doch Provance will trotzdem darüber sprechen. Ihn plagen Gewissensbisse. Er erzählt uns von einem 16-jährigen Jungen, den er selbst abführen musste.

O-Ton, Samuel Provance, US-Sergeant:



»Er war voller Angst, sehr alleine. Er hatte die dünnsten Ärmchen, die ich je gesehen habe. Er zitterte am ganzen Leib. Seine Handgelenke waren so dünn, dass wir ihm nicht mal Handschellen anlegen konnten. Gleich als ich ihn zum ersten mal sah und zum Verhör führte, tat er mir Leid. Die Verhörspezialisten haben ihn mit Wasser übergossen und in einen Wagen gesteckt. Dann sind sie mit ihm durch die Nacht gefahren, und zu der Zeit war es sehr, sehr kalt. Danach haben sie ihn mit Schlamm beschmiert und zeigten ihm seinen ebenfalls gefangenen Vater. An ihm hatten sie andere Verhörmethoden ausprobiert. Er war aber nicht zum Sprechen zu bringen. Die Verhörspezialisten sagten mir, nachdem der Vater dann seinen Sohn in diesem Zustand gesehen hatte, brach ihm das Herz. Er weinte und versprach ihnen alles zu sagen, was sie wissen wollten.«

Der Sohn aber blieb trotzdem in Haft. Als 16-Jähriger kam der Junge zu den Erwachsenen. Doch Provance berichtet auch von einer speziellen Abteilung, eigens für Kinder. Ein geheimgehaltener Kindertrakt im Horrorgefängnis Abu Ghraib.

Einer, der den Kindertrakt mit eigenen Augen gesehen hat, ist der Journalist Suhaib Badr-Addin Al-Baz. Unser Korrespondent traf ihn vergangene Woche in Bagdad. Der irakische Fernsehreporter berichtet wie er selbst von den Amerikanern bei Dreharbeiten willkürlich verhaftet wurde und 74 Tage in Abu Ghraib saß.


O-Ton, Suhaib Badr-Addin Al-Baz, Fernsehreporter:



»Dort sah ich ein Camp für Kinder. Jung, unter dem Pubertätsalter. In diesem Lager waren sicherlich Hunderte von Kindern. Einige sind freigelassen, andere sind bestimmt noch drin.«

Von seiner Einzelzelle aus im Erwachsenentrakt hört Suhaib ein vielleicht 12-jähriges Mädchen weinen. Später erfuhr er, dass ihr Bruder im zweiten Stock des Gefängnisses einsaß. Ein, zwei Mal, sagt Suhaib, habe er sie selbst gesehen.

In der Nacht seien sie bei ihr in der Zelle gewesen. Das Mädchen habe zu den anderen Häftlingen geschrieen und den Namen ihres Bruders gerufen.

Ein Zeichner hat die Szene für den britischen Fernsehsender ITN gemalt.

O-Ton, Suhaib Badr-Addin Al-Baz, Fernsehreporter:

»Sie wurde geschlagen. Ich hörte sie rufen: Sie haben mich ausgezogen. Sie haben Wasser über mich geschüttet.«

Täglich, sagt Suhaib, habe man ihre Schreie und ihr Wimmern gehört. Manche der Häftlinge hätten deshalb geweint. Suhaib berichtet auch von einem kranken 15-jährigen Jungen. Den hätten sie mit schweren Wasserkanistern den Gang rauf und runter gehetzt. So lange, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach, sagt Suhaib. Dann hätten sie seinen Vater gebracht, gefangen. Mit Kapuze über dem Kopf. Vor Schock sei der Junge noch mal zusammengebrochen.

Im sogenannten „Kampf gegen den Terror“, stürmen die Amerikaner irakische Wohnungen. Laut Suhaib nehmen sie dabei manchmal ganze Familien, die ihnen verdächtig erscheinen, fest. Einzelne Zeugenaussagen, schwer zu überprüfen.

Wir recherchieren nach weiteren Belegen für die Gefangennahme von Kindern. Und tatsächlich. UNICEF in Genf, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen. Wir finden einen brisanten Bericht. Erst wenige Tage alt.
Darin heißt es:

Zitat:

»Kinder, die in Basra und Kerbala (..) festgenommen worden waren, wurden routinemäßig in eine Internierungseinrichtung in Um Qasr überstellt.«


Das Internierungslager Um Qasr. Aufnahmen aus 2003. Heute ist es für Reporter zu gefährlich, nach Um Qasr zu fahren. Das Camp, ein Gefangenenlager für Terroristen und Kriminelle. Ausgerechnet hier sollen die Amerikaner also Kinder wie Kriegsgefangene interniert halten. UNICEF schreibt:

Zitat:

»Die Einstufung dieser Kinder als „Internierte“ ist besorgniserregend, da sie unbestimmte Haftzeit, ohne Kontakt mit der Familie, Erwartung eines Verfahrens oder Prozess beinhaltet.«

Über den bislang unveröffentlichten Bericht hinaus will sich UNICEF noch nicht äußern. Die eigenen Mitarbeiter im Irak sollen nicht gefährdet werden. Wir suchen nach weiteren Informationen, wenden uns ans Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Deren Helfer inspizieren Um Qasr, Abu Ghraib und andere Haftorte. Und nach intensiven Gesprächen dann eine weitere Bestätigung und sogar Zahlen.

O-Ton, Florian Westphal, Internationales Komitee vom Roten Kreuz:



»Wir haben zwischen Januar und Mai dieses Jahres insgesamt 107 Kinder registriert. Und zwar während 19 Besuchen in sechs verschiedenen Haftorten. Dazu muss man betonen, das sind Haftorte, die wirklich von den Koalitionstruppen kontrolliert werden.«

Im Internierungslager Um Qasr und auch in Abu Ghraib registrierte das Rote Kreuz minderjährige Gefangene. Zwei internationale Organisationen bestätigen uns damit unabhängig voneinander, dass die Besatzungstruppen irakische Kinder gefangen halten. Doch an Informationen direkt aus den Gefängnissen kommen wir nicht heran. Den Kinderknast in Bagdad durfte nicht einmal UNICEF besuchen.

Zitat:

»Im Juli 2003 beantragte UNICEF einen Besuch in dieser Haftanstalt, aber der Zugang wurde verweigert.«

Seit Dezember seien im Kinderknast laut UNICEF überhaupt keine unabhängigen Beobachter mehr gewesen. Zwar öffnete die US-Armee das Skandalgefängnis Abu Ghraib für einen Journalistenrundgang. Doch den Reportern wurde eine Vorzeigehaftanstalt präsentiert. Gefangene Kinder bekam die Presse nicht gezeigt.

Wir halten fest: Vier Quellen bestätigen unabhängig voneinander, die Besatzungstruppen halten Kinder als Gefangene fest. Zwei Zeugen berichten sogar über Misshandlungen. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international ist empört über die Berichte zu irakischen Kindergefangenen. Barbara Lochbihler von amnesty international Deutschland fordert Konsequenzen.

O-Ton, Barbara Lochbihler, Generalsekretärin amnesty international:



»Die US-Regierung muss sich natürlich zu diesem Bericht äußern, sie muss konkrete Informationen geben, wie alt die Kinder sind, was die Haftgründe sind, unter welchen Umständen sie inhaftiert wurden. Und ob Kinder eben Folter und Misshandlung ausgesetzt wurden. Und hier wissen wir nicht mai, wie die Kinder heißen, wie viele Kinder dort sind. Unabhängige Inspektionen sind nicht erwünscht. Das ist skandalös.«

Abmoderation Fritz Frey:

Selbstverständlich haben wir die Verantwortlichen mit unseren Recherchen konfrontiert. Das britische Verteidigungsministerium ließ mitteilen: Kinder und Jugendliche werden von britischen Truppen nicht gefangen gehalten. Auf eine Antwort vom amerikanischen Pentagon warten wir noch immer.

Links:

Berichte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zu Irak
www2.amnesty.de

Internationales Komitee vom Roten Kreuz
www.icrc.org

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF
www.unicef.de


http://www.swr.de/report/archiv/sendungen/040705/02/index.ht…



***


Es gibt doch schon die Erkenntnis, dass diese Folter keine willkürlichen Skandale von durchgeknallten Militärs ist, sondern von oben befohlen / geduldet / gewünscht wurde.

Aber mit Kindern?


Warum gibt die Bush-Regierung die Bilder nicht raus?
 
aus der Diskussion: Zurückgehaltene Folterbilder
Autor (Datum des Eintrages): SittinBuII  (24.07.05 21:00:02)
Beitrag: 16 von 66 (ID:17328757)
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