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Ich spülte mein rohes und verkohltes Raclettessen mit literweise Wasser runter.
Nach einer Weile konnte ich der Unterhaltung wieder so einigermaßen folgen. Einen Einstiegspunkt für eigene Beiträge fand ich aber nicht.
Die Partygesellschaft bestehend aus meinen Nachbarn und ein paar Bekannten von Nina war ein eher trauriger Haufen. Ich war hier völlig falsch. Mein höfliches Zuhörerlächeln begann langsam festzufrieren. Es war furchtbar langweilig und ich sah häufig auf die Uhr.
In meinem Kopf lief ein Film ab, in dem ich Nina zusammenkam und sie aus all dem hier rausholte.
‚Du mußt das jetzt nicht mehr tun!‘
Ich würde sie in meine Gesellschaft einführen und wir würden saufen und lachen und Spaß haben und viel b*msen. Sie würde begeistert sein und sich noch nach Jahren bei mir bedanken: ‚Zip! Was für ein Glück, dass Du mich da damals rausgeholt hast.‘
‚Ja, da hast Du wirklich Schwein gehabt, dass ich gekommen bin.‘
Die Seifenblase machte Plöpp.

Nicht nur ich war hier scharf auf Nina.
Sowohl der Phillipsmann als auch ein anderer Typ mit dem sensationellen Namen Wolfram Sauerteig waren spitz auf sie. Ihre Blicke verfolgten sie wie Radarschirme und jeder Spruch war ein lausiges Kompliment.

Und nicht nur ich langweilte mich bei dieser Feier.
Nachdem wir mit dem Essen fertig waren schlug unsere esoterische Nachbarin Gerlinde vor, eine spiritistische Sitzung zu veranstalten. Zu meinen Zivildienstzeiten hatten wir das häufiger im Altenheim gemacht. Wir hatten dazu eine Menge Accessoires von frisch Verstorbenen verwendet um die Verbindung zum Reich der Toten herzustellen, ein Glas von Frau Fehringer, eine Edith Piaf-Platte von Frau Kindinger für die Hintergrundmusik und der Geisterbeschwörer trug den alten Pelzmantel von Frau Kirzeder. Natürlich waren wir dabei nie nüchtern und immer schön bekifft gewesen. Frau Fehringers Glas bewegte sich leider nie und wir verloren schnell die Lust an dem Quatsch.

Ich wunderte mich also, dass der behämmerte Vorschlag von Gerlinde sogar bei Nina Anklang fand.
Pater Ralf war ein besonders steifer und humorloser Bursche. Er paßte gar nicht zu seiner zwar ernsthaften, aber doch offensichtlich leidenschaftlichen Schwester und er wurde wirklich etwas sauer wegen der Idee. Er meinte, das wäre Teufelsanbetung und er dürfe an sowas nicht teilnehmen.
Natürlich wickelte Nina ihren Bruder um den Finger und er hielt die Klappe.

Während sie begannen Buchstaben und Zahlen auszuschneiden genehmigte ich mir meinen ersten Wein. Ich hatte mich inzwischen mit meinem Alkoholpegel mit den anderen getroffen und war optimistisch, dass ich mich jetzt nicht mehr blamieren würde.

Wir saßen also alle im Kreis an dem runden Tisch aus Holz (weil nur mit solchen Tischen kann eine spiritistische Sitzung gelingen, hab ich mir mal sagen lassen).
Mitten drauf stand ein umgedrehtes Glas, auf das wir alle jeweils zwei Finger legten, die sich reihum berührten. Um das Glas waren die Buchstaben des Alphabets, die Ziffern Null bis Neun und die Worte ‚Ja‘ und ‚Nein‘ angeordnet.

Es ging los.
Gerlinde fragte: ‚Welchen Geist sollen wir rufen?‘
Ich sagte: ‚Hitler.‘
Pater Ralf sprang entsetzt auf.
Ich sagte: ‚Schon gut, schon gut. Wie wärs mit Gandhi?‘
Gegen Gandhi gabs keine Einwände.
Gerlinde war sogar begeistert von der Idee.

Wir hatten damals niemanden speziellen angerufen. Vielleicht hatte das deshalb nicht geklappt.
Gerlinde begann nach Gandhi zu rufen. Sie hatte eine Menge Ausdauer darin.
Und gerade als ich Krämpfe in der Wade bekam und mich mit dem Ellbogen abstützen wollte, da bewegte sich doch tatsächlich das Glas.
Es machte einen ordentlichen Satz von bestimmt 20 Zentimeter und es war völlig klar, dass das niemand der Anwesenden gemacht hatte.

Es war unglaublich und ich gebe zu, dass es mir eiskalt den Rücken runterlief und sich mir die Häarchen aufstellten.


 
aus der Diskussion: Meine Straße der Romantik , alles nackte Tatsachen .
Autor (Datum des Eintrages): Zip_Hornsten  (26.09.05 12:07:42)
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