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Mädchen im Dunkeln
Spurensuche zwischen Theorie und Wirklichkeit: Hamburgs Museum der Arbeit untersucht die "Sexarbeit"



Das älteste Gewerbe der Welt gilt traditionell als Thema für Herrenabende, Moralpredigten, Sitten- und kulturhistorische Untersuchungen, seuchenhygienische Maßnahmen - und vor allem für ausufernde Phantasien. Hinter der sachlichen Industriearchitektur des Hamburger Museums der Arbeit, fern der mit Heiligennamen belehnten Rotlichtviertel St. Paulis und St. Georgs, erscheint deshalb nicht nur der Titel der Ausstellung "Sexarbeit" provokant, sondern auch deren Lokalisierung. Die Konfrontation zwischen der als anständig, ehrlich und mühsam qualifizierten Erwerbsarbeit und der Prostitution ist gewollt.

Die Kuratorin Elisabeth von Dücker führt den Ausdruck "Sexarbeit" auf die amerikanische Hurenbewegung der siebziger Jahre zurück, die den Begriff "Sexwork" prägte. Ein wesentlicher Teil der Ausstellung ist dem langen "Kampf gegen Ächtung" gewidmet, dem "erfolgreichen Ringen um Respekt, um Entmoralisierung, um einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit dieser Arbeit". Den Erfolg dieses Engagements in Deutschland markiert unter anderem das Prostitutionsgesetz von 2002, das die Bewertung der Prostitution als sittenwidrig aufgehoben und Prostituierten den Eintritt in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung ermöglicht habe.

Bei etwa 200 000 Prostituierten in Deutschland, einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 36 000 Euro und einem geschätzten Jahresumsatz von 14,5 Milliarden war das ein Schritt, der eigentlich auch fiskalpolitische Phantasien beflügeln müßte. Doch das sind Schätzungen. Zwischen dem alternativ geführten Bordell und der Drogen- und Zwangprostitution, dem Frauenhandel und Sextourismus existiert eine gewaltige Grauzone, zu deren Beschreibung die hoch differenzierte Ausstellung viel beiträgt.

Die Vielfalt der Themen und Exponate erhellt den Gegensatz von Klischees und Wirklichkeit, von emanzipatorischen Theorien und der Praxis. Erotische Phantasien weckt sie dagegen nicht. Wer den transparenten Vorhang zur Ausstellung durchschritten hat, betritt eine Straße der Ernüchterung, auf der einschlägige Accessoires wie Überbleibsel eines Ausverkaufs dahinkümmern. Rechts und links locken Eingänge in zahlreiche kleine Themenräume, die den Charme behördlicher Wartezimmer verbreiten. Ganz ohne ist aber selbst dieser Charme nicht, wenn etwa die Hamburger Polizeibehörde den "öffentlichen Mädchen" 1861 sehr "strenge" verbietet, sich "auf dem Trottoir im Jungfernstiege sehen zu lassen". Dies zeigt das Dilemma des öffentlichen Umgangs mit der Prostitution, zu dessen Zielen es zählte, sie so weit es ging aus der Öffentlichkeit zu verbannen, was dem Wunsch der Freier nach Diskretion entsprach, nicht aber der Sicherheit der weiblichen und männlichen Prostituierten diente.

Angesichts der Komplexität des Themas ist der umfangreiche Katalog geradezu unentbehrlich, der neben Fachbeiträgen auch viele Berichte aus dem Milieu enthält. Ausstellungsort und Titel weisen freilich auch auf das Paradoxon hin, daß mit "Sexarbeit" ein Begriff reklamiert wird, dessen klassischer industrieller Gegenstand inzwischen als museumswürdig gilt. Als Produkt der Siebziger steht er nicht nur im Kontext von sexueller Revolution und einer Politisierung der Sexualität, sondern auch der gesellschaftlichen Utopien einer Ära, in der von Massenarbeitslosigkeit und Verarmung keine Rede war.

Letztendlich treffen bei der Prostitution aber zwei Begierden aufeinander - der Suche der Freier nach schnellem Lustgewinn entspricht die der Prostituierten nach dem schnellen Verdienst oder nach Gütern, die sie sich anders nicht verschaffen könnten. Allen Sozialreformen zum Trotz, blüht unkontrollierte Prostitution deshalb immer wieder da auf, wo Gesellschaften in eine Krise geraten, wo akute Not herrscht oder die Ansprüche dem Einkommen davonjagen.

Georg Forster, der auf seiner Reise mit James Cook 1778 bis 1780 beobachtete, wie schnell sich die gerade entdeckten Neuseeländer in Zuhälter ihrer Frauen und Töchter verwandelten, hat eindrücklich beschrieben, wie Matrosen dank einiger Eisennägel zu begehrten Freiern wurden: "Allein wir haben alle Ursach zu vermuthen, daß sich die Neu-Seeländer zu einem dergleichen schändlichen Mädchen-Handel nur seitdem erst erniedrigt hatten, seitdem vermittelst des Eisengeräthes neue Bedürfnisse unter ihnen waren veranlaßt worden."

Angesichts solcher Beispiele erscheint es fragwürdig, einen Kampf gegen die juristische Ächtung der Prostitution mit einem Ringen um deren "Entmoralisierung" zu verknüpfen, denn es geht hier um den Schutz von Menschenwürde und Selbstbestimmung. Bemerkenswert ist ein im Katalog abgedrucktes Gespräch mit dem Berliner Richter Percy MacLean, der 2000 ein viel beachtetes Urteil zugunsten einer Bordellbetreiberin gefällt hatte. "Natürlich nicht", antwortet der auf die Frage, ob die Prostitution ein Beruf wie jeder andere sei und wendet sich dann gegen die Vorstellung, daß man "seine Ansprüche auf Hartz IV verliert, wenn man sich weigert, in dem Bereich zu arbeiten. Die Sexualität ist das Intimste, was man hat als Mensch, und die Gesellschaft darf nicht verlangen, daß man diese Intimität aufgibt."

Museum der Arbeit, Hamburg, bis 26. März; Katalog (Edition Temmen) 24,90 EUR.

Artikel erschienen am Fr, 11. November 2005

http://www.welt.de/data/2005/11/11/801632.html
 
aus der Diskussion: Job als Hure zumutbar(HartzIV)
Autor (Datum des Eintrages): Erstausgabe  (12.11.05 02:12:05)
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