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Aus der Frankfurter Rundschau von heute:

Revolution auf dem deutschen Kabelfernsehmarkt
Privater Netzbetreiber testet in Leipzig neues TV-Paket, das Modell für ganz Deutschland sein könnte


In Leipzig geht der Netzbetreiber Primacom neue Wege: In mehr als 1000 Test-Haushalten wird ein neues Kabel-TV-Paket angeboten. Sender wie Pro 7 und RTL 2 werden dort nur noch digital ausgestrahlt, für den Empfang ist ein Decoder notwendig. Der Feldversuch könnte zu einem Modell für ganz Deutschland werden. FR-Mitarbeiter Thomas Harms befragte Hans Wolfert (39), verantwortlicher Vorstand für Unternehmensentwicklung, zur Strategie der Primacom.

Frankfurter Rundschau: Es geistern alle möglichen Zahlen durch die Presse. Wie sieht das Kabel-TV-Angebot, das Sie jetzt in Leipzig testen, tatsächlich aus?

Hans Wolfert: Wir bieten in Leipzig 28 analoge TV-Kanäle und 29 Radioprogramme für einen Preis von 16,40 Mark. Damit liegen wir weit unter dem Durchschnittspreis für ein vergleichbares Angebot in Deutschland. Darüber hinaus bieten wir ein kostenloses digitales Basispaket von 17 Kanälen. Um das zu empfangen, muss man allerdings für 4,95 Mark im Monat einen Decoder mieten. Zusätzlich haben wir die drei digitalen Spartenpakete "Family", "Info" und "Life" sowie ein gesondertes MTV-Paket im Angebot. Jedes Paket kostet fünf Mark. Und man kann bei uns Spielfilme auf Abruf mit der Settop-Box empfangen, für sechs Mark pro Film.

Die 4,95 Mark Zusatzgebühr beim digitalen Basispaket verstehen sich also ausschließlich als Boxenmiete, nicht als Programmentgelt?

Ja. Bei diesem Punkt herrscht leider sehr viel Verwirrung. Nochmal: Für insgesamt 21,35 Mark im Monat offeriert Primacom 45 Kanäle inklusive Digitaldecoder. Und zwar für einen teuren, hochmodernen Decoder. Das ist in Deutschland absolut konkurrenzlos.


Sie haben sehr beliebte Programme wie Pro 7 oder RTL 2 kurzerhand in den Digitalbereich verfrachtet. Wollen Sie die Zuschauer mit Gewalt ins Digitalfernsehen und in die Decodernutzung treiben?

Die Sender, die 75 Prozent der Zuschauermarktanteile auf sich vereinigen, bleiben ja analog verfügbar. Aber wir müssen jetzt einen Anfang machen mit der Verlagerung analoger Programme in den digitalen Bereich, weil wir Platz im Netz freischaufeln wollen. Analoge Programme nehmen sehr viel Bandbreite weg und sind sehr teuer in der Verbreitung. Wir wollen unsere modernen, aufgerüsteten Kabelnetze noch für ganz andere Dienste als TV-Programme nutzen und unseren Kunden möglichst rasch auch schnelles Internet und Telefon anbieten, wir brauchen Frequenzen für den Rückkanal. Dafür ist es zwingend notwendig, den Teil des Netzes, der noch für Analog-TV genutzt wird, zu verkleinern und mehr Digitalprogramme anzubieten.

Dennoch: 21,35 Mark plus vier Pakete à fünf Mark macht zusammen 41,35 Mark für Ihr Gesamtangebot. Das ist deutlich mehr, als bisher in Deutschland üblich. Fürchten Sie nicht einen Sturm der Entrüstung bei den Zuschauern?

Zunächst: Wer alle Programme bis auf das MTV-Paket im Bündel abonniert, bekommt bei uns auch noch einen Rabatt. Sie zahlen dann insgesamt nur 34,30 Mark inklusive Decodermiete. Der Kern ist aber: Es interessieren sich doch gar nicht alle Zuschauer für alle Programme! Für einen Kabelnetzbetreiber ist es geschäftlich völlig unsinnig, immer neue TV-Sender einfach dazu zu schalten, wenn es sich um Special-interest-Angebote handelt, die 80 Prozent der Leute überhaupt nicht sehen wollen. Wer auf spezielle Kanäle scharf ist, soll zusätzlich dafür bezahlen, ohne die große Masse der Zuschauer damit zu belasten und deren Basisangebot zu verteuern. Wir schaffen individuelle Wahlmöglichkeiten. Alles andere ist doch geradezu prähistorisch.

Für die öffentlich-rechtlichen Sender zahlen die Zuschauer ja bereits an die GEZ. Bei Ihnen muss zusätzlich Decodermiete für den Empfang bestimmter Digital-Angebote von ARD und ZDF entrichtet werden. Ist das nicht völlig unakzeptabel?

Wieso denn? Sie können doch jetzt die ARD/ZDF-Digitalbouquets auch nicht ohne Decoder sehen. Den müssen Sie sich für viel Geld anschaffen! Im übrigen: Von den GEZ-Gebühren haben wir Netzbetreiber überhaupt nichts. Die Rundfunkgebühr könnte von mir aus in Deutschland ruhig zurückgeschraubt werden. Das gibt`s in Holland auch nicht mehr. Ich finde es durchaus interessant, darüber nachzudenken, die Öffentlich-Rechtlichen auch in Deutschland nur noch durch Werbung und staatliche Mittel zu finanzieren.

Wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie in Deutschland ein völlig neues Geschäftsmodell beim Kabelfernsehen einführen. Was schwebt Ihnen vor?

Im analogen Bereich müssen wir sicherlich weiter die Programme einfach durchleiten. Im Digitalbereich orientieren wir uns in der Tat an einem amerikanischen Reselling-Konzept, also einem Wiederverkaufs-Modell, das es auf dem deutschen Markt so noch nicht gibt. Wir beschaffen die Programme bei den Anbietern und verkaufen sie dann an den Kunden weiter. Es geht uns darum, im Kabel endlich für echte Marktwirtschaft zu sorgen.

...Sender beim Digital-TV ja entfallen. Wollen Sie stattdessen in Zukunft nach US-Vorbild gestaffelte Entgelte an die Veranstalter je nach Marktwert des jeweiligen Kanals zahlen?

Genau so ist es. Wobei man berücksichtigen muss, dass es generell nur sehr wenige TV-Veranstalter gibt, die individuell vermarktet werden wollen. Die meisten wollen in ein Paket, so wie wir es jetzt in Leipzig ausprobieren. Einzelvermarktung ist der härteste Test für jeden Sender: Haben die Zuschauer `ne Mark dafür über, oder nicht?

Ein neues Marktmodell kann man ja wohl nur im Konsens mit den anderen Marktpartnern durchsetzen. Die empörten Reaktionen zum Beispiel des VPRT-Chefs Jürgen Doetz oder von Pro 7 auf ihr Vorgehen signalisieren, dass es den im Moment nicht gibt. Wie wollen Sie das ändern?

Also erstens sind wir ja noch in einer frühen Testphase unseres Modells. Die Akzeptanz bei den Leipziger Kunden ist bisher sehr erfreulich. Nach Ende des Tests werden wir ausführliche Gespräche führen. Zweitens ist unser Leipziger Angebot billiger und nicht teurer als anderswo. Das sollte sich Herr Doetz vielleicht noch einmal genau anschauen. Es kann natürlich gut sein, dass es den etablierten großen Privatsendern nicht in den Kram passt, dass sie im digitalen Kabel in Zukunft in Konkurrenz mit bis zu 200 neuen kleineren Spartensendern vermarktet werden. Auch daher rührt vielleicht der Widerstand.

Der VPRT hat Ihnen mit Klage gedroht. Auch die sächsische Landesmedienanstalt ist mit Ihrem Vorgehen nicht einverstanden. Glauben Sie, dass Sie rechtlich mit Ihren Plänen auf der sicheren Seite sind?

Wir haben alle europäischen, bundesweiten und landesrechtlichen Fragen sorgfältig studiert und gehen davon aus, dass wir mit unserem neuen Angebot keine Probleme haben werden. Wenn ich ins Ausland schaue, glaube ich aber auch, dass die juristische Regulierung in Deutschland beim Thema Digitalkabel noch eine Menge neuer Fragen zu lösen hat, gerade weil nicht nur das Medienrecht betroffen ist.

Ihr Vorgehen könnte bei anderen Netzbetreibern Schule machen, zum Beispiel bei den neuen Eigentümern des Telekom-Kabelnetzes wie Callahan oder Klesch. Kommt das Paket-Vermarktungsmodell bald im ganzen Bundesgebiet auf den Zuschauer zu?

Absolut. Alle Businesspläne beim Kabel, die ich kenne, gehen von derartigen Grundmodellen aus, auch wenn sie im Detail unterschiedlich sind. Anders lassen sich die exorbitanten Summen, die jetzt für deutsche Kabelnetze bezahlt werden, doch gar nicht rechtfertigen. Auf dem englischen Markt liegen die Preise für Basispakete beim Kabelfernsehen bei 40 bis 50 Mark. Das kann man in Deutschland momentan noch nicht erlösen, aber auch hier werden die Preise für Kabel-TV in der Zukunft steigen. Dafür bekommt der Kunde dann auch viel mehr geboten.


Frankfurter Rundschau 2000
Dokument erstellt am 19.09.2000 um 21:08:49 Uhr
Erscheinungsdatum 20.09.2000

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Und eine hochmoderne Set-Top-Box ist für all das unabdingbar. Für jeden einzelnen Fernseher, der am Digitalnetz hängt.

JP
 
aus der Diskussion: Interactive TV - Markt und Wettbewerb
Autor (Datum des Eintrages): Janphil  (20.09.00 17:48:33)
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