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Hallo Baroni und Co. Ich benutze mal euren Thread, weil ich denke das dieses Posting hier besser aufgehoben ist. Wer die anderen Threads kennt, der wird mich verstehen.

- Neulich in einer anonymen Selbsthilfegruppe -

Stellen Sie sich einen Raum vor mit den Maßen 12x12 Meter in dem kreisförmig 12 Stühle angeordnet sind. In der Mitte des Kreises befindet sich ein kleinerer Stuhl. Richtig gesehen ist dies kein Stuhl sondern vielmehr eine Art Schemel indem der Daraufsitzende automatisch eine stark gebückte Haltung einnimmt. Einer der 12 Stühle ist rot und beim näheren Betrachten fällt es auf das dieser Stuhl größer ist als die anderen. Nicht merklich, aber dennoch verschafft er dem Besitzer dieses Stuhles einen erhöhten Blick. Stellen Sie sich nun diesen Raum mit 12 Personen vor, wovon einer dieser Personen ein Gelehrter ist, mit 19-jähriger Berufserfahrung.

HERZLICH WILLKOMMEN ZUR SELBSTHILFEGRUPPE DER ANONYMEN LANGFRISTINVESTOREN

Es war an einem traurigen Winternachmittag als ich mich auf Anraten meiner befreundeten Kollegen zu diesem Termin aufmachte. In den Nachrichten geisterten wieder die alltäglichen Spukgeschichten herum. Der Irak, Iran und Angela Merkel sollten mir noch in den kommenden Wochen meine Investments vermiesen. Da ich selber nicht fähig bin und desweiteren nicht den geistigen Horizont besitze dieses einzuschätzen willigte ich mürrisch ein. In meiner Hand halte ich "Die Reise nach Petuschki" von Wenedikt Jerofejew. Ach wie schön wäre es jetzt wieder das Meer zu sehen, denke ich und gehe die 19 Stufen zum hiesigen Universitätsgebäude.

Oben angekommen entdecke ich den Flur 113. Es fällt auf das es hier nach nassem Papier riecht. Ein Geruch der mich anwiedert, da er mir nur allzu vertraut ist. An der besagten Tür mache ich Halt. Ich mustere das dunkelbraune Eichenholz mit den vielen Narben und Kerben der vergangenen Jahrzehnte. Oberhalb der Tür befindet sich in goldenen Buchstaben die Aufschrift "Traden macht frei", ein Text den ich in abgewandelter Form irgendwo schon einmal gelesen hatte. Nur wo? Die Tür reisst auf und eine Person schleppt sich an mir vorbei. Skoljose denke ich, da seine Haltung stark gebeugt ist. Mit Tränen in den Augen stammelt er mir Wortfetzen zu die ich kaum verstehe.
Oder verstehen will? "Der Nächste", mit diesen Worten zerteilt eine Stimme meine Gedanken. Ich habe das Gefühl das sie die Luft im Raum förmlich zerschneidet. Ich trete ein und sehe erstmal nichts. Nachtblind, schon immer gewesen und das war auch der Grund warum ich keinen Führerschein habe. Mir wird der Platz in der Mitte des Kreises zugesprochen, jedoch ist es mir unmöglich eine angenehme Haltung dabei einzunehmen. Meine Knie berühren den Boden, harter, stinkender PVC-Belag der seine besten Jahre schon lange hinter sich hatte. Man mustert mich, 12 fragende Augenpaare durchleuchten meinen Körper und ich fühle mich sehr unwohl dabei. Ich suche einen schönen Gedanken, erinnere mich an das Leuchten von violetten Tulpen und assoziiere damit die 7 schönsten Stunden meines Lebens. Ich greife mich an diesen Gedanken fest und warte ab.

„Stellen Sie sich bitte vor“ Die Frage kommt von dem Mann auf dem roten Stuhl, während mich weiterhin 11 Augenpaare unabänderlich beobachten. „Tom“, antworte ich, ich nenne mein Alter und meine Herkunft, beruflicher Werdegang, vorzeitiger Abschluss meiner Ausbildung, Privatbank, späterer Wechsel ins Risikomanagement, Beurteilung von Unternehmen unter dem Aspekt der drohenden Insolvenz, Börsenerfahrung seit 1996, beteiligt an der Gründung verschiedener Firmen seit 1999, Studium seit 2002, Privatier vermutlich ab 2010. Ich sage das letztere scherzhaft um die erdrückende Stimmung ein wenig aufzuhellen. „Sie sind ein Narr“ antwortet mir eine Stimme aus dem hinteren Winkel des Raumes, ich kann sie nicht zuordnen, ich mag sie nicht zuordnen.
„Sie kennen Biophan?“ Ich halte Biophan antworte ich, lange, sehr lange. Ich beschäftige mich mit den Anfängen der Nanotechnologie seit meiner frühen Jugend. Für mich hat diese Technologie ein gewaltiges Potential trotz aller Risiken. „Sie sind ein Narr“ schon wieder durchschneidet die Stimme aus dem hinteren Winkel quer diesen Raum. Die 11 verbleibenden Augenpaare nehmen eine gebetsmühlenartige Haltung ein und beginnen ihren Singsang. „Du bist ein Narr, du bist ein Narr“, ich beginne innerlich zu lächeln und denke an die violetten Tulpen.

Ein Lichtkegel taucht auf, er projeziert aus dem hinteren Teil des Raumes heraus quer über meinen Kopf ein Chartbild. „Zeigen Sie ihre Einstiegspunkte!“ Mir wird ein Laserpointer gereicht, der erstmal nicht funktioniert. Ich überlege kurz und male kleine Kreisbewegungen am Fuße des Chartbildes, zwei Kreise setze ich in den Abwärtstrend. Der Mann auf dem roten Stuhl erhebt sich und baut sich ausserhalb des Kreises neu vor mir auf. Er mustert mich, ich mustere ihn und denke dabei an Rilke. Ein zahnloser, grau gewordener Panther. Was nun folgt ist eine ausgiebige Chartanalyse der vergangenen 3 Jahre. Widerstandslinien und Indikatoren, Kaufsignale, Verkaufssignale, MACD und Newsflow. Ich sacke vor mir zusammen, meine gebeugte Haltung schmerzt, ich erkenne den Afrikanischen Kontinent als Tintenfleck vor mir auf dem Boden. „Warum sind Sie bei 3USD nicht ausgestiegen!“ Für einen Bruchteil von Sekunden war ich nicht bei der Sache, ich lasse mir die Frage wiederholen und antworte schnell. Ich gebe an das ich diesen Wert als ein längerfristiges Investment sehe. Persönlich hege ich keinen Zweifel an der momentanen Strategie, setze aber meine Ausstiegspunkte gedanklich. „Welche Sie Narr, Ihr Risikomanagement funktioniert nicht!“ Die Stimme aus dem hinteren Teil des Raumes, verliert ihre Brachialität. Ich überlege kurz ob ich den Wegfall der SBI-Tranchen oder den Produktlaunch nach 2008 erwähnen soll, den Ausstieg von BSX, den MRI-sicheren Herzschrittmacher von Medtronic, den Zukauf von Unternehmen die meiner Meinung nach nicht in die Strategie passen, Fehlentscheidungen des Managements, neue Einschätzungen zur Nanotechnologie. Ich lasse es sein und bestätige mein Scheitern. „Gut“, antwortet der Mann, welcher mir noch vor wenigen Minuten das Chartbild erklärte. Er eröffnet einen nicht enden wollenden Monolog über das Verhalten von Lemmingen, er redet über Behavioral Finance, Psychologie der Märkte, Anlegerkonglomerate, Sekten. Die 11 Augenpaare schauen ihn begeistert dabei an. Ich beschließe aufzustehen, sacke aber durch das Einschlafen meiner Beine ein wenig zusammen. „Sie haben Verluste gemacht!“ Die Stimme aus dem Off meldet sich wieder zurück. Ich entgegne ihm das ich keine Gewinne gemacht habe, alles andere wäre falsch. Aber auch dies stimmt nicht, dabei resümiere ich meine letzten 2 Anlegerjahre. Mir fällt meine Depotstrukturierung auf, Dividendentitel,Optionsscheine,Aktien. Die Hälfte meiner Gewinne wurden in Biophan investiert, ein anderer Teil in neue Werte, den Rest habe ich verlebt. Ich denke an Stockholm 2005, höre die Musik von „LOGH“ in meinen Ohren und verlasse den Raum. In meiner Hand immer noch das Buch von Jerofejew. Ich mag jetzt unbedingt das Meer sehen.
 
aus der Diskussion: BIOPHAN.....SEKT ODER SELTERS ??
Autor (Datum des Eintrages): cultom4president  (07.03.06 11:35:23)
Beitrag: 39 von 2,069 (ID:20552252)
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