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[posting]21201782[/posting]31. Oktober 2004 Peter Hartz kokettiert gern damit, daß niemand in Wolfsburg länger Mitglied der IG Metall sei als er. Die Freundschaften zu Gewerkschaftlern pflegt er seit Jahrzehnten. Am Freitag saßen sie mal wieder nett beieinander, die alten Recken. Im VW-Werk in Kassel galt es, einen Betriebsrat zu verabschieden. Und alle waren sie gekommen: VW-Personalvorstand Hartz, IG-Metall-Chef Jürgen Peters, dessen Vorvorgänger Franz Steinkühler, der Bezirksleiter in Niedersachsen, Hartmut Meine. Man prostete sich zu, frotzelte, scherzte. Eine gemütliche Runde.

Am Montag ziehen sie dann wieder in den Tarifstreit - auf gegenüberliegenden Seiten der Barrikaden. Die IG Metall will mehr Lohn. Volkswagen will die Lohnkosten senken. Mit Autos verdient der Konzern kein Geld mehr; zumindest nicht mit VW-Modellen. 38 Millionen Euro Verlust verzeichnet das Unternehmen im reinen Automobilgeschäft in den ersten neun Monaten. Ohne die internen Subventionen durch die Erfolgsmarke Skoda käme man leicht auf einen Verlust von 200 Millionen Euro. Und für den Rest des Jahres sieht es nicht besser aus.

Ohne Autos kein rentables Finanzgeschäft

Solange der Konzern aber insgesamt einen Gewinn erwirtschaftet und die Aktionäre eine Dividende erhalten, so lange hätten auch die Arbeitnehmer ein Anrecht auf einen Zuschlag, argumentiert IG-Metall-Verhandlungsführer Hartmut Meine. "Im Unterschied zu Opel verdient Volkswagen Geld." Daß die Gewinne nicht von VW Golf oder Phaeton kommen, sondern vor allem aus den Finanzdienstleistungen, stört Meine nicht weiter: "Ohne Autos gäbe es auch kein Finanzgeschäft."

"Wir wollen eine Nullrunde", bekräftigt dagegen der VW-Vorstandsvorsitzende Bernd Pischetsrieder. Um 30 Prozent oder zwei Milliarden Euro will Personalvorstand Hartz die Lohnkosten bis zum Jahr 2011 drücken. Eine Milliarde Ersparnis soll diese Tarifrunde auf einen Schlag bringen. Wenn nicht, sei ein massiver Personalabbau in den deutschen VW-Werken unausweichlich.

Gewerkschaft will Druck aufbauen und verhandeln

Am Montag treffen sich die Tarifparteien zu den nächsten Gesprächen, dann wird die Vorentscheidung fallen, ob es beim VW-Konzern zum ersten Streik in der Nachkriegszeit kommt. "Unsere Strategie ist: mit Warnstreiks Druck aufbauen und gleichzeitig verhandeln", sagt IG-Metall-Bezirksleiter Meine. Sollten die Gespräche am Montag aus Sicht der Gewerkschaft enttäuschend verlaufen, könnte sie die Verhandlungen noch am selben Tag für gescheitert erklären und mit den Vorbereitungen für Urabstimmung und Streik beginnen. Am frühen Montag morgen haben jedenfalls die Beschäftigten in den VW-Standorten Braunschweig und Kassel die Arbeit niedergelegt. Rund 2.000 Arbeiter seien dem Aufruf zu Warnstreiks gefolgt, sagt ein Sprecher der IG Metall.

Für die Protagonisten im Hintergrund, die Metaller-Freunde Hartz und Peters, ist das ein riskantes Spiel. Arbeiterführer Jürgen Peters sitzt als stellvertretender Vorsitzender im VW-Aufsichtsrat und ist als solcher dem Wohl des Unternehmens verpflichtet. Mit einem Streik wäre Europas größtem Autobauer aber sicher nicht gedient.

Bei einem Arbeitskampf kann Peters nur verlieren

Zudem kann Peters bei einem Arbeitskampf eigentlich nur verlieren: Setzt sich der Konzern durch, sind die IG Metall und deren Vorsitzender beschädigt. Trotzt die Gewerkschaft dem Vorstand Lohnerhöhungen ab, bedeutet das in der Konsequenz den Verlust von Jobs bei Volkswagen. "VW kommt dann nicht um betriebsbedingte Kündigungen herum", prognostiziert Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer. "Die Meldung vom Abbau von Zehntausenden Stellen könnte auch das Ende der Ära Peters an der IG-Metall-Spitze einläuten."

Nicht minder schwierig ist die Lage von Peter Hartz. Seine Karriere als politischer Heilsprediger wurde ruhmlos beendet. Das Versprechen, mittels Hartz I bis IV die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu halbieren, entpuppte sich als haltlos. Und daß die Reformgegner seinen Namen als Symbol für das neoliberale Böse gebrauchen, hat den VW-Manager persönlich getroffen. Zudem hört er immer häufiger den Vorwurf, erst sein mit wolkigen Vokabeln verzierter Wohlfühlkurs bei VW habe den Konzern in die jetzige Situation gebracht. Mit zuviel und zu teurem Personal an Bord.

„Das ist eine gewerkschaftliche Errungenschaft” - kein Grund Verzicht zu üben

20 Prozent liegt der Lohn bei VW über dem Flächentarif. 20 Prozent erhält der VW-Arbeiter auch mehr als sein Kollege bei Audi, der weit profitableren Marke im Volkswagen-Konzern. Für Verhandlungsführer Meine sind diese Zahlen kein Grund, jetzt Verzicht zu üben. "Das ist eine gewerkschaftliche Errungenschaft. Das hat die Belegschaft in guten Zeiten erstritten, im Gegenzug hat der Konzern mehr Flexibilität erhalten." Und Peter Hartz hat die passenden Schlagworte erfunden.

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 31.10.2004, Nr. 44 / Seite 33; Dow Jones - VWD



Noch Fragen Punk????
 
aus der Diskussion: Arbeitszeitverlängerungen vernichten Arbeitsplätze. Beispiel: VW
Autor (Datum des Eintrages): Datteljongleur  (14.04.06 12:40:39)
Beitrag: 9 von 257 (ID:21201994)
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