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[posting]21190702[/posting]HANDELSBLATT, Dienstag, 10. Mai 2005, 08:53 Uhr


Vergessene Gründer: Aufstieg und Fall großer Unternehmer

Ivar Kreuger: Finanzgenie und Schurke

Von Helge Hesse

Der Schwede Ivar Kreuger machte weltweit ein Vermögen mit Streichhölzern und half Regierungen mit Milliardenkrediten.


Ein Mann betritt ein Waffengeschäft in Paris, Mit Bedacht sucht er eine Pistole und Munition aus. Als man ihn nach seinem Namen fragt, um den Käufer ordnungsgemäß zu registrieren, antwortet er: „Ivar Kreuger“.

Am nächsten Tag ist Ivar Kreuger tot. Einer seiner Mitarbeiter findet ihn in seiner Wohnung, auf dem Bett liegend, mit der Waffe in der Hand. Er stirbt an einem Schuss mitten ins Herz. Es ist der 12. März 1932.

In Deutschland sieht sich Kurt Tucholsky in seiner düsteren Sicht auf die Wirtschaftswelt bestätigt und schließt aus Kreugers Fall: „Die Dummheit der Menschen manifestierte sich früher im Militär, heute in den Wirtschaftsführern.“ Die Nachricht von Kreugers Tod rast um den Globus. Am nächsten Börsentag geben die Kurse drastisch nach. Tausende verlieren ihre Ersparnisse.

Wer war dieser Mann, der den Erdrutsch auslöste und so dramatisch endete?

Er war einer der bekanntesten Finanzjongleure seiner Zeit. In den 20er und frühen 30er Jahren besaß er in vielen Ländern weltweit die Zündholzmonopole, in Deutschland das Monopol auf die „Welthölzer“. Er half Staaten mit Milliardenkrediten, war im Gespräch mit US-Präsident Hoover und verhandelte mit Stalin. Er steuerte einen Multi mit über 400 Tochterfirmen. Dazu gehörten Silberminen, Bergwerke, Wälder, Papierfabriken, Banken und Hüttenwerke.

Ivar Kreuger, ein Mythos zu Lebzeiten, wurde im schwedischen Kalmar als Sohn eines Unternehmers geboren. Bald zeigt sich seine außergewöhnliche Intelligenz. Mit gerade 20 Jahren schließt er ein Studium zum Bauingenieur mit Bestnoten ab.

Er reist nach Afrika und Indien. Er arbeitet in Mexiko, informiert sich in den USA über Bautechniken und leitet 1903 den Bau des damals größten Hotels der Welt in Johannesburg. Vier Jahre später kehrt er nach Schweden zurück und gründet mit Paul Toll die Baufirma Kreuger & Toll – und hat Erfolg.

Doch seinen phänomenalen Aufstieg als internationaler Finanzjongleur und Unternehmer fördern zwei andere Ereignisse. Erst vererbt ihm sein Vater eine Streichholzfabrik, dann bricht der Erste Weltkrieg aus. Kreuger nutzt die Turbulenzen, um mit seiner Svenska Tändstickers AB, den zuvor übermächtigen Konkurrenten zu überflügeln und zu übernehmen.

Dann, Europa liegt wirtschaftlich am Boden, sieht er seine große Chance. Er bietet den finanziell angeschlagenen Regierungen Kredite an. Als Gegenleistung versucht er, jeweils das Monopol für Streichhölzer zu erlangen. Viele Regierungen gehen auf das Geschäft ein. In einer Mischung aus finanziellem Genie, politischem Geschick, Phantasie und wenig zimperlichen Geschäftsmethoden, wie Dumpingpreisen, gelingt es ihm, viele internationale Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen. Zeitweise stammen drei Viertel aller Streichhölzer, die weltweit verkauft werden, aus seinen Fabriken.

Kreuger steigt zu einem der reichsten Männer seiner Zeit auf. Die Wälder, die ihm schließlich gehören, bedecken eine Fläche von der Größe Belgiens. Zu seinem Firmenreich gehört auch die schwedische Telefongesellschaft Ericsson, von der er sich eine der ersten Freisprechanlagen konstruieren lässt.

In den Metropolen der Welt besitzt er Luxusappartements. In seiner Pariser Wohnung widmet er sich bis zuletzt mit Hingabe der Ausgestaltung eines japanischen Wintergartens. Seine Bleibe in New York zieren Gemälde von Edvard Munch und Skulpturen von Rodin. In seinem Domizil am Pariser Platz in Berlin lässt er seine Haushälterin jeden Tag neue Blumensträuße arrangieren, der Hausherr könnte ja plötzlich eintreffen.

Zahlreiche Affären werden ihm angedichtet. Die Reichen und Schönen seiner Zeit suchen seine Nähe. Die Hollywood-Stars Mary Pickford, Greta Garbo und Douglas Fairbanks fahren mit auf seiner Motoryacht durch die schwedischen Schären. Die Welt ist geblendet vom Licht des Streichholzkönigs. Mit seiner Finanzmacht, vor allem seinen Staatskrediten, wächst sein politischer Einfluss. 1927 gewährt er Frankreich ein Darlehen über die damals sagenhafte Summe von 75 Millionen Dollar. Im Jahr darauf bietet er Josef Stalin für die Sowjetunion einen Kredit über eine Milliarde Dollar zu sehr niedrigen Zinsen an. Doch der Diktator lehnt ab.

Schließlich gewährt Kreuger 1930 dem finanziell schwer angeschlagenen Deutschen Reich eine langfristige Staatsanleihe im Gegenwert von etwa 500 Millionen Reichsmark. Im Gegenzug erhält er das Herstellungs- und Vertriebsmonopol auf Streichhölzer. Die Bundesrepublik Deutschland lässt die Anleihe weiterlaufen und zahlt sie bis zum 15. Januar 1983 zurück. Bis dahin kann man in Deutschland nur die „Welthölzer“ kaufen.

Insgesamt gewährt Kreuger Darlehen, die heute dem Gegenwert von etwa 40 Milliarden US-Dollar entsprechen. Zeitweise erzielt er traumhafte Renditen von jährlich bis zu 30 Prozent und besitzt bei nahezu allen Großbanken der Welt uneingeschränkte Kreditwürdigkeit.

Von seinen Bewunderern wird er als Schöpfer eines neuen europäischen Finanzsystems gefeiert, von der Presse sogar als „Retter der Welt“. Noch 1929 ziert er eine Titelgeschichte im „Time Magazine“.

Doch wenige Tage später beginnt, wie für viele andere auch, mit dem Börsencrash und der folgenden Depression sein Abstieg. Zwar kann er sein Finanzsystem noch einige Jahre aufrechterhalten, doch nur mit illegalen Mitteln. Er gibt Sicherheiten an, die er nicht besitzt, und setzt auf Geheimniskrämerei. Bekannt wird sein Satz, der Schlüssel zum Erfolg sei „Schweigen, mehr Schweigen, und sogar noch mehr Schweigen“.

Er schiebt sein Geld zwischen den Unternehmen hin und her. Seine überdurchschnittlich hohen Dividenden zahlt er nicht mehr aus den Gewinnen, sondern aus dem Kapitalstock. Solange das Geld fließt, halten die Investoren still – bis die Nachricht über seinen Tod um die Welt geht. Am nächsten Börsentag kommt es zum „Kreuger-Crash“.

In den USA zieht man daraus die Lehren: Man schafft neue Sicherheitsregeln für den Wertpapierhandel. Akteure, die wie Kreuger große Finanzvolumina bewegen, müssen die Karten auf den Tisch legen.

An seinem Selbstmord in Paris werden Zweifel laut. War der Waffenkäufer am Tag zuvor tatsächlich Kreuger? War es ein Auftragsmord?

Fest steht: Kreuger hat sein Imperium selbst zerstört. Zu überzeugt von seiner Brillanz, hat er den Blick für Realität und Recht verloren. Der Mann „mit der vermutlich größten schöpferischen geschäftlichen Intelligenz seines Zeitalters“, so John Maynard Keynes, gilt auch als einer der größten Schurken dieser Zeit.

Chronik

2. März 1880: Ivar Kreuger wird in Kalmar/Schweden geboren. 1900 schließt er mit Bestnoten sein Studium zum Bauingenieur ab.

1903: Er leitet in Südafrika als Chefingenieur den Bau des größten Hotels der Welt.

1904: Er reist durch Afrika und Indien und dann nach Paris. Später geht er in die USA, wo er Stadien und Hotels baut.

1907: Er gründet in Schweden die Baufirma Kreuger & Toll, die 1912 in Stockholm das neue Rathaus und das Olympiastadion baut.

1913: Er engagiert sich mit der vom Vater geerbten Fabrik in der schwedischen Streichholzbranche. Vier Jahre später steigt er mit der Svenska Tändstickers AB in das weltweite Streichholzgeschäft ein.

1927: Er kontrolliert ein weltweites Finanzimperium und gewährt Frankreich ein Darlehen über 75 Millionen Dollar.

1928 lehnt Josef Stalin sein Angebot eines 1-Milliarden-Dollar-Kredits für die Sowjetunion ab.

1929: Wenige Wochen nach dem „Schwarzen Freitag“, an dem in New York die Aktienkurse dramatisch fallen, einigt er sich mit dem Deutschen Reich auf das Zündholzmonopol. Die Weimarer Republik erhält dafür eine Anleihe über 500 Millionen Reichsmark.

12. März 1932: Er stirbt vermutlich durch Selbstmord in seiner Pariser Wohnung.
 
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Autor (Datum des Eintrages): kosto1929  (16.04.06 01:22:12)
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