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Da mein Thread "Meine Frauen und meine Aktien" so viele Leser und Kommentatoren gefunden hat und immer noch gelesen wird, folge ich hiermit der Aufforderung, neue Geschichten zu liefern.

Teil eins: In Teufels Küche

1.

Das Vorstellungsgespräch fand im Schankraum statt. Die Wirtin saß mit dem Rücken zur Theke und zur Küche. Hinter der Theke stand ein traditionell gekleideter Kellner und polierte Gläser. Seine Chefin war sehr dick und sehr blond. Noch dicker und blonder als die stets auffällig geschminkte Freundin meines Vater, die seine Stammkneipe führte. Außerdem war diese Wirtin etwa zehn Jahre älter. Ich schätzte sie somit auf ungefähr fünfzig Jahre. Sie machte ein sehr ernstes Gesicht und starrte mich an, als wollte sie mich hypnotisieren. Ich wartete darauf, dass sie wieder etwas sagte. Als sie statt dessen weiter schwieg, sah ich mich aus den Augenwinkeln um. Überall an den Wänden waren Regale mit zahllosen ausgestopften Tieren. Die toten Kreaturen hatten alle den gleichen Blick, der mir irgendwie bekannt vorkam. Die Frau sagte immer noch nichts. Auch ihr Blick kam mir jetzt irgendwie bekannt vor. Vielleicht wurde ich hier allmählich verrückt. Ich wollte lieber weg. Als ich an ihr vorbei guckte, sah ich, wie eine Person aus der Küche kam. Zuerst bemerkte ich nur, dass die Schwingtür sich bewegte, aber dann erkannte ich eine große und schlanke Frau, die noch ein paar Schritte machte und dann hinter die Theke stehen blieb. Sie flüsterte dem Kellner etwas zu. Er nickte leicht und polierte schweigend weiter Biergläser. Die dunkelblonde junge Frau sah mich an. Sie wirkte ganz locker und trotzdem aufmerksam. Ich erwiderte ihren Blick und war sofort verliebt. Als ich den Anflug eines leisen Lächelns in ihrem hübschen Gesicht zu erkennen glaubte, beschloß ich zu bleiben. Egal, um wen oder was es sich bei diesem fantastischen Geschöpf handelte, ich durfte es oder sie nicht im Stich lassen.
Mein Leben hatte einen Sinn.
Ich lächelte unwillkürlich.
Die potentielle Chefin vor mir atmete geräuschvoll aus. Ihr Gesicht wurde von einer schwachen Maske von Milde verfremdet.
„Also gut“, hub sie an, „du darfst hier am Sonntag anfangen!“
Ich konnte nicht sagen, was mich mehr entsetzte. War es die Enttäuschung, dass ich diese hübsche Elfe frühestens übermorgen kennen lernen würde? Oder war es die drohende Vorstellung, meinem bedrohlich stierenden Gegenüber schon in absehbarer Zeit ausgeliefert zu sein? Leider traf beides zu. Es zerriß mich innerlich. Ich wusste nicht, wen oder was ich angucken sollte. Aber ich wusste, dass es weitergehen musste. Darum sah ich die Frau hinter der Theke an. Das befähigte mich, eine Entscheidung zu treffen und dafür sogar ein Wort zu finden, dessen Silben ich dann alle beide verständlich genug heraus würgte.
„Super.“
„Kauf dir bis dahin die richtige Berufskleidung. Messer brauchst du noch nicht zu kaufen, die haben wir hier.“
Sie stand auf und verdeckte den Anblick der anderen Frau.
„Ja“, sagte ich eilig.
„Gut, dann kannst du dir jetzt die Küche zeigen lassen. Bis Sonntag. Sei pünktlich!“
Dann ging sie fort. Sie sagte etwas zu dem Kellner und verschwand dann komplett aus meinem Blickfeld. Der Kellner kam zu mir, gab mir die Hand und führte mich zum Eingang der Küche. Ich guckte die ganze Zeit auf die Frau, die immer noch hinter der Theke stand und meinen Blick weiterhin so unglaublich attraktiv erwiderte.
„Wer ist das?“, fragte ich.
Ich musste leise sprechen. Damit er merkte, dass er trotzdem hören und antworten musste, mischte ich einen leicht drohenden Unterton bei.
„Vergiß es.“
Ich blieb stehen.
„Wir müssen in die Küche.“
„Wer?“, knurrte ich.
„Erstens die Tochter von der Chefin und zweitens zu jung.“
„Wie jung?“
„Knapp sechzehn.“
Ich setzte mich wieder in Bewegung und verschwand so rasch wie möglich in der Küche, damit das Kind nicht sah, wie ich die Kontrolle über mein Gesicht verlor. Tatsächlich überholte ich den Kellner. Als ich in der Schwingtür war, hörte ich ihn wieder etwas sagen.
„Sie hat aber eine ältere Schwester.“

Fortsetzung folgt
 
aus der Diskussion: Die Leiden eines Kochs
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (20.04.06 23:35:24)
Beitrag: 1 von 74 (ID:21264565)
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