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5.

Ulf drehte Blücher den Rücken zu und sah mich an.
„Wir machen jetzt die üblichen Vorbereitungen für das Mittagsgeschäft. Du kannst zum Beispiel schon frische Petersilie hacken und Tomaten schneiden. Was wir für so für die Garnituren brauchen. Das nennt man Mis-à-place!“
„Mist am Platz habt ihr“, krähte Blücher. „Das ist aber auch alles!“
Ulf bereitete das Bain-Marie vor, ohne auf diesen Spott von Blücher zu reagieren. Damals war mir der Grund schleierhaft. Erst einige Wochen später kam ich zu der Gewissheit, dass Blücher diesen Scherz einfach jeden Tag brachte.
Jetzt kam die Chefin in die Küche. Blücher grüßte respektvoll. Die Chefin schenkte ihm ein Nicken. Als sie weiter ungebremst auf ihn zukam, machte er sich noch kleiner, als er ohnehin schon war. Sie sie rempelte ihn trotzdem an, obwohl zur anderen Seite noch ein Meter freier Platz war. Damit kam er noch gut davon, denn oft marschierte sie in ihren großen roten Pumps ein und hielt dabei das Gleichgewicht mit seitlich ausgestreckten Armen. Wenn man dann nicht das Weite suchte, konnte sich aber einen unbeabsichtigten Schwinger einfangen.
„Ozzy ist noch nicht da!“, rief Blücher.
„Ich weiß!“, schrie die Chefin. „Der kann was erleben!“
Sie ging zur Schneidemaschine. Sie begann Brot zu schneiden.
„Ich meinte ja nur, dass ich ihn noch nicht gesehen habe“, sagte Blücher mit offensichtlich wachsender Begeisterung.
„Dieser Mistkerl!“, schrie sie noch lauter. „Das gucke ich mir nicht mehr lange an!“, fügte sie mit wiederum erhöhter Lautstärke hinzu.
Sie öffnete ein kleines Türchen zum Kühlhaus. Von da aus hatte man Zugriff auf mehrere Regale mit Aufschnitt.
Blücher hielt sich hinter ihrem Rücken den Mund zu und tanzte vor Begeisterung..
„Sie haben aber auch wirklich die Geduld eines Engels!“, sagte Blücher.
„Aber nicht mehr lange! Das schwöre ich dir nackt in die Hand!“
Mit dem Spruch „Das schwöre ich dir nackt in die Hand“ war es bei der Chefin wie mit „Mist am Platz“ bei Blücher. Das sagten sie so oft und gern, dass man es von ihnen fast täglich zu hören bekam.
„Wenn der so weitermacht, passiert noch ein Unglück!“, schimpfte sie
Blücher guckte zu uns herüber, fuhr sich mit dem Finger an der Kehle entlang und klopfte sich vor Begeisterung auf die Schultern. Als die Chefin das hörte, drehte sie sich um.
Blücher wurde sofort wieder ernst, zeigte zum Ausgang und sagte: „Ich decke die Tische ein, auch die von Ozzy!“
Die Chefin sah ihm fragend hinterher und wandte sich dann Ulf zu.
„Du sollst doch morgens die Butter rausstellen, damit ich sie schmieren kann! Lernst du das noch, Dummkopf?“
Beim Militär hatte ich es vergleichsweise netter gefunden. Weibliche Führung hatte ich mir anders vorgestellt.
„Tire-toi, cocotte“, sagte Ulf stoisch.
„Und wenn du dich in fünf Sprachen entschuldigst, ist das auch egal!“, schrie die Chefin.
Ich sah Ulf an. Er hatte nur noch ein halbes Jahr. Ich würde aber noch drei Jahre hier sein. Unmöglich. Ich griff nach meiner Schürze, um sie abzulegen und wieder nach Hause zu fahren.
„Du Penner!“, schrie die Chefin.
Ich legte die Schürze ab. Im gleichen Augenblick kam ein Mädchen herein.
„Mutter?“
Ulf wurde knallrot. Ich sah es aus den Augenwinkeln.
„Woher wusstest du, dass ich hier bin?“, fragte die Chefin.
„Ich habe dich gehört“, sagte das Mädchen. „Wie immer.“
Die Chefin ging hinaus. Das Mädchen lächelte uns an, ehe sie uns den Rücken zukehrte und ihrer Mutter folgte.
„Huh...“, sagte ich.
„Huh...“, sagte Ulf.
Ich legte meine Schürze wieder um.
Ich hörte einen fetten Seufzer.
Das musste wohl Ulf gewesen sein.
Oder ich selbst.
Wer wusste das schon.
In so einer Situation.

Fortsetzung folgt
 
aus der Diskussion: Die Leiden eines Kochs
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (24.04.06 17:19:36)
Beitrag: 6 von 74 (ID:21298955)
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