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11.


Das Abendgeschäft verlief sehr ruhig.
„Der Sonntagabend ist immer ziemlich tot“, sagte Ulf, als er sich auf den Herd stellte. „Darum machen wir jetzt die Abzugshaube sauber.“
Er nahm Teile heraus und reichte sie mir nach unten.
„Machst du das jeden Sonntagabend?“, fragte ich.
„Nein. An den letzten Sonntagen war ich abends immer allein und jetzt wird es auch wirklich wieder Zeit.“
Als ich alle Platten aufgestapelt hatte, fing Ulf da oben mit dem Reinigen an.
Ozzy kam herein und brachte Bestellungen.
„Ulf will wieder hoch hinaus“, sagte Ozzy.
„Très drôle“, sagte Ulf.
„Früher hat er immer beklagt, dass er nicht Automechaniker werden konnte, weil er keine entsprechende Lehrstelle bekam. Jetzt tut er so, als hätte er nie etwas anderes als ein Drei-Sterne-Koch werden wollte und redet nur noch davon, dass er nach seiner Abschlussprüfung in den Elsaß oder die französische Schweiz will.“
„C’est ne sont pas tes oignons, garçon.“
„Komm da endlich runter“, mahnte Ozzy. „Ich habe zwei Gäste, die speisen wollen. Und das ist mein Bier.“
„Was sind das denn für Gäste?“
„Vegetarier.“
„Dafür komme ich nicht runter“, sagte Ulf.
„Die wollen zwei große Salatteller.“
„Das kann der Neue machen“, erklärte Ulf.
„Wie sollen die denn aussehen?“, fragte ich.
„Das kann dir Ozzy zeigen“, antwortete Ulf.
Ozzy ging sofort zu einem der Schränke und holte einen tiefen, in Fächer unterteilten Glasteller hervor. Dann ging er damit zum Salatposten und füllte ihn.
„Guck einfach zu“, sagte Ozzy. „Lass dich von Ulf nicht verrückt machen. Er ist ein Depp.“
„Er ist gut in Fremdsprachen.“
„Er hatte eine französische Freundin. Seitdem kennt er alle möglichen französischen Schimpfworte. Die muss wirklich sehr gut mit ihm zufrieden gewesen sein, dass er das alles zu hören bekommen hat.“
„Va-t’en, arnaque!“, rief Ulf.
Er drohte mit einem fettigen Schwamm zu werfen. Das erinnerte mich daran, wie die Chefin zu Mittag gedroht hatte, mit einem Teller zu werfen.
„Der weise Mann bleibt gegenüber Kritik wie der Fels in der Brandung“, sagte Ozzy beim Rausgehen.
„Natürlich finde ich einen Job im Elsass oder in der Schweiz“, sagte Ulf. „Da kriegt jeder eine Chance. Da werden auch immer wieder Plätze frei, weil viele sich da nicht halten können.“
„Dafür gibt es bestimmt gute Gründe.“
„Ja. Erstens wird da auf Französisch annonciert und ohne Französisch weißt du da gar nicht, was du machen sollst. Wenn du das dort erst lernen musst, ist es schon zu spät. Zweitens ist das Arbeiten da auch so ziemlich hart. Viele Stunden, viel Stress, viel Geschrei.“
„Mehr Geschrei als hier?“
„Viel mehr. Und viel mehr Arbeit.“
Er sagte das ganz lässig.
„Du meinst, du hälst das aus?“
„Klar. Da lernt man doch auch was. Umso mehr du da arbeitest, desto mehr kannst du anschließend auch.“
„Aha.“
„Was mich hier am meisten nervt, ist, dass ich schon seit zwei Jahren ständig das Gleiche mache. Ab und zu versucht die Chefin mir etwas Neues zu zeigen, aber das hat sie sich dann auch immer erst kurz vorher in einer Zeitschrift angelesen und lesen kann ich selber.“
Erneut kam Ozzy rein.
„Zwei Schnitzel, Maître!“
Ulf kletterte vom Herd und wusch sich die Hände, während ich das Fleisch aus dem Kühlhaus holte.
Ozzy verließ die Küche und stattdessen kam die Chefin rein. Diesmal war sie fein angezogen und geschminkt.
Ulf säbelte zwei Schnitzel ab.
„Bist du verrückt?“, rief sie.
Auch aus fünf Metern Entfernung sah sie, dass die Schnitzel zu dick waren. Sie schnappte sich das Fleisch und legte es auf eine Waage.
Ulf wurde knallrot.
Die Chefin schnitt von jedem Stück ungefähr ein Viertel ab. Anschließend hatten beide auf Anhieb das richtige Gewicht.
„Wenn ich nicht aufgepasst hätte, hätten wir heute wieder nichts verdient“, sagte sie.
Dann ging sie wieder raus. Kurz danach kam Ozzy rein.
„Ich habe gehört, du hast wieder viel zu große Schnitzel abgeschnitten und die Chefin hat es korrigiert“, sagte er.
„Warum ist die überhaupt reingekommen?“ fragte Ulf. „Immer dieses Misstrauen.“
„Ich hatte ihr das gesagt“, gab Ozzy zu. „Ich habe schon zweimal schmutzige Ärmel gehabt, weil deine Schnitzel über den Teller hinausragten.“
„Spinner!“, rief Ulf.
Später sah ich Ulf manchmal dabei, wie er nach dem Braten selbst noch ein Stück von seinen Schnitzeln abschnitt, um sie an die eigentlich ausreichend großen Teller anzupassen.
Nachdem Ozzy die beiden fertigen Schnitzel weggebracht hatte, begann Ulf die Schränke von den Wänden zu rücken. Dann holte er irgendwo ein verstecktes Kochbuch hervor und begann zu blättern.
„Warum hast du die Schränke verrückt?“, fragte ich.
„Weil wir hinter den Schränken saubermachen.“
„Und wann fangen wir damit an?“, fragte ich.
„Wenn die Chefin wieder reinkommt.“
„Wenn die Chefin wieder reinkommt?“, fragte ich belustigt.
„Offiziell natürlich mindestens eine halbe Stunde vorher.“
„Was ist das für ein Schmöker?“
„Das ist kein Schmöker, sondern ein Kochbuch vom besten Koch überhaupt! Den habe ich sogar selbst schon kennen gelernt! Ich war mit meiner Freundin bei ihm essen und sie hat dann den Kellner in Französisch gefragt, ob wir ihm einmal in der Küche beim Kochen zusehen dürften. Wir durften tatsächlich. Ich habe ihm dann erzählt, dass ich nach meiner Lehre gern für ihn arbeiten möchte und wieso ich sein Lokal so viel besser als dieses finde. Außerdem habe ich ihn um ein Autogramm gebeten. Er bat sich Bedenkzeit aus, aber schon vierzehn Tage später kam das Buch signiert hier an.“
„Kann ich die Widmung sehen?“
„Klar!“
„Mein lieber Freund!“, stand da direkt unter dem Bild des Meisterkochs, „Ohne Fleiß geht es nicht!“
Da waren noch ein oder zwei andere Sätze zu lesen, aber Ulf schlug die Seite zu, ehe ich alles entziffert hatte.
„Ohne Fleiß geht es nicht“, wiederholte ich nachdenklich.
„Das kann man natürlich so oder so deuten“, sagte Ulf. „Auf jeden Fall haben der Chef und die Chefin ein wirklich komisches Gesicht gemacht, als sie sahen, von wem ich hier Post bekam.“
„Aha. Übrigens, jetzt haben wir die Schränke von den Wänden gerückt, aber die Abzugshaube immer noch nicht wieder zusammen gebaut.“
„Das kannst du schon allein“, sagte er.
Nur noch knapp sechs Monate, dann war ich selbst auf dem Fleischposten und hatte hier keinen anderen Lehrling mehr über mir. Eine unglaubliche Blitzkarriere für einen Kochlehrling. Ich fand, dafür konnte ich so lange die Klappe halten.
Während ich schon an die Zeit nach Ulf dachte, kam der Chef herein.
„Will einer von euch heute abend noch in die Disco gehen?“
„Ich sowieso und er wahrscheinlich auch“, antwortete Ulf.
Das Buch versteckt er hinter seinem Rücken.
„Der Chef hat angerufen, dass ihm die Kohlensäure ausgeht. Ihr könnt ihm eine von unseren Flaschen bringen.“
„Okay“, sagte Ulf.
„Seht zu, dass ihr pünktlich Feierabend macht“, sagte der Chef.
Er ging weder raus.
Ulf legte das Buch weg und beeilte sich, die Schränke zurück an die Wände zu schieben. Seltsam, dass er das nicht von mir machen ließ. Für einen Oberlehrling fehlte es ihm an Führungsqualitäten. Ich konnte das besser. Hoffentlich waren die sechs Monate rasch vorbei, damit sich das beweisen ließ.


Fortsetzung folgt
 
aus der Diskussion: Die Leiden eines Kochs
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (01.05.06 13:58:03)
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