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15.

Diese Entwicklung überraschte mich. Das passierte mir mit Frauen immer wieder. Sie überraschten mich. Oft taten sie erst, als wäre ich eine persönliche Bedrohung oder eine Lachnummer oder sogar, was bei Frauen anscheinend einen Sinn ergab, beides. Wenn ich sie schließlich abgeschrieben hatte oder zu hassen begann oder schon an meinem Verstand zweifelte, kippten sie auf einmal um und warfen sich mir an den Hals. Mein größtes Problem damit war, dass ich mich dann manchmal erst fragte, ob sie mich jetzt irgendwie obendrein veräppeln wollten und ob ich so eine Gans überhaupt noch wollte. Genauer gesagt war das Problem, dass die Frauen mir diese Gedanken oft ansahen oder sich einfach über mein damit verbundenes Zögern ärgerten und die unerwartete Chance sich damit auch schon wieder verflüchtigte.
Justine war sehr attraktiv. Sie war selbstbewusst, meistens gut gelaunt, scheute keine Konfrontationen, bewegte sich leichtfüßig und anmutig und trug ihre Haare lang und glatt. Sie gefiel mir. Konnte das Zufall oder Täuschung sein? Nein. Auf das Urteil anderer Männer konnte man sich keineswegs verlassen, denn manche populären weiblichen Sexsymbole waren einfach nur total künstlich und ätzend. Aber es gab noch einen anderen Maßstab, der für mich immer funktionierte. Ich brauchte nur kurz nachdenken, was meine Mutter von ihr halten würde. Sie war tatsächlich all das, worüber meine Mutter seit jeher lästerte und darum genau mein Typ. Meine Mutter fand nur solche Frauen von Rechts wegen weiblich, die permanent ängstlich waren, zu Depressionen neigten, kränkelten und schwächelten und bei jeder Gelegenheit sofort nachgaben und dann grundsätzlich schmollten oder ausdauernd klagten,. Wenn eine Frau gesund, belastbar oder sogar sportlich war und noch dazu ihre Haare „einfach platt am Kopp, total ungepflegt“ trug, ordnete meine Mutter sie als vermännlicht und unattraktiv ein. Eine umfassende Ablehnung ihrerseits war das einzige zuverlässige Gütesiegel und niemals falsch.
Plötzlich klingelte es in meinem Hinterkopf Alarm. Es gab noch einen Gesichtspunkt. Sie gehörte zur Familie vom Chef und ihre Leute konnten mir das Leben richtig zur Hölle machen. Wenn ich meinen Instinkten folgte und Justine ein wenig zähmte, was ihr vielleicht noch mehr als mir gefallen würde, erweckte das womöglich bei übergeordneten Instanzen den Eindruck, ich würde meine Kompetenzen überschreiten. Es war wohl sicherer, noch zu warten, ehe ich das Richtige tat. Schon in einem halben Jahr war ich der Küchenchef und dann würde ich den Laden schmeißen und ihre Tante würde sich zurückziehen und entspannen können. Dann würde ich unentbehrlich sein und dann, erst dann konnte ich ohne Risiko meine wahren Gefühle zeigen.
„Ich bringe dich nach Hause!“, riefen Blücher, Ozzy und Ulf.
Sogar Ulf hatte inzwischen gerafft, dass Justine eine tolle Frau war, wenn auch aus seiner Sicht nicht blond genug und objektiv vielleicht etwas zu anstrengend.
„Und du?“, fragte sie.
„Klar“, sagte ich.
Sie reagierte mit einem beleidigten Blick. Vielleicht hätte ich etwas euphorischer sein sollen. Andererseits durfte ich ihr nicht allzu maßlos schmeicheln, weil das meine Dominanz gefährdet hätte.
„Losen wir es aus“, schlug Blücher vor.
Justine schien diese Möglichkeit aufregend zu finden. Das ging natürlich überhaupt nicht. Die Vorstellung, dass Blücher die Situation managte, war lächerlich und inakzeptabel. Am besten schlug ich das Gegenteil von dem vor, was er wollte. Entweder setzte ich mich durch und hatte zumindest für den Augenblick gewonnen, oder ich verlor zunächst, konnte ihm aber später die Schuld für alles geben, was womöglich schiefgehen würde, weil man nicht auf mich gehört hatte.
„Warum lassen wir sie nicht selbst entscheiden?“, platzte es schließlich aus mir heraus.
Ich war von meinem Sieg überzeugt. Obendrein befand ich mich jetzt gegenüber Dritten auf der sicheren Seite, denn ich zeigte mich als moderner Mann, der das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung kannte und bei Möglichkeit auch respektierte.
„Gut, dann soll er mich nach Hause bringen“, sagte Justine.
Sie zeigte auf den rothaarigen Burschen in der Ecke, den ich jetzt zum ersten Mal reden hörte.
„Nein, ich will noch hier bleiben und Bier trinken“, sagte er.
Mein Schock verflog. Jetzt war alles wieder gut.
„Dann springe ich eben für ihn ein“, sagte ich.
Diesmal war ich Erster.
Ich guckte mich drohend um.
Keiner der Rivalen sagte etwas.
Ich sah Justine an, aber sie guckte dem rothaarigen Fremden in die Augen und sagte etwas Unverzeihliches.
„Bitte!“

Fortsetzung folgt
 
aus der Diskussion: Die Leiden eines Kochs
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (06.05.06 00:00:23)
Beitrag: 18 von 74 (ID:21452152)
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