Fenster schließen  |  Fenster drucken

21.

Draußen wartete der Chef vor dem Zwinger auf mich. Der Hund legte seine Pfoten auf die Zwingertür und steckte den Kopf für einen Moment zwischen Tür und Dach hindurch. Dann hörte man ihn an der Tür scharren.
„Du darfst dich nicht von allem umschmeißen lassen“, sagte der Chef.
Er trug eine Baseballkappe.
„Ich lasse mich nicht von allem umschmeißen.“
„Aber von dem Hund.“
„Er ist stark.“
„Das darf aber nicht passieren. Du darfst dich von nichts umwerfen lassen. Erst recht nicht von einem blöden Hund. Du musst immer die Kontrolle behalten“, sagte er.
„Es ist nur einmal passiert.“
„Einmal ist schon einmal zuviel.“
„Passiert ist passiert.“
„Willst du, dass er dich noch einmal zu Boden bringt und ableckt und vollsabbert?“
„Auf keinen Fall.“
„Und ich will nicht, dass er das mit anderen macht, weil du ihm beibringst, dass er damit durchkommt.“
„Ich bringe ihm überhaupt nichts bei.“
„Doch, das tust du. Jedesmal, wenn du ihn heraus lässt, lernt er etwas. Die Frage ist, ob er etwas Gutes oder etwas Schlechtes lernt."
Ich schwieg.
„Du warst Soldat?“
„Ja.“
Das fragte er mich in den folgenden Jahren immer wieder. Damals dachte ich, er sei vergesslich oder würde mir nicht glauben. Erst später verstand ich, was er damit sagen wollte.
„Ich habe gehört, du warst in Morthaim. Bist du vorbestraft?“
„Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Warum warst du dann dort?“
„Ich musste beim Idiotentest beim Kreiswehrersatz einen Aufsatz darüber schreiben, wie ich mir meine Zukunft vorstelle. Ich schrieb, dass ich Koch werden will, weil Köche in Kanada gesucht werden und weil ich unbedingt auswandern will. Und dann begründete ich das, indem ich ungefähr drei Seiten lang über unsere Politiker herzog.“
„Was hast du dir davon versprochen?“, fragte er.
Gute Frage. Warum war ich selber nie auf diese Frage gekommen?
„Auf jeden Fall war ich danach unter lauter Schriftstellern“, sagte ich ausweichend.
„Schriftsteller. Spinner. Dampfplauderer. Deppen.“
Er nickte.
„Was war mit dem Restaurant, in dem du vorher gewesen bist? Ich habe gehört, du hattest Probleme mit einer Hauswirtschafterin und der Chef musste von seinem Schäferstündchen wegrennen, weil sie um Hilfe geschrien hat.“
„Sie hat sich in den Finger geschnitten und beim Anblick von ihrem Blut einen hysterischen Anfall bekommen. Da hat sie eben geschrien. Sie hat so geschrien, dass ich selber Angst kriegte.“
Ich hatte schon gedacht, die Rote Armee würde einmarschieren.
„War das wirklich so?“
„Aber sicher. Vor allem, als der Küchenchef die Treppe herunter stürmte und mich anguckte, als würde er mich im nächsten Moment durch den Fleischwolf drehen.“
„Und weiter?“
„Und zu Chili con carne verarbeiten.“
Er zog die Kappe so weit nach unten, dass ich sein Gesicht nicht mehr sehen konnte.
Dann guckte er den Hund an und gab das Kommando „Sitz.“
Anschließend öffnete er den Zwinger.
Der Hund kam heraus und wollte ihn anspringen.
„Sitz!“, brüllte der Chef gedehnt und mit zunehmender Lautstärke.
Der Hund hielt mitten im Sprung inne und kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und legte sich auf den Bauch.
„Sitz!“, rief der Chef. „Du sollst sitzen!“
Der Hund machte die Augen vorsichtig wieder auf und erhob sich so weit, dass er auf seinem Hintern saß. Nach und nach begann er heftiger mit dem Schwanz zu wedeln und so hinter sich den Boden zu fegen.
Der Chef griff in seine Tasche und gab Meggie ein Stück Fleisch.
„So geht das“, sagte der Chef. „Ein Hund muss wissen, wer der Boss ist. Der Rudelführer. Das Alpha-Tier. Die Nummer eins. Ein Hund ist ein Hund. Können wir uns darauf verständigen?“
„Ja.“
„Okay. Dann lasse dich jetzt nie wieder von dieser Hündin, äh, vergewaltigen...!“
Bei dem Wort musste ich lachen.
„Das ist ein Weibchen“, sagte ich.
Er schloss den Hund wieder ein.
„Ein Weibchen kann unsereinen nicht vergewaltigen.“
Seufzend ging er durch den Hintereingang zurück ins Haus.
„Du bist ja so naiv, du hast keine Ahnung“, sagte er, ohne mich weiter anzusehen.
Darüber dachte ich noch oft nach.

Fortsetzung folgt
 
aus der Diskussion: Die Leiden eines Kochs
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (16.05.06 00:05:00)
Beitrag: 25 von 74 (ID:21598562)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE